DIE DIGITALISIERUNG DES KRIEGS

Sieben Jahre lang war Erich Vad höchster militär­politischer Berater der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Interview spricht er über neue Gefahrenquellen, hybride Konflikte sowie die Vision einer europäischen Armee.

Erich Vad ist Druck gewöhnt. Als ­militärpolitischer Berater von Angela Merkel war er von 2006 bis 2013 in höchste politische Prozesse involviert, beriet Merkel bei sensiblen Entscheidungen und begleitete die deutsche Bundeskanzlerin bei Auslandsbesuchen. Doch der Mann hat offensichtlich seine eigene Strategie entwickelt, um mit Druck umzugehen: Auf Reisen etwa, so erzählt er im Rahmen einer Keynote an der Johns Hopkins University in Bologna, hatte er immer seine Sporttasche dabei. Vad strahlt Ruhe aus – denn wenn es um neue Gefahren geht, heisst es, den Fokus zu bewahren …

Wie sah Ihre Arbeit als militär­politischer Berater von Angela Merkel aus?

Angela Merkel hat und hatte ein grosses Interesse an sicherheits- und militärpolitischen Themen. Ich war mit ihr oft in Afghanistan (der Deutsche Bundestag stimmte 2001 der Entsendung deutscher Streitkräfte nach Afghanistan zu, deutsche Truppen sind nach wie vor dort stationiert, Anm.) sowie in den Krisengebieten dieser Welt, wenn es um Sicherheitsthemen ging. Merkel hat etwa auch die Ertüchtigungsstrategie in der deutschen Sicherheits­politik auf den Weg gebracht: in dem Sinne, dass Deutschland nicht immer bei Auslandseinsätzen dabei sein muss, sondern Partner in der Welt ertüchtigt, selbst für die eigene Sicherheit zu sorgen; und zwar im gesamten Spektrum von „Good Governance“ – von politisch-diplo­matischer Unterstützung bis hin zur Ausbildung und Ausrüstung von Streitkräften, einschliesslich des ­kritischen Bereichs der Rüstungs­exporte.

In einem Gastkommentar haben Sie geschrieben, dass das Erhalten der digitalen Souveränität immer mehr zu einem zentralen Anliegen des Staates wird. Muss Europa mehr auf Regulierung und Netzüberwachung setzen?

Über eine digitale Souveränität verfügen heute nur die USA und China, Europa hinkt Jahre hinterher. Ich halte ein souveränes digitales Europa in Zukunft für alles andere als realistisch. Dennoch wäre dies wünschenswert, genauso wie eine ­sicherheitspolitische Eigenständigkeit, um mit den Amerikanern auf Augenhöhe interagieren zu können. Letztlich müssen wir aber im digitalen Bereich mit den Amerikanern in einem funktionierenden westlichen Bündnis arbeiten – alternativ hat Europa nur die gefährliche Möglichkeit, als Appendix in einer zunehmend von China dominierten eurasischen Ordnung zu agieren. Eines ist klar: Wenn ein Staat heute nicht sicherstellen kann, dass Cyber­attacken abgewehrt werden, Informationen abfliessen oder Desinformations­kampagnen laufen, hat man einen Konflikt schon verloren, bevor er ­losgeht.

Erich Vad
... ist Brigadegeneral a. D. und war von 2006 bis 2013 militär­politischer Berater von Angela Merkel. Vad war zudem Gruppenleiter im Bundeskanzleramt und Sekretär des Bundessicherheitsrates, des höchstrangigen Sicherheitsgremiums in Deutschland. Heute ist der promovierte Militärhistoriker Dozent an Universitäten und Inhaber von Erich Vad Consulting, einer Unternehmensberatung in Grünwald bei München.

2015 fanden in der West­ukraine Hackerangriffe statt, die die Stromversorgung in weiten Teilen lahmlegten. Werden wir in Zukunft mehr solcher Attacken auf Infrastruktur erleben?

Cyberangriffe werden ein grosser Bestandteil künftiger Konflikte im militärischen und sicherheits­politischen Bereich sein – wir nennen das hybride Konflikte. Russland hat dies zum Beispiel in der Ukraine (2015, Anm.) oder in Georgien (2019, Anm.) durchgeführt, ebenso bei der versuchten Beeinflussung der US-Wahlen im Jahr 2016. Dennoch kann man nicht vorschnell sagen, dass künftige Kriege ausschliesslich Cyberkriege sein werden. Krieg wird immer eine blutige Angelegenheit bleiben, aber die Cyberdimension wird eine grössere Rolle spielen. Es wird auch wichtiger für eine Weltmacht – neben der militärischen, finanziellen und kulturellen Vormachtstellung –, den Weltraum und die Satelliten zu kontrollieren.

Wie muss die Verteidigung ­eines Staates aussehen, um Cyber­angriffe präventiv zu bekämpfen?

Das ist die Gretchenfrage, denn die Bedrohungslage wird vielfältiger: Staaten können in Zukunft etwa so vorgehen, dass sie eigene Minderheiten, die in einem Nachbarland leben, durch Desinformationskampagnen aufhetzen oder mit deren Geheimdiensten kooperieren. Ebenso können sogenannte „grüne Männchen“, die offiziell keine Soldaten sind, Aktionen durchführen, um die Informations- und Kommunikationssysteme des betreffenden Landes lahmzu­legen (diese Methode wurde im Laufe des Ukraine-Kriegs 2015 von Russland angewandt, Anm.). Dann kommt es womöglich zum Zusammenbruch des gesamten Systems – ohne dass auch nur ein Schuss gefallen ist.

Wechseln wir auf die territoriale Ebene: Die EU diskutiert über eine tiefergehende militärische Integration. Eine EU-Armee, also die Bündelung der ­Streitkräfte, wird dabei oft als das Fernziel ­genannt. Was halten Sie davon?

Die europäische Armee sehe ich als Vision in weiter Ferne. Selbst wenn es gute verteidigungspolitische Kooperationen in Europa gibt, etwa deutsch-französische oder deutsch-niederländische: Eine tatsächlich eigenständige Verteidigung Europas ohne Einbeziehung der USA ist aus heutiger Sicht utopisch.

Ist es nicht heikel, wenn sich ­Europa militärisch weiter auf die USA verlässt?

Ich betrachte bei dieser Thematik rein die militärischen Fähigkeiten der europäischen Partner und nicht die politische Rhetorik. Begriffe wie „europäische Armee“ oder „europäische Verteidigungsunion“ werden von Politikern oftmals und immer wieder gerne in den Mund genommen – aber dann müsste da auch Substanz dahinterstecken.

Cyberattacken werden ein grosser Bestandteil künftiger Konflikte im militärischen und sicherheitspolitischen Bereich sein.

Wäre eine eigenständige Verteidigung Europas überhaupt mit Verteidigungs­ausgaben, die 2 % des BIP betragen (Ziel der NATO-Partner, Anm.), machbar?

Natürlich nicht. Deutschland etwa ist von den geforderten 2 % noch sehr weit entfernt (die Militär­ausgaben Deutschlands betrugen im Jahr 2018 1,2 % des BIP, Anm.). ­Sicherlich bräuchte man in jedem Land 4 bis 6 % oder gar noch mehr, um die Verteidigung Europas eigenständig organisieren zu können. Ich sehe nicht, dass dies mehrheits­fähig ist.

Heute sind Sie Leiter von Erich Vad Consulting, einer strategischen Unternehmensberatung nahe München. Worum handelt es sich hierbei konkret?

Als Unternehmensberater bin ich vorwiegend im „Non-Defense“-Bereich tätig. Unternehmen wollen sich strategisch neu aufstellen, ein Produkt auf den Markt bringen oder eine Beurteilung haben, wie es in Deutschland oder auf EU-Ebene aufgenommen werden würde. Es geht um die politische, strategische Begleitung in konkreten Geschäfts­feldern und Marktsegmenten.

Text: Niklas Hintermayer
Fotos: Thomas Dashuber

Der Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2019 „Sicherheit“ erschienen.

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