Die Kultur-Vermittlerin

Für Nielufar Saffari ist das Dolmetschen weit mehr als reines Übersetzen. Deshalb gründete die ehemalige Dolmetscherin und Under 30-Listmakerin die Plattform Dolmx, die interkulturelles Dolmetschen per Video ermöglicht. Sie erklärt, wie die KI hier zum Einsatz kommen könnte.

Für viele Menschen, insbesondere für jene, die ausserhalb ihres Geburtslandes leben, stellen Sprachen und interkulturelle Kommunikation oft eine erhebliche Hürde dar. Nielufar Saffari, Gründerin von Dolmx, kennt dieses Problem aus eigener Erfahrung, da sie selbst zwischen zwei Kulturen aufgewachsen ist: «Ich bin gebürtige Wienerin mit iranischen Wurzeln, was für mich persönlich immer zu einem kulturellen Konflikt führt. Bin ich österreichische Iranerin oder iranische Österreicherin?» Durch ihre zweite Muttersprache Farsi fand Saffari schnell zum Dolmetschen und gründete später Dolmx, ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen, das Video-Dolmetsch-Einheiten für vor allem soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser und auch für Gefängnisse anbietet.

Gegründet während der Pandemie, profitierte Dolmx anfangs von den Kontaktbeschränkungen und den digitalen Lösungen, die das Unternehmen bereitstellt. Heute bietet Dolmx Dolmetschdienste in 60 Sprachen an, wobei ein Pool von 350 professionellen Dolmetschern die Übersetzungen übernimmt. Über 40 verschiedene Schweizer Institutionen vertrauen mittlerweile den Online-Dolmetschern von Dolmx. Auch wenn Saffari und Dolmx heute in der Schweiz durchaus erfolgreich sind, war gerade die Gründungsphase für die Österreicherin eine durchaus schwierige Zeit.

«Dolmetscher sind Brückenbauer; sie sind mehr als nur Sprachrohre.» Nielufar Saffari

2013 entschied sich Nielufar Saffari für ein Studium in transkultureller Kommunikation in Wien. «Farsi hat sich gewissermassen zur ‹Flüchtlingssprache› entwickelt, besonders in der aktuellen Situation. Daher dachte ich, dass es sinnvoll wäre, sie einzusetzen, um den sozialen Einfluss von anderen Farsi-sprechenden Menschen zu stärken und zu fördern», so die Gründerin. Schon während ihres Studiums arbeitete Saffari ehrenamtlich als transkulturelle Dolmetscherin. Im Zuge ihres Master-Studienganges konzentrierte sich die Wienerin auf «Community Interpreting»: «Community-Dolmetschen spielt dort eine Rolle, wo es ein sprachliches Ungleichgewicht zwischen Institution und dem Klienten gibt. Sprich, in Schulen, Gefängnissen oder Krankenhäusern», erklärt sie. Nachdem Saffari ihre Karriere als freiberufliche Dolmetscherin beendete, begann sie damit, Kurse und Workshops in Wien anzubieten – für Personen die klassische «Flüchtlingssprachen» wie Tigrinya oder Somali sprechen, sich beim Dolmetschen professionalisieren wollen und keine Ressourcen für einen Studiengang haben. «Viele Flüchtlingssprachen werden auch gar nicht an der Universität als Dolmetsch-Sprachen angeboten. Und das, obwohl die Nachfrage dafür sehr hoch ist», so Saffari.

2021 zog die Wienerin in die Schweiz, da dort die Nachfrage und die finanziellen Ressourcen für interkulturelle Kommunikation grösser waren als in Österreich. Dort traf Saffari auf ihre Mitgründer, den Entrepreneur und Cyber-Security-Experten Lukas Keller, den erfahrenen Gründer Mark Cheetham und dem Sprach- und Management-Experten Matthias Trümpy. Es wurde bewusst während der Corona-Pandemie gegründet, um das Beste aus den Kontaktbeschränkungen herauszuholen: «Durch die Pandemie ist die Nachfrage nach digitalen Lösungen natürlich enorm gestiegen. Aber wir sehen auch heute post Covid, dass es für Institutionen wie Krankenhäuser oder Gefängnisse sehr schwierig ist, vor Ort profes­sionelle Dolmetscher zu finden. Video-Telefonie vergrössert einfach den Markt der verfügbaren Dolmetscher», so Saffari. Die Jahre 2021 und 2022 dienten dem Gründerteam als Entwicklungsphase für die Plattform. Mitte 2022 ging Dolmx online und fand zügig zwei Krankenhäuser, die bereit waren, am Pilotprojekt teilzunehmen.

Nach vielen Jahren als freiberufliche Dolmetscherin war sie erleichtert, 2020 den Schritt in die Gründerszene gewagt zu haben, da das Dolmetschen für sie letztlich zu einer grossen Belastung wurde: «In meinem Arbeitsbereich hatte ich oft mit Menschen zu tun, die Fluchterfahrungen gemacht haben. Wenn ich dann traumatische oder sensible Inhalte dolmetschen musste, wurden die Probleme der anderen plötzlich auch meine. Es erfordert sehr gute Abgrenzungsstrategien, um sich selbst zu schützen, aber für mich wurde das Dolmetschen irgendwann einfach nicht mehr tragbar.» Über diese «sekundäre Traumatisierung» durchs Dolmetschen, wie Saffari es nennt, schreibt die Gründerin auch derzeit ihre Masterarbeit.

Insgesamt gab es 2022 in der gesamten Schweiz rund 460.000 Dolmetsch-Einsätze. 47 % dieser Einsätze erfolgten im Gesundheitsbereich, von denen fanden rund 80 % vor Ort statt. Der grösste Anteil an Video- und Online-Dolmetsch-Einsätzen erfolgte 2022 im Asylbereich, wo rund 60 % der Einsätze über das Telefon oder andere digitale Technologien stattfanden. Dolmx fokussiert sich dennoch mehr auf das Gesundheitswesen und Gefängnisinstitutionen. Saffari erklärt: «Man sagt, dass bei besonders sensiblen Gesprächen, wie zum Beispiel einer Asylanhörung, das Video-Dolmetschen nicht ideal wäre. Es besteht die Möglichkeit, dass Unterbrechungen auftreten, die den Ablauf des Verfahrens beeinträchtigen könnten.» Für die Zukunft möchte Saffari auch vermehrt mit künstlicher Intelligenz arbeiten. Vor allem bei der Gebärdensprache sieht die Österreicherin auf diesem Gebiet grosses Potenzial. «In einigen Jahren wollen wir eine KI entwickeln, die mittels eines Avatars funktioniert, Lautsprache durch den Avatar in Gebärdensprache übersetzt und dann im Anschluss auch Gebärdensprache erkennen und in Lautsprache umwandeln kann.»

Doch auch wenn bei der künstlichen Intelligenz derzeit noch menschliche Gefühle und Empathie fehlen, sieht Saffari bei Einsätzen in gesprochener Sprache durchaus Potenzial für eine KI. «Es hängt immer vom jeweiligen Anwendungsfall ab. Ich bin der Meinung, dass nicht in jeder Situation ein professioneller Dolmetscher notwendig ist. Wenn ich zum Beispiel am Schalter am Bahnhof stehe, um meine Personalien anzugeben, genügt für mich auch eine KI.» Dennoch darf laut Saffari bei sensiblen und persönlichen Dolmetsch-Einsätzen die menschliche Komponente nie fehlen, die auch nonverbale Kommunikation übersetzen kann: «Dolmetscher sind Brückenbauer; sie sind mehr als nur Sprachrohre. Wir müssen zwischen den Zeilen lesen und kulturelle Hintergründe verstehen können, nicht nur die Sprache perfekt beherrschen. Daher darf die menschliche Komponente niemals vernachlässigt werden.»

Nielufar Saffari ist eine ehemalige Dolmetscherin und Gründerin von Dolmx. Das Unternehmen bietet eine Plattformlösung, die das interkulturelle Dolmetschen per Video ermöglicht.

Fotos: Sören Funk

Lela Thun,
Redakteurin

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