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Mit seiner Technologie zur Audioanalyse konnte das Münchner Start-up Audeering bereits namhafte Unternehmen wie BMW, Huawei oder die Deutsche Telekom von sich überzeugen. Geht es nach CEO Dagmar Schuller, ist das Potenzial ihrer Technologie noch lange nicht ausgeschöpft – bald schon soll sie auch Coronainfektionen und andere Krankheiten wie Depressionen und Alzheimer erkennen.
Statt mittels Coronatest, bei dem ein Stäbchen in Nase oder Mund eingeführt wird, könnte eine Covid-19-Infektion bald auch schon anhand der Stimme festgestellt werden – zumindest, wenn es nach Dagmar Schuller geht. 2012 gründete sie auf Basis künstlicher Intelligenz das Audioanalyse-Unternehmen Audeering, mit dem sie mehr als 50 Emotionszustände wie Wut, Freude oder Trauer anhand der Stimme feststellen kann. Bald sollen dadurch auch Krankheiten wie Depressionen, Alzheimer – oder eben eine Coronainfektion – diagnostiziert werden können, indem die Technologie Biomarker (messbare Parameter biologischer Prozesse) in der Stimme misst. Zusätzlich sollen ein Roboter für Empathietrainings mit autistischen Kindern und eine Therapie gegen Angstzustände angeboten werden. „Wir (das Team von Audeering, Anm.) sagen immer, die Stimme ist das neue Blut, weil man so viel aus ihr herauslesen kann“, sagt die gebürtige Österreicherin.
Derzeit befindet sich Audeering damit jedoch noch in der Forschung – hierbei ist es eine zentrale Herausforderung, an genug Daten zu kommen, um das Produkt ausreichend testen und auf den Markt bringen zu können. Die strengen Datenschutzregulierungen in Deutschland stellen für Schuller ein Problem dar: „Damit werden im medizinischen Bereich grosse Fortschritte behindert.“ Ihr Ansatz: die Etablierung einer Datenspendeplattform, AI Soundlab, auf der Voicetests durchgeführt und anschliessend der Forschung zur Verfügung gestellt werden können. Bis dafür genug Daten zusammenkommen, um die Entwicklung der Technologie für die Diagnose von Krankheiten massgeblich vorantreiben zu können, stützt sich Schuller auf ihre übrigen Geschäftsfelder: Ursprünglich als Instrument in der Marktforschung konzipiert, um Reaktionen auf Produkte zu testen, findet die Technologie von Audeering mittlerweile Anwendung in Callcentern, der Autoindustrie und im Medien- und Gamingsektor. So werden in Callcentern Emotionszustände von Kunden in Echtzeit analysiert, und bei Videospielen kann zum Beispiel das Stresslevel von Kindern während des Spielens kontrolliert werden. Das vielfältige Angebot kommt an: Während Ende 2017 noch 15 Mitarbeiter bei Audeering beschäftigt waren, sind es heute über 75, und nach einem Umsatzwachstum von 80 % gegenüber 2019 generierte Audeering 2020 bereits einen Umsatz im siebenstelligen Bereich.
Dagmar Schuller wuchs in einem kleinen Dorf in der Nähe von Graz, Österreich, auf. In Wien besuchte sie schliesslich eine technische Schule und entdeckte dort ihre Faszination für computergetriebene Technologien. „Ich habe schnell erkannt, dass ich im Coden nicht so elegant bin wie viele andere – meine Stärke war, erkennen zu können, was man aus diesen Technologien machen kann“, so Schuller. Das Beratungsunternehmen Ernst & Young warb sie bereits vor ihrer Matura ab – dort war sie während ihrer gesamten Bachelor- und Masterstudienzeit (Wirtschaftswissenschaften und internationales Management an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Leonard N. Stern School of Business in New York) als Beraterin tätig. Nach ihrer Rückkehr aus New York 1998 folgte ein Jurastudium mit Schwerpunkt in IT-Recht an der Universität Wien und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dort erhielt die Grazerin 2003 einen Lehrauftrag am Institut für Wirtschaftsinformatik und lernte schliesslich eine Forschungsgruppe der TU München kennen, die zu der Zeit bereits Grundlagenforschung zu intelligenter Audioanalyse betrieb. „Ich war begeistert von der Arbeit der Gruppe und wollte sofort ein Unternehmen aufbauen“, erzählt Schuller. Gemeinsam mit den Forschungsgruppenmitgliedern Florian Eyben, Björn Schuller, Martin Wöllmer und Felix Weninger gründete sie schliesslich Audeering mit einem Budget von 7.500 € – jeder der Gründer steuerte 1.500 € Eigenkapital bei.
Bereits kurz darauf konnte das Marktforschungsinstitut GfK als Partner gewonnen werden, der Audeering im Zuge einer gemeinsamen Projektarbeit Büroräumlichkeiten und Budget für mehr Personal zur Verfügung stellte. Andere Interessenten wie BMW, Huawei und die Deutsche Telekom folgten. „Wir waren von Beginn an international so renommiert, dass wir eigentlich nie Investoren gebraucht haben und die Kunden immer von selbst zu uns gekommen sind“, schildert Schuller. 2018 kaufte sich der börsennotierte dänische Hardwarehersteller GN Group als Anteilseigner (Höhe der Anteile wird nicht bekannt gegeben) bei Audeering ein, nach neun Monaten brachte Schuller mit ihrem Unternehmen das erste Produkt auf den Markt: einen smarten, schnurlosen Kopfhörer namens Jabra Elite 85h, der die Geräuschumgebung analysiert und den Sound dementsprechend anpasst.
Dagmar Schuller
...absolvierte ein Bachelor- und Masterstudium in Wirtschaftswissenschaften und internationalem Management an der Wirtschaftsuniversität in Wien und der Leonard N. Stern School of Business in New York. 1998 folgte ein Jurastudium mit Schwerpunkt in IT-Recht an der Universität Wien und der Ludwig- Maximilians-Universität in München. 2012 gründete sie zusammen mit Florian Eyben, Björn Schuller, Martin Wöllmer und Felix Weninger Audeering.
Mit seiner intelligenten Sprachanalysetechnologie ist Audeering jedoch nicht allein auf dem Markt: Das MIT-Spin-off Cogito bietet beispielsweise auch eine Software zur Stimmanalyse für Callcenter an. Das Unternehmen sammelte bereits in mehreren Investitionsrunden zweistellige Millionenbeträge ein. Auch das israelische Start-up Vocalis Health fokussiert sich mit seiner medizinischen Audioanalyse unter anderem auf die Diagnose von Atemwegs- und Herzerkrankungen sowie Depressionen. Für Schuller kein Grund zur Beunruhigung, sieht sie doch Audeering mit seinem Angebot „in der Breite und Erfahrung als relativ konkurrenzlos“ an.
In Zukunft möchte sich Schuller vermehrt auf die Gesundheitsbranche fokussieren. Dafür soll eine eigene Firma gegründet und gemeinsam mit strategischen Partnern aus der Gesundheitsbranche – die derzeit noch gesucht werden – die Entwicklung von Therapieansätzen weiter vorangetrieben werden. Das Potenzial der Technologie ist jedenfalls gegeben: Einer Analyse des Marktforschungsunternehmens Markets and Markets zufolge soll der globale Markt für Audioanalysen von 19,6 Milliarden US-$ (im Jahr 2020) bis 2026 auf 37,1 Milliarden US-$ ansteigen. Auch Schuller sieht der Zukunft optimistisch entgegen: „The sky is the limit.“
Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: IHK: Goran Gajanin
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–21 zum Thema „Künstliche Intelligenz“.