Die Cyber-Cops aus München

Es ist ein billionenschweres Problem, das Tobias Schweiger mit seinem Unternehmen Hawk AI lösen will: Cybercrime wächst stark und die eingesetzten Technologien, um es zu bekämpfen, sind veraltet. Mit seiner Software, die auf der Basis von künstlicher Intelligenz agiert, will Hawk AI Finanzinstituten helfen, hier klüger zu agieren, und mit frischem Geld will das Unternehmen nun noch stärker in den USA und Asien angreifen. Doch auch die Verbrecher schlafen nicht.

Spricht Tobias Schweiger über die Werkzeuge, die Finanzinstitute aktuell nutzen, um Kriminalität und Geldwäsche zu bekämpfen, wählt er in der Regel keine allzu schmeichelhaften Worte. Die ver­wendeten Sys­teme seien „drastisch ineffizient“, so Schweiger, und bliesen das zu behandelnde Problem auf eine Dimension auf, die nicht nur riesige Abteilungen in Banken und Ver­sicherungen nötig mache, sondern auch dazu führe, dass Finanz­­institute in langwierigen Gerichts­verfahren nicht wenig Geld ­verlieren.

Dass sich Banken und Versicherungen gegen Betrüger schützen wollen, ist klar – und auch nichts, was Schweiger ihnen absprechen will. Das Problem: Aus Angst, eine betrügerische Transaktion zu übersehen, haben Finanzinstitute vor längerer Zeit Systeme etabliert, die heute veraltet sind und viel zu oft ausschlagen. Diese „False Positives“, also fälsch­licherweise Alarm auslösenden Transaktionen, fallen in Sachen Effizienz deutlich schwerer ins Gewicht als die tat­sächlichen Betrugsfälle. „Von 100 Alarm auslösenden Fällen sind nur zehn relevant – und 90 irrelevant“, so Schweiger.

Mit Hawk AI hat Schweiger, der das Unternehmen 2018 mit Wolfgang Berner in München gründete, die richtige Lösung parat: Mithilfe künstlicher Intelligenz bzw. maschinellen Lernens verspricht die vom Unternehmen entwickelte Software Effizienz­gewinne von 70 % und mehr. „Die Zahl kann auch höher liegen“, so Schweiger – denn die Software von Hawk AI lernt mit den Transaktionen mit und kann daher viel genauer sagen, ob eine Finanzbewegung tatsächlich betrügerisch ist oder nicht. „KI-Systeme schauen viel genauer hin und sind intelligenter“, so Schweiger.

Doch das Fintech will Finanzinstituten nicht nur dabei helfen, Effizienzgewinne zu realisieren, vielmehr haben die Gründer den Anspruch, Verbrechern weltweit das Handwerk zu legen. „Wir wollen Banken nicht nur dabei helfen, ihre Audits zu bestehen – wir sind angetreten, um einen Unterschied in der Kriminalitätsbekämpfung zu machen“, sagt Schweiger. Dass der Bedarf gegeben ist, zeigen die Zahlen: Bis 2025 könnte Cyber­crime weltweit einen Schaden von 10,5 Bio. US-$ verur­sachen. Doch für Hawk AI ist der Fokus auf Ver­brechensbe­kämpfung kein reiner Altruismus, vielmehr ist auch in der Entdeckung tatsächlicher Betrugsfälle ein Geschäftsfall versteckt. Schweiger: „False Positives sind in Sachen Effizienz das Problem, doch wenn Finanzinstitute auch an ihre Repu­tation denken, dann müssen sie vor allem auch darauf achten, keine Betrugsfälle unentdeckt zu lassen.“

Um dieses hehre Ziel zu erreichen, hat sich das Münchner Start-up mit Geld ausgestattet: Im Januar 2023 sammelte Hawk AI in einer Finanzierungsrunde 17 Mio. US-$ ein, die Bewertung lag damals bei 67 Mio. €. Der Geldregen folgte einer Finanzierungsrunde, die 2021 bereits zehn Mio. € in die Kassen gespült hatte. Zu den Kunden gehört etwa der grösste Kreditkartenanbieter Visa oder das deutsche Kreditkarten-Start-up Moss. Es ist also ordentlich was los bei Hawk AI, was auch Schweiger beim Interview mit Forbes in München betont: „Bei uns ist gerade wirklich viel Spannung und Dynamik spürbar.“

„Wir wollen Banken nicht nur dabei helfen, ihre Audits zu bestehen – wir sind angetreten, um einen Unterschied in der Kriminalitätsbekämpfung zu machen.“

Die Jagd nach Betrügern und Verbrechern im Internet gleicht oft einem Katz-und-Maus-Spiel – denn während die Lösungen für die Bekämpfung von Verbrechen im digitalen Raum immer besser werden, haben natürlich auch die Verbrecher selbst Zugang zur neuesten Technologie. „Natürlich ändert sich kriminelles Verhalten“, sagt Schweiger, „Kriminelle nutzen etwa ChatGPT, um bessere Phishing-Mails zu schreiben.“ Das übersteige teilweise auch schon die Fähigkeiten einzelner Menschen. Digitale Passfälschungen könnten beispielsweise nur mit speziellen Scannern erkannt werden – das menschliche Auge schaffe das gar nicht mehr, so Schweiger: „Das ist quasi ein Wettrüsten der beiden Seiten.“

Dabei hinken auch die Regu­lierungsbehörden – mit denen Hawk AI zwar in engem Austausch ist, die aber keine Kunden des Start-ups sind – teilweise hinterher. Zwar seien pauschale Aussagen schwierig, sagt Schweiger, aber eine gewisse regulatorische Agilität sei nicht immer gegeben: „Auf neue Trends reagiert die Regulatorik oder die Finanzaufsicht oft innerhalb von Jahren, selten schneller. Das ist etwas, wo ich mir noch mehr Geschwindigkeit wünschen würde.“ Wobei Schweiger betont, dass die Europäische Union durchaus versuche, Kräfte zu bündeln – insbesondere in der neuen europäischen Behörde AMLA (Anti Money Laundering Authority).

Sein Geld verdient Hawk AI in einem Software-as-a-Service-­Modell (SaaS): Kunden zahlen eine Lizenzgebühr, deren Höhe sich an der Anzahl der Transaktionen orientiert. Hinzu kommen Erwei­terungsmodule, etwa „Fraud“, die zusätzlich kosten. Der Jahres­umsatz des Unternehmens lag zuletzt bei sechs Mio. €, das Wachstum betrug rund 100 %. Das soll so weitergehen, meint Schweiger: „Wir sehen bei unserem Wachstum eigentlich sogar eine noch höhere Beschleunigung, da die Themen Technologie und KI gerade ziemlich gefragt sind.“

Tobias Schweiger und Wolfgang Berner lernten sich an der FH Salzburg kennen, wo beide Telekommunikationstechnik studierten. Für Schweiger folgten nach dem Studium berufliche Stationen bei Telefónica Deutschland, beim Beratungshaus Roland Berger sowie bei Pro Sieben Sat. 1, bevor er seinem ehemaligen Studienkollegen zum Zahlungsanbieter Pay On folgte, der später vom US-Konzern ACI Worldwide gekauft wurde. 2018, Berner war zu diesem Zeitpunkt bereits zwölf Jahre in der Branche, starteten die beiden schliesslich Hawk AI in München. Die Rollen­verteilung zwischen ihnen war von Anfang an klar: „Ganz grob ist es Nicht-Technik und Technik. Das liegt auch an unserem Werdegang: Wolfgang war immer für Produkt und Technik zuständig – und ich mache den Rest. Dazu gehören Vertrieb, Marketing, Finance.“

Das 85 Personen starke Team, das erst im Frühjahr 2023 in ein neues Büro am Münchner Ostbahnhof umgezogen ist, wächst stark. „Wir hatten den Wunsch, ein eigenes Büro zu beziehen und unseren Anspruch dadurch auch zu unterstreichen“, so Schweiger. Neben dem Hauptquartier in München besitzt das Start-up auch weitere Büros in New York City, London und Singapur. Während Europa mit fast 50 % des Umsatzes noch der Heim- und auch der stärkste Markt ist (der Grossteil der zweiten Hälfte kommt aus den USA), will Schweiger das frische Geld aus der Finanzierungsrunde neben den USA vor allem in das Wachstum in Asien stecken. „Wo die Reise letztendlich hinführt, wird sich zeigen. Wir hegen da nicht die grossen Fantasien – bei uns gilt: Execution first“, so der CEO.

Tobias Schweiger und Wolfgang Berner lernten einander an der FH Salzburg kennen, wo beide Telekommunikations­technik studierten. Schweiger war bei Telefónica Deutschland, beim Beratungshaus Roland Berger sowie bei Pro Sieben Sat. 1 tätig, bevor er Berner zum Zahlungs­anbieter Pay On folgte. 2018 gründeten die beiden Hawk AI in München.

Fotos: Thomas Dashuber

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