Die Geheimwaffe der Klitschkos

Die Klitschko-Brüder Wladimir und Vitali sind nicht nur ­­­Ex-Weltklasseboxer, sondern als Ukrainer tief mit dem aktuellen Schicksal ihrer Heimat verbunden; Vitali Klitschko ist zudem Bürgermeister von Kiew. Die beiden Ex-Boxer kämpfen gerade den wohl wichtigsten Kampf ihrer Karriere – den für die Ukrainer, gegen Wladimir Putin. Immer an ihrer Seite: Tatjana Kiel, CEO bei Klitschko Ventures. Das ist sie bereits seit Jahrzehnten, als sie die Boxkämpfe der Brüder plante.

Ex-Profiboxer Wladimir Klitschko war bereits auf dem Forbes-Cover. Im Interview erwähnte er damals eine Frau, die seit Jahren wohl seine wichtigste Vertraute und Mitarbei­terin ist: Tatjana Kiel. Wenn er in Hamburg ist, teilen sie sich ein Büro. Hier liegen auch die Forbes-Hefte mit dem Klitschko-Cover. Heute aber ist es Tatjana Kiel, die wir sprechen wollen. Am Gang des hellen, freund­lichen Büros in Hamburg-Altona-Altstadt stehen mehr als ein Dutzend goldene Trophäen; Preise, die die Klitschko-Brüder gewonnen haben, zwei Bambis, der Deutsche Fernsehpreis, oder auch die Auszeichnung, als Vitali Klitschko vom Fachmagazin Boxsport zum Boxer des Jahres 2010 gewählt wurde.

Tatjana Kiel hat ihre eigene Trophäe, die hängt aber im Büro der PR-Managerin, nicht bei Kiel: ein Zeitungsartikel über Kiel, die von den deutschen Medien oft (Chef-)Aktivistin genannt wird, seit sie gemeinsam mit den Klitschkos Hilfeleistungen deutscher Unternehmen in die Ukraine koordiniert. Sie selbst findet, Aktivistin sei nicht die korrekte Bezeichnung – Aktivisten seien immer gegen etwas: „Ich wollte noch nie gegen etwas sein, ich wollte immer für etwas sein.“ Aktivisten seien ausserdem sehr alleine; sie wolle nicht alleine sein. Sie kämpft Seite an Seite mit den Klitschkos, vor allem Wladimir. Die beiden sind seit Jahren ein eingespieltes Team. Sie vertrauten sich blind, seien stark in der Kom­munikation miteinander. Kiel: „Wir wissen immer, wenn der andere am Limit ist, was der andere braucht, um einmal kurz wieder runterzukommen. Die Augenhöhe ist immer da. Das macht das Schwierige einfacher. Die Wertschätzung des Gegenübers ist bei uns beiden extrem gegeben.“ Im Zweiergespann habe er die Visi­o­nen und sie setze sie um – oder sage auch, was überhaupt möglich sei.

Kiel erzählt von zwei Beispielen. Wladimir berichtete ihr, es brauche Prothesen, weil Verletzten häufig Gliedmassen fehlten. Daraufhin sprach Kiel mit dem Prothesen­hersteller Otto Bock. „Die sagten mir, Prothesen gebe es eigentlich genug, aber nicht genug Leute, die sie richtig anpassen können.“ Das heisst, erklärt sie, wenn Wladimir einen Bedarf melde, müsse sie den Prozess erst einmal komplett von hinten disku­tieren und durchdenken. In diesem konkreten Fall hätten andere vielleicht die Prothesen abbestellt, Kiel jedoch änderte an dieser „Pipeline“ gar nichts, sondern organisierte Schulungscenter.

Manchmal ent­wickelt Kiel im Kopf ganze Szenarien aus den Fetzen an Informationen, die aus dem Kriegsgebiet zu ihr durchdringen. Von den Krankenhäusern habe man gehört, sie brauchen grosse Binden; Wladimir sagte ihr, man brauche kleine Windeln. „Und dann habe ich es das dritte Mal gehört und dachte: ‚Nanu? Gehört das zusammen?‘“ Heraus kam, dass es die frischgebackenen Mütter sind, die die Binden brauchen, und die Neugeborenen, die die Windeln benötigen. „Aber dann braucht es ja noch ganz andere Dinge für diese frischgebackenen Mütter; Hygiene, Desinfektion.“ Und dann seien sie und ihre Kollegin, die auch gerade Mutter geworden war, zur Drogeriekette DM gefahren, um ein Paket zusammenzustellen. Die Frage nach der Finanzierung war schnell beantwortet – hier konnte Kiel das Netzwerk aus Unternehmen von Klitschko Ventures nutzen. Kerstin Gerber, Geschäftsführerin von DM, habe sofort gesagt, sie helfe: „Was braucht ihr?“

Diese Arbeit macht Tatjana Kiel nun ganztags als Geschäftsführerin der gemeinnützigen GmbH „Weare­allukrainians“. Während die Klitschkos viel vor Ort sind und ihr melden, was es braucht, laufen die Fäden bei ihr in Hamburg zusammen; Tatjana Kiel ist sozusagen die Zentrale.

Ihr Arbeitsalltag hat sich massiv verändert, seitdem sie als CEO bei Klitschko Ventures angefangen hat. Gemeinsam mit Wladimir Klitschko hat sie Klitschko Ventures gegründet, als die aktive Boxkampfkarriere des Schwergewichts vorüber war. Das Unternehmen berät Institutionen, Firmen oder Privatpersonen in den Bereichen Motivation und Willenskraft. Klitschko und Kiel entwickelten die Methode „Face the Challenge“, die im persönlichen wie beruflichen Kontext helfen soll, Herausforderungen zu meistern. In diesem Kontext entstand auch ein Studiengang an der Universität St. Gallen.

Von K.O. zu O.K.: Wladimir Klitschko knockte früher im Ring Gegner aus – heute hilft er Menschen bei ihrer persönlichen Transformation und setzt sich für seine ukrainischen Landsleute ein.

Nach einem ersten Konsoli­dierungsjahr, in dem der letzte Box­kampf stattfand, erzielte Kiel, so das Unternehmen, als Geschäftsführerin von Klitschko Ventures einen „nicht unerheblichen Umsatz“. In den fol­genden Jahren gab es Wachstums­raten im zweistelligen Bereich, meldet das Unternehmen. 2021 steht ein Jahresüberschuss von gut 700.000 € in der Bilanz, nach einigen verlustreichen Jahren. Den Brüdern sei es aber nie um Geld gegangen, sagt Kiel, und so ist Klitschko Ventures nicht profitorientiert. Kiel selbst blickt sehr kritisch auf die Kategorien NGO und For Profit: „Wie kann es eigentlich sein, dass wir von Profit und Non Profit reden? Das bedeute ja, dass Profit das A und O von Unternehmungen ist. Warum nicht von „Impact“ und „Non-Impact“ reden und diese als wesentliche Kategorien betrachten bzw. einsetzen? Jede Unternehmung könnte durch ihre Produkte oder Dienstleistungen auch gesellschaftliche Herausforderungen lösen.“ Sie versuche sich stets vor Augen zu halten: „Was bedeutet eigentlich Impact? Es kann bedeuten, dass man Geld macht. Aber ich stehe morgens nicht auf, um Stakeholder glücklich zu machen, sondern um tatsächlich einen Mehr­wert bieten zu können für die Ziel­gruppe, die es gerade braucht.“ Und das seien aktuell vor allem die Kinder, die aus der Ukraine nach Russland verschleppt werden.

Nach Angaben des Nationalen Informationsbüros der Ukraine wurden seit Kriegsbeginn etwa 19.505 Kinder nach Russland entführt oder zwangsdeportiert. Kiel sagt, es seien mehr als 22.000, von denen sie bis­lang 120 zurückholen konnten; ein sehr kleiner, aber ein sehr wichtiger Erfolg. Kiel ist das Gespräch über extrem klar und ruhig, fast kühl; bei diesem Thema wird die Mutter einer Tochter aber emotional: Sie arbeite viel mit Fakten, die am Ende oft fast nicht greifbar seien – „aber diese einzelnen Schicksale zu hören, das sind die Dinge, die mich dann sehr nachdenklich werden lassen und auch traurig machen.“ Sie versucht, so gut und so oft wie möglich abzuschalten, beim Laufen oder wenn sie Zeit mit ihrer Tochter verbringt; denn nur diese Ruhe­phasen erlaubten es ihr, die anspruchsvollen Aufgaben zu meistern, sagt sie. Auch wenn ihr Fokus weiterhin den Ukrainern gilt, wird Klitschko Ventures weiter aktiv sein. Das gehört für sie zusammen. „Für Klitschko Ventures wird weiterhin die Transformation von Menschen und Unternehmen alles bedeuten. Und all das, was wir im NGO-Bereich machen, werden wir und ich sowieso noch weiterhin machen, so lange, wie es gebraucht wird. Wenn ich dieses Gefühl für das, was ‚da draussen‘ passiert, nicht mehr habe, dann kann ich auch gar nicht die Arbeit bei Klitschko Ventures machen. Des­wegen bedingt sich das alles.“

Tatjana Kiel ist CEO von Klitschko Ventures und hat mit Wladimir Klitschko die Initiative #WeAreAllUkrainians gegründet. Sie ist inzwischen Co-Geschäftsführerin der gleichnamigen gemeinnützigen GmbH.

Fotos: Andreas Weiss

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Deputy Editor in Chief

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