Der Wirecard-Skandal und seine Folgen

Der Wirecard-Skandal zeigt: Wenn die Behörden ihre Arbeit nicht erledigen, haben Anleger keine Chance. Das wird auch langfristige Konsequenzen für die Branche haben, meint Chefredakteur Klaus Fiala.

Obwohl die Story eigentlich gar nichts mit der ­alles dominierenden Coronavirus-Pandemie zu tun hatte, schaffte es der deutsche Zahlungsdienstleister Wirecard dennoch, die ­Schlagzeilen tagelang zu beherrschen. Denn inmitten einer der grössten Wirtschaftskrisen der Welt­geschichte setzte erledigte sich Wirecard mit einem hausgemachten Skandal selbst: In einem der grössten Betrugsfälle der letzten Jahrzehnte wurde im Juni bekannt, dass bei dem Unternehmen 1,9 Milliarden €, die in der Bilanz als Assets ausgewiesen wurden, schlicht nicht ­vorhanden waren – das Geld hat womöglich nie existiert. Gründer und CEO Markus Braun trat zurück, gegen ihn wird aktuell unter anderem wegen Markt­manipulation ermittelt; Jan Marsalek, ehemaliger Vorstand, wird von Interpol gesucht – er ist untergetaucht. Wirecard eröffnete mittlerweile das Insolvenzverfahren, 5.800 Mitarbeiter bangen um ihren Job. Die Aktie ging auf Talfahrt und rasselte binnen wenigen ­Tagen von 100 € auf 2 € nach unten. Als der Skandal öffentlich wurde, stellte mein Vater – wie Tausende andere Kleinanleger sich wohl auch – mir die Frage, ob er als Aktionär etwas falsch gemacht habe. Die Aktie war ein Liebling bei den Privatinvestoren, die Zahlen waren grossartig, die Technologie leicht verständlich. Die Antwort lautet „Nein“ – die Fehler wurden anderswo begangen.

Die Aufsichtsbehörden und der zuständige Wirtschaftsprüfer haben ihren Job nicht gemacht. Denn wie kann es sein, dass ein Wirtschafts­prüfungsriese wie EY ein fast zwei Milliarden € grosses Loch in einer Bilanz nicht sieht? Normale Wirtschaftsprüfungen sind in der Regel zwar nicht darauf ausgelegt, Betrugsfälle zu entdecken, aber 1,9 Milliarden € sind kein Kleingeld. Auch die deutsche Finanzmarktaufsicht Bafin hat sich keineswegs mit Ruhm bekleckert: Dass Bafin-Chef Felix Hu­feld dann noch die Chuzpe hat, sich über ein rechtliches Schlupfloch herausreden zu wollen – Wirecard sei kein reines Finanzunternehmen, weshalb die ­Behörde nur über die Banktochter die direkte Aufsicht ­hatte –, ist abenteuerlich. Denn bei berechtigtem Zweifel hätte die Aufsicht sehr wohl ­einschreiten dürfen.

Der Skandal wird zwei Langfristfolgen haben: Erstens werden sich zumindest einige bisher interessierte Kleinanleger vom Markt abwenden – ohnmächtig ob der Vorgänge und von den Verlusten voll getroffen. Das führt zum Abzug von Geldern zu renditeschwachen Anlageformen wie Sparbüchern, was Wohlstand zerstört und die Kapitalmarktaffinität in Deutschland und Österreich weiter schwächt. Zweitens – und das zeigt sich auch in den Ankündigungen des deutschen Wirtschaftsministers Olaf Scholz – will die Aufsicht zwar ihre Lehren aus dem Debakel ziehen, es werden jedoch die falschen sein. Die Rede ist von härterem Vorgehen, strengeren Kontrollen, mehr Regulierung. Doch das verhindert Innovation in der sowieso schon eingeengten Fintech-Szene. Viel eher bräuchte es eine adäquate Regulierung, die dort loslässt, wo es kein Einschreiten braucht – und dort agiert, wo es eben notwendig ist. Überhaupt muss die Bafin sich angesichts der Fintech-Szene und der zunehmenden Digitalisierung der Finanzwelt überlegen, ob der Ansatz, Finanz- und Technologieunternehmen zu trennen, noch zeitgemäss ist. Kleinanleger sollten ermutigt werden, junge Fintechs dazu angehalten, zu innovieren. Der Wirecard-Skandal wird zum Gegenteil führen – mit verheerenden Langfristfolgen.

Der Artikel erschien in unserer Juni-Ausgabe 2020 „Next“.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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