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Blackrock Neurotech kann sie erraten. 2022 will das Unternehmen mit seinen Brain-Computer Interfaces in Serie gehen.
Im Alter von 37 Jahren wacht Neo das erste Mal auf: in einem Schleimtank, zwischen unzähligen anderen Tanks. In jedem von ihnen steckt ein Mensch, der in einer computergenerierten Welt lebt, isst, schläft und fühlt. Sein ganzes Leben ist eine Inszenierung. Keine seiner Erfahrungen ist real, bis er aus der Matrix aufgewacht ist. Soweit, dass Maschinen unsere Gedanken kontrollieren können, wie in dem Sci-Fi-Film von 1999, sind wir zwar nocht nicht, andersherum funktioniert das aber schon sehr gut.
Querschnittsgelähmten zu eigenständiger Mobilität verhelfen und Menschen mit Locked-In-Syndrom (Anm. Das Eingeschlossensein-Syndrom bezeichnet den Zustand, wenn Menschen körperlich fast vollkommen gelähmt, gleichzeitig aber bei vollem Bewusstsein sind.) die Möglichkeit zur Kommunikation zu bieten ist die Lebensaufgabe von Florian Solzbacher. 2008 gründete der in den USA lebende Deutsche gemeinsam mit Marcus Gerhardt (CEO) das Medtech-Unternehmen Blackrock Neurotech: “Wir sind kurz davor nicht mehr nur Leuten, die an einer Multimillionen Dollar Studie teilnehmen, helfen zu können, sondern allen da draussen, die es brauchen”. Mit seinen mittlerweile 100 Angestellten entwickelt Solzbacher im Hauptsitz in Salt Lake City, Utah, Brain-Computer-Interfaces (BCI), die es ermöglichen, externe Geräte durch die eigenen Gedanken zu steuern. Wie so etwas funktioniert?
Bei einer Implantation werden die Messelektroden des BCI an die Neuronen des Nervensystems „angeschlossen“. Die Nervenzellen leiten einen Reiz weiter, der aber bei einem querschnittgelähmten Patienten, „ins Nichts“ verläuft. Das BCI nimmt diesen Reiz auf, verstärkt ihn und leitet ihn weiter. Das Signal wird decodiert und seine Muster abgelesen. Diese Muster können wiederum eine Handlung auf einem Computer auslösen, eine Bewegungsabsicht ableiten – oder sogar in Sprache umgesetzt werden. Andersherum können BCI nicht nur elektrische Impulse erfassen, sondern diese auch stimulieren und so eine Reaktion im Körper hervorrufen. Ein BCI zu implantieren ist, trotz der vielseitigen Möglichkeiten, ein invasiver, chirurgischer Eingriff. Dazu muss ein rund zwei Zentimeter grosses Loch in die Schädeldecke gebohrt werden. „Jede OP hat Risiken“, wie Solzbacher selbst zugibt. Es muss also immer eine Risikoabwägung stattfinden: Wie viel Lebensqualität gewinnt der Patient durch die Operation?
Die Nachfrage am Markt besteht jedenfalls: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben 15% der Weltbevölkerung mit einer Behinderung – das sind über eine Milliarde Menschen. „Ein Querschnittsgelähmter kostet Krankenkasse und Familie im Schnitt 4,7 Millionen US-$”, so Solzbacher. Vielen davon könnte durch das BCI geholfen werden, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Doch bei physisch Eingeschränkten oder Benachteiligten hört es nicht auf: Den Drang, sich und seine Leistungen zu verbessern, verspüren auch völlig gesunde Menschen. Die kommerzielle Zulassung der BCI von Blackrock Neurotech ist für 2022 geplant. Der Preis liegt, je nach Implantat und Operation, zwischen 20.000 und 30.000 US-$, plus Nachbehandlung. Im nächsten Schritt sollen auch gesetzliche Krankenkassen die Kosten übernehmen. Doch das könnte laut Solzbacher noch drei bis vier Jahre dauern. Sowieso will er den Zugang allen ermöglichen, die von der Technologie wieder an Lebensqualität gewinnen könnten. Deshalb plant das Unternehmen eine Stiftung, die Spenden für Menschen vermittelt, die die Kosten nicht selbst tragen können.
Neben dem Markt muss Blackrock Neurotech, übrigens nicht mit der gleichnamigen Investmentgesellschaft verwand, auch die Konkurrenz im Auge behalten. 2016 gründete Tesla-Chef Elon Musk das Unternehmen Neuralink. Es sammelte im Juli 2021 205 Millionen US-$ an Risikokapital ein, um seine eigene Version eines BCI zu entwickeln. Während Neuralink noch mit Tierversuchen, bei denen die Gedankenströme von Affen und Schweinen erfasst werden, beschäftigt ist, erhielt das Start-up „Synchron“ Anfang August die Erlaubnis der FDA (die Food and Drug Administration in den USA, Anm.). Demnach darf das Unternehmen ihre BCI im Rahmen von klinischen Studien auch bei Menschen einsetzen. Das Geld für Blackrock Neurotech stammt ebenfalls von Geldgebern: Mit Christian Angermayer und Peter Thiel, die nebst anderen Investoren im Mai zehn Millionen US-$ zur Verfügung stellten, hat das Unternehmen namhafte Investoren an Bord. Angst hat Solzbacher vor der Konkurrenz nicht, mit einem Lächeln meint er nur: „The more the merrier.“
Solzbacher ist schon früh viel herumgekommen. Geboren wurde er in Saarbrücken, jedoch wuchs er in Frankreich auf, bevor er in Grossbritannien die Schule besuchte. Insgesamt verbrachte er mehr als die Hälfte seines Lebens im Ausland. Dennoch zog es ihn für sein Elektrotechnik-Studium zurück in seine Geburtsstadt Saarbrücken, später wechselte er an die TU Berlin. Das Interesse, Menschen mit Behinderungen durch technische Lösungen zu helfen, zeigte sich schon früh. Deshalb spezialisierte sich Solzbacher auf biomedizinische Technik, Halbleiter und Mikrosystemtechnik. Sein erstes Start-up gründete er im Alter von 24 Jahren im Bereich Automobil-Sensorik. Die eigenen Anteile verkaufte er später an Siemens. Solzbacher schätzt sich bis heute glücklich, dass er sein erstes Unternehmen in Deutschland gründen konnte. Trotzdem zog es ihn nach seinem Studienabschluss nach Utah. „Ich wusste immer, dass ich im angelsächsischen System besser funktioniere als im deutschen.“ Die Risikobereitschaft und das verfügbare Kapital zogen ihn in die USA.
Florian Solzbacher
...gründete 2008 gemeinsam mit Schulfreund Marcus Gerhard Blackrock Neurotech. Neben seinem Vorsitz im Unternehmen unterrichtet er als Professor an der University of Utah.
Doch sein Weg führt ihn nicht unmittelbar zurück ins Unternehmertum: Solzbacher wird 2004 Professor an der University of Utah. Das Ausbilden der neuen Generation an Ingenieuren und das Erfinden neuer Technologien sind zwei essentielle Komponenten seines Lebens, denn er möchte in der Forschung „immer wieder Neuland betreten“.
Nachdem er eine ganze Reihe an Patenten entwickelt hatte, beschloss Solzbacher, dass er das sichere Nest der Universität verlassen will. Gemeinsam mit Schulfreund Marcus Gerhardt will er etwas aufbauen. Ein Start-up „from scratch“ zu gründen, kam aber nicht infrage. Das hatten beide schon mehrere Male gemacht. Parallel dazu trat Solzbacher in Kontakt mit Cyberkinetics Neurotechnologies (CN); von ihnen wollte er die Lizenz für das Utah Array, dem Gerät, dass als neuronale Schnittstelle fungiert. CN hingegen war sogar bereit, Solzbacher das Unternehmen zu verkaufen. Nun hatten weder Solzbacher noch Gerhardt die nötigen Mittel für eine solche Übernahme – oder, wie Solzbacher selbst es ausdrückt: „Wir hatten beide keinen Warren Buffett in der Familie.“ Also gründete er stattdessen 2008 mit Gerhardt „Blackrock Microsystems“ und kaufte Komponenten von CN auf. Im Mai diesen Jahres wurde das Unternehmen in “Blackrock Neurotech” umbenannt, um “den eigentlichen Fokus besser wiederzuspiegeln”.
Da die Wissenschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehr ausgereift war, beschlossen sie genau dort anzusetzen. Blackrock Neurotech verkauft Software, Elektroden, Elektronik und Chirurgisches Werkzeug. Alles was nötig ist, um an BCI zu forschen und diese weiter zu entwickeln. Das Konzept ging auf: Nach nur neun Monaten war der Cashflow von Blackrock Microsystems positiv. Heute sieht sich Blackrock Neurotech nicht mehr durch technische Möglichkeiten, sondern nur noch durch den Aufbau der nötigen Infrastruktur sowie die (fehlende) Geschwindigkeit bei den Zulassungsverfahren beschränkt. Denn bisher findet man BCI dauerhaft implantiert nur in klinischen Studien. Weltweit haben erst 31 Menschen ein Implantat, davon zwei von der australischen Konkurrenz Synchron, der Rest gehört zu Blackrock Neurotechs Klienten.
Neurotech-Startups dürfen aber auch mit viel Gegenwind rechnen: Chile hat vor kurzem als erstes Land zwei Gesetzentwürfe zu „Neurorechten“ vorgelegt. Es sollen Rechte und Schutzansprüche auf die Daten der eigenen Gedanken festgehalten werden. Auch Solzbacher sieht in ethischen Fragen die grössten Herausforderungen. Denn obwohl schon vielen Patienten geholfen werden konnte, so der Gründer, verbreite Hollywood „Unfug. Davon, Gedanken zu kontrollieren, sind wir noch sehr weit weg.“ Doch der Unternehmer ist überzeugt, dass die Akzeptanz in der Gesellschaft weiter wächst und die Technik in einigen Jahren genau so anerkannt sein wird, wie ein Herzschrittmacher heute. Er ist der Meinung, „Nichts ist ein statisches Modell, aber das hängt vom gesellschaftlichen Umfeld ab. Bei diesem Thema muss man kämpfen um von einem Schritt zum nächsten zu kommen.“
Nichts ist ein statisches Modell, aber das hängt vom gesellschaftlichen Umfeld ab. Bei diesem Thema muss man kämpfen um von einem Schritt zum nächsten zu kommen
Florian Solzbacher, Mitgründer und Vorsitzender, Blackrock Neurotech
Für Florian Solzbacher ist das alles sowieso erst der Anfang. “Im nächsten Schritt muss man schauen, ob das ganze auch im grossen Stil funktioniert.” Solzbacher erwartet sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren kleinere und leistungsfähigere Implantate, die mehr Nervenzellen überwachen können und nicht nur gelähmten Menschen, sondern auch jenen mit Depressionen, neuropathischen Schmerzen, Alzheimer und Parkinson helfen werden. Auch der Eingriff, um das Implantat einzusetzen, sollte bis dahin eine Routineoperation geworden sein. „Wir möchten nur ein bisschen mitwirken, bei diesem grossen Schritt der Menschheitsgeschichte.“
Text: Juli Sixel
Fotos: Bret Kavanaugh, Blackrock Neurotech