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Zehn Millionen Tonnen Plastikmüll landen pro Jahr im Meer – also eine Lkw-Ladung Plastik pro Minute. Das zeigt der sogenannte Plastikatlas, eine Daten- und Faktensammlung der Heinrich-Böll-Stiftung rund um das Thema Plastik.
Am Plastikproblem kam auch Ben Mandos nicht mehr vorbei: „Wir waren damals in Thailand, auf Koh Lanta. Der Strand dort war bedeckt mit Plastik, sodass wir den Sand fast nicht mehr sehen konnten“, sagt der Gründer und CEO von Got Bag. Zuerst habe er sich gefragt, weshalb die Menschen ihren Müll einfach in die Umwelt schmeissen – später sei er draufgekommen, dass der Müll gar nicht auf den Strand geworfen, sondern vom Meer angespült wurde.
Heute leitet Mandos Got Bag, ein Unternehmen aus Mainz, das den weltweit ersten Rucksack aus recyceltem Meeresplastik entwickelt hat. Unter anderem sammeln 2.500 indonesische Fischer das Plastik als Beifang; später wird es zu Rucksäcken weiterverarbeitet. Andere Mitglieder der Community sammeln Plastik in den Mangrovenwäldern und Strandgebieten. Dieses Jahr stellt Got Bag eine Müllbarriere im Ganges in Indien fertig, sodass Plastik gar nicht erst ins Meer gelangt. „Das Plastik, das wir bergen, sind Flip-Flops, Puppenarme, da ist wirklich alles dabei“, so Mandos.
Bis eines der Got-Bag-Rucksackmodelle fertig ist, muss also erst einmal viel sortiert werden. Danach bleibt für das Unternehmen ein recycelbarer Plastikanteil von 30 % übrig. Für seine Rucksäcke verwendet Got Bag aber nicht alle Sorten von recycelbarem Plastik, sondern nur PET (Polyethylenterephthalat), dessen Anteil bei nur 10 bis 15 % liegt. Daraus stellt das Unternehmen ein Garn her, das dann zu den Produkten weiterverarbeitet wird. Der restliche Teil des recycelbaren Mülls wird an Partner weitervermittelt, die die übrigen Plastiksorten verwerten können.
Der grösste Anteil, nämlich 70 %, besteht aber aus sogenannten Non-Recyclables: Chipstüten oder Ketchupsachets, die nicht wiederverwertet werden können. Diesen Anteil gibt Got Bag an eine Tochtergesellschaft von Heidelbergcement weiter, die den Abfall thermisch verwertet, also verbrennt.
Mandos hat eine tiefe Verbundenheit zum Meer. Sein Vater ist passionierter Segler und „lebt seinen maritimen Traum in einer Mainzer Vorstadt“, mit Seemannsknoten und Meeresbildern an der Wohnzimmerwand. Die See sei ein Teil der Familie und somit auch von ihm – Mandos war schon auf dem Boot, bevor er überhaupt laufen konnte. Die Ferien verbrachte er immer auf dem Wasser.
Für den Unternehmer Ben Mandos begann alles mit einer langen Autofahrt, gemeinsam mit Roman Ruster, seinem Kumpel aus Schultagen. Dieser wuchs in Tel Aviv auf und entdeckte früh seine Leidenschaft fürs Surfen. Beide verband also die Liebe zum Meer, und während der stundenlangen Autofahrt konkretisierten sie ihren Wunsch, gemeinsam ein Unternehmen aufbauen zu wollen, das Produkte aus recyceltem Meeresplastik herstellen und verkaufen sollte. Dass es dann ausgerechnet ein Rucksack wurde, war eher Zufall. „Ich habe nachts wach gelegen, dann kam mir ‚Got Bag‘ als Markenname“, blickt Mandos zurück. Auf den Namen folgte das Produkt, strategische Überlegungen gab es nicht wirklich.
An die Idee schloss sich eine intensive Gründungszeit an. 2016 riefen Ruster und Mandos Got Bag als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ins Leben. Darauf folgten zwei Jahre Produktentwicklung, bis 2018 das erste Produkt gelauncht wurde. Der damals entstandene Rolltop-Rucksack ist bis heute ein Bestseller. Ende 2018 trennten sich die Wege von Mandos und Ruster, die bis dahin das Unternehmen gemeinsam geleitet hatten: Ruster verliess Got Bag, Mandos entschied sich jedoch dafür, sich voll in das Abenteuer zu stürzen und den Agenturjob, den er bis dahin noch nebenher machte (sein Onkel und er betrieben gemeinsam eine Medienagentur), an den Nagel zu hängen. „Es war kein Spaziergang“, erzählt er – aber es habe sich gelohnt, er wolle keinen Tag missen, sagt Mandos.
Seit der Gründung 2016 hat sich viel getan: Aus dem Zweigespann Ruster-Mandos ist ein 70-köpfiges Team allein in Mainz geworden. Letztes Jahr expandierte das Unternehmen in die USA. Dazu kommen 60 Menschen in Indonesien, die das gesammelte Plastik sortieren. Mit seinem Team vertreibt Mandos ein Portfolio, das 15 verschiedene Produkte umfasst, und erwirtschaftet damit einen zweistelligen Millionenumsatz im Jahr. „Es sind jetzt aber keine 99 Millionen €“, sagt er und lacht. 85 % seiner Produkte verkauft Got Bag in der DACH-Region. Zusätzlich ist das Unternehmen in den Beneluxländern und den USA gestartet. Seinen Rucksack sieht Mandos als Statement seiner Träger, er sei ein Symbol für Veränderung: „Jeder, der ihn trägt, identifiziert sich als Teil dieser Bewegung.“
Mandos hat einen ganz klaren Plan: „Wir wollen unsere Sammelaktivitäten auf die Karibik, die Philippinen und Indien ausweiten.“ Darüber hinaus will Got Bag den Müll künftig einsammeln, bevor er ins Meer gelangt. Dazu baut das Unternehmen Abfallsysteme in Dörfern in den unterschiedlichen Regionen auf; bald soll auch dieser Müll verwertet werden. Diesen Rohstoff nennt Mandos – neben dem Plastik aus dem Meer – „Ocean Impact Plastic“.
Lili Fuhr ist Referentin für Internationale Umweltpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung und für den 2019 erschienenen Plastikatlas verantwortlich. Sie hält es für sinnvoll, die Müllkette früher zu unterbrechen, allerdings noch weiter vorne: „Wir müssen am Anfang des Problems anfangen, dort, wo das Plastik produziert wird“, so Fuhr. „Meiner Meinung nach müssen die Unternehmen für ihren Müll Verantwortung tragen, er darf gar nicht erst nach Indonesien verschifft werden.“ Neben der Erweiterung der Regionen, in denen Plastik gesammelt werden soll, möchte Got Bag auch die Zahl seiner Niederlassungen erweitern: Es soll in den Norden gehen, auch nach Frankreich, vielleicht auch nach Australien. Zudem arbeitet ein Forscherteam an Verwertungsmethoden für andere Plastiksorten, um so auch das Produktportfolio von Got Bag zu vergrössern.
Ben Mandos ist glücklich bei Got Bag. Aber er spürt auch, dass in seiner Brust zwei Herzen schlagen: das erste für das Unternehmen, das er bereits aufgebaut hat und das seine Werte widerspiegelt. „Auf der anderen Seite bin ich einfach ein klassischer Gründertyp. Ich liebe es, Dinge zu starten“, so Mandos. Und: In seiner Branche gibt es einiges an Potenzial. Auf die Frage, was geschehe, wenn dereinst nicht mehr genug Plastik zum Recyceln da sei, reagiert er gelassen: Sorgen, arbeitslos zu werden, habe er keine. „Aber falls es irgendwann so weit sein sollte, dass es tatsächlich kein Plastik mehr für uns gibt, dann wäre das der stolzeste Moment in unserer Unternehmensgeschichte.“Der WWF geht davon aus, dass durch Meeresplastik rund 800 Tierarten bedroht sind. Ben Mandos, Gründer und CEO von Got Bag, dem weltweit ersten Produzenten von Rucksäcken aus recyceltem Meeresplastik, weiss, dass wir die Meere nicht allein für die Tiere schützen.
Text: Juli Sixl
Foto: Torsten Silz
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.