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Deutschlands Deep-Tech-Hoffnung liegt im Herzen der nordrhein-westfälischen Universitätsstadt Siegen – denn dort befindet sich der Unternehmenssitz des Quantencomputerherstellers Eleqtron. „Quantencomputer läuten einen Paradigmenwechsel in der Informationsverarbeitung ein“, so Jan Henrik Leisse, Co-Gründer und CEO von Eleqtron, im Videocall. „Wir sprechen von einer Zeitenwende.“
Eleqtron wurde im Jahr 2020 aus der Forschungsgruppe des Lehrstuhls für Quantenoptik der Universität Siegen ausgegründet und ist mittlerweile auf ein 49-köpfiges Team herangewachsen. „Anfang 2022 waren wir noch fünf Leute, jetzt sind wir fast 50. Das ist schon abgefahren“, sagt Leisse. Die international angeheuerten Experten und Expertinnen kommen nicht nur aus verschiedenen Bereichen wie der Elektrotechnik, der Kältetechnik oder der Optik, sondern auch aus 16 verschiedenen Nationen. „Das ist ein Riesenkessel, der da brodelt“, sagt Leisse. Nicht nur fachlich sei das manchmal herausfordernd, sondern auch kulturell.
Leisse selbst ist gelernter Bauingenieur. „Ich habe schon ziemlich viele Sachen gemacht“, sagt er. Nach einigen Jahren als Bauleiter habe Leisse im Jahr 2006 ein MBA-Studium an der Wirtschaftshochschule WHU angeschlossen. Es folgten mehrere Jahre als Berater, Stationen beim Klima- und Heiztechnikexperten Viessmann im Bereich Corporate Development und M&A sowie sieben Jahre im eigenen Familienunternehmen Albrecht Bäumer, einem Experten im Bereich Schaumstoffschneidemaschinen.
Durch die Siegener Start-up-Szene hat Leisse schliesslich seine beiden Co-Gründer kennengelernt, die beiden Quantencomputer-Koryphäen Christof Wunderlich und Michael Johanning. Beide forschen seit über zwei Jahrzehnten im Bereich der Quantentechnologie und haben in der Vergangenheit bereits unter anderem mit den Nobelpreisträgern Theodor Hänsch, William Daniel Phillips und Serge Haroche zusammengearbeitet.
Die beiden Wissenschaftler hatten einen detaillierten Bauplan, doch die Finanzierung fehlte. „Meine Aufgabe war es dann, Investoren zu finden und Storytelling zu betreiben, um das Thema greifbar zu machen“, sagt Leisse.
Das scheint ihm bislang gut geglückt zu sein: Für das Ziel, Quantencomputer für reale Anwendungen nutzbar zu machen, konnte sich Eleqtron im Jahr 2022 Projektmittel in Höhe von über 15 Mio. € sichern. Die Basis bildeten die Investments des Wagniskapitalgebers Earlybird und des Siegerlandfonds, ergänzt durch Förderungen des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Bereits im Folgejahr erhielt Eleqtron zusammen mit seinen Kooperationspartnern mehrere Aufträge, unter anderem vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, mit einem Gesamtvolumen von rund 100 Mio. €.
Trotz Investitionen in Millionenhöhe ist Quantentechnologie bisher ein Nischensektor. Weniger als ein Prozent der gesamten VC-Finanzierung entfällt darauf, wie The Quantum Insider 2023 berichtete. Viele Investoren schreckten noch immer vor den hohen Kosten und den langen Entwicklungszyklen dieses Deep-Tech-Forschungsbereichs zurück.
Laut dem „State of Quantum 2024 Report“ des finnischen Quanten-Tech-Start-ups IQM haben sich die Gesamtinvestitionen im Quantensektor im Jahr 2023 in der EMEA-Region (Europa, Naher Osten und Afrika) auf 781 Mio. US-$ belaufen. Weltweit sollen die Investitionen insgesamt 1,2 Mrd. US-$ betragen haben. Dabei geben die privaten Investitionen allein kein vollständiges Bild ab – laut IQM-Bericht sollen sich die ergänzenden staatlichen Zuschüsse für Quantentechnologien in allen Ländern auf über 40 Mrd. US-$ belaufen.
Bislang wurden Quanten-Tech-Unternehmen häufig aus Universitätsclustern heraus gegründet, so wie Eleqtron, aber auch Planqc und HQS Quantum Simulations. Planqc wurde 2022 aus dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik und der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) heraus gegründet, HQS Quantum Simulations ist eine Ausgründung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). In Österreich hat sich Alpine Quantum Technologies (AQT) aus Innsbruck zu einem starken Konkurrenten im Quantentechnologiebereich entwickelt.
Eleqtron arbeitet derzeit an drei unterschiedlichen Quantencomputer-Maschinengenerationen. Die Basis setzt sich dabei immer aus den gleichen Komponenten zusammen: Ionenfallen, Mikrowellen und Laser. Parallel zur Hardwareseite laufen Softwareprojekte, denn es muss laut Leisse sichergestellt werden, dass die unterschiedlichen Hardwarekomponenten auch miteinander funktionieren. „Wir bauen hier abgefahrene Dinge. Da ist nichts Copy and Paste“, sagt Leisse. „Egal in welche Technologie wir einsteigen – Mikrowellen, Laser, Optik –, das ist immer top-notch und auch für die Lieferanten neu.“ Bislang hat Eleqtron vier Maschinen zum Gesamtpreis von 54 Mio. € verkauft. Dabei müssten neben Material- und Personalkosten auch die Entwicklungszeit für Hardware und Software sowie entsprechende Workshops eingerechnet werden, in denen die Empfänger den Umgang mit den Maschinen lernen. „Die herkömmliche Preisbildung wie bei einem Auto ergibt bei einem Quantencomputer keinen Sinn“, sagt Leisse.
Die disruptive Kraft von Quantencomputern sei enorm – und laut Leisse sogar um ein Vielfaches höher als bei KI-Anwendungen. Verschiedene Gebiete sollen dabei künftig von Quantencomputern profitieren können: Materialforschung, die Logistik- und die Pharmabranche sowie das Risikomanagement im Finanzwesen. Und das sei erst der Anfang: „In Zukunft werden Quantencomputer Lösungen für Probleme bieten können, die heute unvorstellbar sind“, sagt Leisse. Dies werde auch neue Herausforderungen an die Sicherheitstechnik stellen.
Auch im Kampf gegen den Klimawandel sollen Quantencomputer eine Schlüsselrolle spielen. „Wenn wir dieses Thema der ‚Klima-Notlandung‘ in irgendeiner Art und Weise sicherstellen wollen, dann müssen wir uns mit Quantencomputern beschäftigen“, sagt Leisse. Beim Thema Nachhaltigkeit gehe es schliesslich häufig um Simulationen und Optimierungsprobleme, die Spezialitäten eines Quantencomputers. Als Beispiel für ein Optimierungsproblem nennt Leisse Stickstoffdünger: Seine Produktion sowie seine Verwendung sind für etwa fünf Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, so ein Artikel in Nature aus dem Jahr 2022. Gleichzeitig sind Düngemittel wichtig für die Ernährungssicherheit. „Wenn man bei der Stickstoffdüngerproduktion nur 0,X % besser werden kann, dann hat das bereits enorme Auswirkungen“, sagt Leisse. „Das Potenzial ist riesig.“
Heutige Rechenzentren würden bei solchen Optimierungsproblemen an ihre Grenzen stossen, es fehle an Rechenleistung. „Klassische Computersysteme macht man aktuell grösser, indem man mehr Schaltschränke hinstellt. Das ist auf einer Leistungsebene schon schwierig, aber auf Energieebene ist das Wahnsinn“, sagt Leisse. Ein grosser Supercomputer brauche in etwa so viel Energie wie eine Kleinstadt und sei dann auch entsprechend gross: „Vier bis sechs Tennisplätze“, schätzt Leisse. Sein Quantencomputer soll in eine Garage passen und so viel Energie verbrauchen wie ein Mehrfamilienhaus.
Das gelingt Leisse und seinem Team durch ihre firmeneigene „Magic“-Technologie. Magic steht für Magnetic Gradient Induced Coupling. Um dies zu erläutern, muss zunächst das Grundprinzip eines Quantencomputers erklärt werden: Wie der Name schon sagt, nutzt ein Quantencomputer die Gesetze der Quantenmechanik. Anders als ein klassischer Computer arbeitet er nicht auf der Basis elektrischer, sondern quantenmechanischer Zustände. Dadurch ist es möglich, während des Rechnens Überlagerungszustände und Quantenverschränkung zu erzeugen. Beides ist entscheidend für die Informationsverarbeitung in Quantencomputern. Der Begriff „Quantencomputing“ soll 1981 auf der ersten Konferenz „The Physics of Computation“ am MIT durch Vorträge der Physiker Paul Benioff und Richard Feynman geprägt worden sein.
Statt mit Bits, wie herkömmliche Smartphones, Computer oder auch Supercomputer, arbeiten Quantencomputer mit sogenannten Qubits. Das Wort Qubit kommt von „Quanten-Bit“ und bezeichnet die kleinste Recheneinheit eines Quantencomputers. Das Besondere an Qubits ist, dass sie mehrere Zustände gleichzeitig annehmen können; sie können null und eins zugleich sein, oder auch jeder beliebige Wert dazwischen. Die Bits eines herkömmlichen Computers können das nicht. Während ein Computer oder Supercomputer alle Aufgaben nacheinander berechnen muss oder für mehr Parallelität mehr Prozessoren benötigt, kann ein Quantencomputer alles gleichzeitig berechnen. Das ist schneller und spart auch Energie. So kann ein Quantencomputer eine hochkomplexe Aufgabe, für die ein Supercomputer Tausende von Jahren bräuchte, in wenigen Minuten lösen.
Die derzeit grösste Herausforderung bei der Herstellung von Quantencomputern ist die Abschirmung und Kontrolle dieser Qubits, denn die Teilchen sind extrem instabil und bewegen sich bei Raumtemperatur. Um sie richtig nutzen zu können, müssen sie „ruhiggestellt“ und gegen magnetische und elektrische Felder sowie andere mögliche Einflüsse von aussen abgeschirmt werden. Unterschiedliche Quantencomputer-Hersteller haben auf diese Herausforderung unterschiedliche Antworten parat; einen goldenen Industriestandard gibt es noch nicht. Bei den Supraleitern, an denen beispielsweise IBM, Google und IQM arbeiten, finden die Rechenoperationen auf Chips statt. Um die Qubits „ruhigzustellen“, müssen diese Chips auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad gekühlt werden. Diese Modelle ähneln umgedrehten goldenen Kronleuchtern.
Eleqtron kombiniert hingegen mit seinem Magic-Konzept eine sogenannte „Ionenfallen“-Technologie mit Hochfrequenzwellen. Die Qubits können so besser von äusseren Störungen abgeschirmt und einfacher kontrolliert werden, was die Technologie präziser und skalierbarer macht. „Sobald man Chips produziert und versucht, quantenmechanische Prozesse darauf abzubilden, hat man menschengemachte Fehler“, sagt Leisse über die Schwäche der Supraleiter-Modelle. Das Kühlen der Supraleiter-Modelle benötige zudem deutlich mehr Energie. „Bei uns arbeitet das Basissystem auf Zimmertemperatur. Wir kühlen nur die einzelnen Atome mit Lasern auf den absoluten Nullpunkt herunter. Aber das ist ja keine Masse“, sagt Leisse.
Auch viele unabhängige Experten glauben an die Ionenfalle. Einem Handelsblatt-Bericht zufolge halten es Forschungsinstitute und Investoren daher für möglich, dass es universitären Start-ups gelingen kann, Google und IBM den Rang abzulaufen. Unabhängig davon, welches Unternehmen und welche Technologie sich am Ende durchsetzen werden, eines ist klar: Quantencomputer können ihre Arbeit nur dann verrichten, wenn auch die Rahmenbedingungen stimmen. „Quantencomputer haben ein enormes Potenzial, etwa für die Optimierung der Gesundheitsversorgung oder die Erforschung von Medikamenten. Das setzt aber voraus, dass wir grundlegende Probleme wie die digitale Patientenakte lösen“, sagt Leisse. Daten müssten standardisiert zur Verfügung gestellt werden, und zwar nicht nur innerhalb eines Krankenhauses, sondern idealerweise über Bundesländer- und sogar Ländergrenzen hinweg.
„Alle fragen immer: ‚Wann ist denn der Quantencomputer fertig?‘ – und verstehen nicht, dass das nur eine von drei Herausforderungen ist, die gelöst werden müssen. Denn neben der Hardware brauchen wir auch die Daten und einen passenden Quantenalgorithmus“, sagt Leisse. „Ohne diese Zutaten geht es nicht.“
Quantencomputer können Rechenleistungen erbringen, für die Supercomputer Tausende von Jahren benötigen würden. Probleme, die heute unlösbar erscheinen, werden durch sie lösbar. Das bedeutet grosse Chancen für viele Bereiche, von der Pharmaindustrie über die Materialentwicklung bis hin zu Logistik und Stadtplanung. Wir haben mit Jan Henrik Leisse, Co-Gründer und CEO des Siegener Deep-Tech-Start-ups Eleqtron, gesprochen, der mit seiner „Magic“-Technologie die grossen Player wie IBM, Microsoft und Google schlagen will.
Text: Insa Schniedermeier
Fotos: www.sichtplan.de, www.echtdigital.com