Die mächtigste Frau im Orbit

Der französische Konzern Eutelsat ist eines der grössten Satellitenunternehmen der Welt. Unter der Dänin Eva Berneke steigt die Firma nun auch in das Wettrennen um die Raumfahrt-Technologien der Zukunft ein – und konkurriert dabei mit den Milliardären Elon Musk und Jeff Bezos.

Hinter Eva Berneke liegen turbulente Monate. In ihrem ersten Jahr als CEO von Eutelsat, einem in Paris ansässigen Satellitenunternehmen, musste sie russische Hackerangriffe abwehren, Brexit-Streitereien moderieren und eine umstrittene Fusion meistern, die sich vielleicht erst in fünf bis acht Jahren bezahlt macht. Beim Treffen mit Forbes DA in Paris wirkt die aus Dänemark stammende Topmanagerin und Ingenieurin dennoch gelassen und optimistisch.

„Es ist sehr wichtig, dass Europa einen eigenen starken Satellitenbetreiber hat“, sagt Berneke, 54; schliesslich sei die Raumfahrtindustrie ein Motor für die Technologien und Themen der Zukunft, von KI über High-Speed-Vernetzung bis zu Datenschutz. Und auch politisch ist eine effektive Netzabdeckung im Informationszeitalter so relevant wie noch nie.

Eutelsat Communications wurde vor rund 40 Jahren von 26 Staaten Europas gegründet. Haupteigner des Konzerns ist der französische Staat, China ist viertgrösster Teilhaber. Heute ist das Unternehmen einer der führenden Satellitenbetreiber der Welt, sein System versorgt etwa 274 Millionen Haushalte mit Fernseh- und Radio­signalen. Lange galt die Firma als ein Dino des TV-Zeitalters, doch mit einer spektakulären und riskanten Übernahme will sich der Konzern nun fit für die Zukunft machen – und sich auch neu erfinden.

Eutelsat übernimmt aktuell die britische Firma One Web, die zuletzt mit 3,4 Mrd. US-$ bewertet wurde. Die britische Regierung hält 11 % der Anteile und hat besondere Mitspracherechte, da die Technologien die nationale Sicherheit betreffen. Zu den Investoren bei One Web gehört auch der indische Unternehmer Sunil Bharti Mittal – durch dessen Finanzspritze und Gelder des britischen Staats konnte das Unternehmen 2022 vor der Insolvenz bewahrt werden.

Wirtschaftlich ist der Zusammenschluss also eher riskant, doch technologisch bietet die Fusion einen gewaltigen Vorteil – denn zu den 36 geostationären Satelliten von Eutelsat kommen nun 428 erdnahe Satelliten von One Web hinzu. Geostationäre Satelliten („Geo“) kreisen höher und langsamer, erfassen aber einen grösseren Bereich. Erdnahe „Leo-Satelliten“ (Low Earth Orbit, kurz: „Leo“) kreisen hingegen näher an der Erdoberfläche, und das mit höherer Geschwindigkeit. Sie bedienen einen kleineren Bereich und müssen auch mit anderen Satelliten zusammen­geschlossen sein, um effektiv Daten zu kommunizieren.

Erfolgreicher Start des Fernsehsatellitens Eutelsat 8 West B

Die neue europäische Mega­flotte bietet nun beide Systeme und gilt daher als „optimale Lösung“, um die Bedürfnisse der Kunden noch besser zu bedienen und den Marktanteil zu vergrössern. Das ist nicht nur wirtschaftlich relevant – sondern auch politisch brisant.

Schnelles Internet ist ein Machtinstrument, vielleicht das stärkste, das die Menschheit im Kommunikationszeitalter kennt, denn es kann die Geschichte ent­scheidend verändern. Das Regime im Iran wollte etwa im vergangenen Oktober Berichte über die Proteste im Land unterdrücken, indem es die Signale zweier Satelliten von Eutelsat störte. Ziel der Angriffe waren Radioprogramme in persischer Sprache, die aus dem Ausland gesendet wurden. Nach der russischen Invasion der Ukraine wurden Satelliten von Eutelsats Tochter­firmen von russischen Hackern attackiert, und das war nicht die einzige Folge des Angriffskriegs für das Unternehmen: Gleich zwei Monate nach ihrem Amtsantritt als Chief Executive Officer musste sich Berneke als Krisenmanagerin beweisen – Russland war einer der grössten Märkte und ein wichtiger Partner des französischen Unternehmens; noch im vergangenen Jahr plante One Web, 36 Satelliten auf russischen Sojus-Raketen in den Orbit zu bringen.

Der Krieg in der Ukraine rückte auch Eutelsats künftigen Mitbewerber in den Fokus: Elon Musk und seinen Satellitendienst Starlink. Für das ukrainische Militär sind Musks Leo-Satelliten inzwischen das zentrale Kommunikationsmittel. Kurz nach Kriegsbeginn hatte der Tech-Milliardär die Tochterfirma seines Raumfahrtunternehmens Space X in der Ukraine aktiviert und wie üblich sehr öffentlichkeits­wirksam die Empfangsterminals gespendet. Inzwischen kreisen mehr als 3.000 Starlink-Satelliten in der erd­nahen Umlaufbahn – und bieten nicht nur der Ukraine Netz­abdeckung: Selbst in Deutschland nutzen Kommunen das System; seit der Hochwasser­katastrophe 2021 setzt etwa der Kreis Euskirchen auf Starlink als Notfall-Kommunikationsmittel.

Tesla-Visionär Musk ist damit aktuell der mächtigste Akteur im Orbit – und erschüttert als Disruptor neben der Automobilbranche auch die Industrie der Leo-Satelliten­technik. Bald wird ihm allerdings Amazon-Gründer Jeff Bezos Konkurrenz machen: Im kommenden Jahr sollen dessen Kuiper-Internetsatelliten in den erdnahen Orbit eindringen. Doch Berneke glaubt, dass es noch Jahre dauern wird, bis Bezos eine ähnliche Marktmacht entfalten kann wie Starlink oder Eutelsat. Ist Berneke also Europas Antwort auf Musk und Bezos? „Wir haben nicht fusioniert, um mit jemandem zu konkurrieren, sondern weil es eine grossartige Möglichkeit ist, in den Markt einzutreten“, sagt die Dänin. Es werde noch Jahre dauern, bis Bezos seine Konstellation einsetzen kann, um mit Starlink oder Eutelsat zu konkurrieren. Allerdings gesteht sie Musk zu, dass er das Potenzial in diesem Wachstumsmarkt früher und schneller als andere erkannte.

Integration der Reflektoren auf dem Eutelsat 8 West B-Satelliten

Eutelsat will nun auch eine Notierung an der Londoner Börse beantragen. Europäische und britische Gemeinschaftsprojekte sind seit dem Brexit selten und noch komplizierter geworden. Berneke aber glaubt: „Die Regierungen sehen, dass die Zu­sammenarbeit im Weltraum ein­facher ist, denn hier kann man nicht wirklich auf nationale Grenzen pochen.“

In den kommenden Jahren soll kräftig investiert werden, doch manche Aktionäre sind skeptisch. Eutelsat Communications hat im Geschäftsjahr 2022/23 einen Umsatz von 1,482 Mrd. € erzielt, was einem Rückgang von 3 % entspricht. Ber­neke sagt, man werde weiterhin viel Geld mit Video- und TV-Konnek­tivität verdienen, doch die globalen Trends deuten auf andere Bedürfnisse hin: Ländliche Regionen, Schiffe, Fluggesellschaften, Militärs oder autonome Fahrzeuge brauchen oder wünschen konstanten Internet­zugang und eine breite und ver­lässliche Netzabdeckung.

Dafür müssen die Satelliten von One Web aufgerüstet werden. Das Upgrade zu den fortschrittlichen Gen-2-Satelliten soll rund vier Mrd. € kosten. Analysten von JP Morgan bezeichnen die Fusion und die damit verbundenen Inves­titionen als „hohes Risiko“, doch Berneke sieht das grösste Risiko offenbar in einem Mangel an Ver­änderung.

Berneke studierte Ingenieurwissenschaften in Dänemark und begann ihre Karriere bei McKinsey in Frankreich. Anschliessend machte sie Karriere in der IT- und Telekommunikationsbranche; sie sitzt auch im Aufsichtsrat von Lego. Ihr Gehalt bei Eutelsat inklusive Zulagen wird auf rund 1,7 Mio. € im Jahr geschätzt. Neben einem neuen wirt­schaftlichen Kurs wird Berneke in ihrem neuen Posten jedenfalls auch erstmals politische Herausforderungen meistern müssen: Zuletzt wurde Eutelsat schwer kritisiert, weil es weiterhin russische Sender ausstrahlt, die zwar nicht sanktioniert sind, aber dennoch Kreml-Propaganda verbreiten. Berneke stellt klar: „Eutelsat hat sich stets zu Neutralität bekannt, das ist sehr wichtig für uns, weil das eng mit der Meinungs­freiheit verbunden ist.“ Die Strategie von Eutelsat sei es, den Inhalt der ausgestrahlten Programme nicht zu bewerten. Dieses Prinzip gelte auch in Regionen, in denen Regime auf westliche Nachrichtensender gerne verzichten würden. Gerade da setze man technisch alles daran, Störattacken – wie etwa im Iran – abzuwehren. Berneke sagt, es sei nicht ihr Job, die Arbeit der Regulatoren zu übernehmen und die Ausstrahlung je nach politischer Gesinnung zu organisieren. „Mancherorts heisst es, man sollte mehr einen politischen und persönlichen Standpunkt vertreten, aber das wird sehr, sehr schwierig, wenn man ein globales Unternehmen leitet und in so vielen unterschiedlichen Regionen präsent ist“, so Berneke. In den kommenden Jahren werden im erdnahen Orbit Tausende weitere Satelliten unterwegs sein. Manche Forscher fürchten das Kessler-Syndrom, benannt nach dem Nasa-Wissenschaftler Donald Kessler – er prophezeite schon 1978 eine Verstopfung der Umlaufbahn, die zu einer Art Massen­karambolage führen könnte, zu einer Kettenreaktion durch den Crash von Objekten und deren Trümmern. Die Folge wäre eine Schrottwolke, die im erdnahen All schwebt und Raum­flüge oder den Betrieb von Satelliten massiv gefährdet.

Noch herrscht im Orbit eine Mischung aus Wildwest-Mentalität und Goldfieber. Berneke glaubt daher, dass es eine robuste Regulierung für den Umgang und die Entsorgung von Weltraumschrott brauche: Ohne einen starken Akteur in dieser Industrie sei es für Europa viel schwieriger, diese Boombranche zu regulieren, sagt die frühere McKinsey-Beraterin. Man dürfe das Feld nicht den USA und China überlassen. Berneke: „Europa braucht seinen eigenen starken Motor in der Raumfahrtindustrie.“

Text: Reinhard Keck, Klaus Fiala
Fotos: Sophie Palmier/REA, Eutelsat_SA

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