Der neue Luxus

Felicitas Morhart forscht an der Uni Lausanne zu Luxus und Konsum. Ihr Rat an die Branche: Die Basis ihres zuletzt grossen Erfolgs wird brüchig – denn die junge Generation der Konsumenten definiert den Luxusbegriff völlig neu.

Manchmal ist der wahre Luxus nicht der teure Schweizer Chronograph am Handgelenk, sondern die Zeit an sich. Das wird momentan auch Felicitas Morhart bewusst: Als Forbes die Professorin für Marketing von der HEC Lausanne und Gründerin des Swiss Center for Luxury Research zu einem Gespräch erreicht, hat sie Ferien und macht Sommerurlaub, zu Hause in der Schweiz. Sie hat keine drängenden Termine im Kalender, keine Meetings, keine Verwaltungs­aufgaben, keine Studentenbetreuung; stattdessen einfach mal Freizeit.

Lesen, Entspannen, Tagträumen, Nichtstun – auch das kann Luxus sein. Dass diese neue Art des Luxus immer gefragter wird, belegt auch Morharts Forschung: Die Marketingexpertin ist eine der wenigen Akademikerinnen in Europa, die sich intensiv mit der Erforschung des Themas Luxus beschäftigen. Dieses Feld ist noch ­relativ jung und wurde historisch nicht immer ernst ­genommen, wie die Professorin zugibt – das liege auch daran, dass Wissenschaftler tra­ditionell eher selten von Geld oder Konsum angetrieben seien. Insofern neigten sie dazu, dieses Feld ­ausser Acht zu lassen. Auch wurde Luxus­forschung lange als „Marketing für reiche Leute“ abgetan.

Doch das ändert sich, denn das Phänomen Luxus berührt Soziologie, Wirtschaft und Psychologie. Zudem haben sich schon um 1900 ­Soziologen mit „Conspicuous Consumption“ (Geltungskonsum) beschäftigt: Der US-Ökonom Thorstein Veblen entwickelte eine „Theorie der feinen Leute“. Darin untersuchte er auf öffent­liche Wirksamkeit zielendes güter(ver)brauchendes Handeln. Der „demonstrative Verbrauch“ oder die „demonstrative Verschwendung“ und das Prahl- und Protzgehabe mit Statussymbolen solle den sozialen Status untermauern respektive er­höhen, so der Forscher.

Seitdem kennt die Volkswirtschaft den ­Veblen-Effekt, wonach die Nachfrage nach ­Gütern auch dann steigen kann, wenn ihr Preis steigt. Nicht immer sorgen fallende Preise für ­höhere Nachfrage – unter bestimmten Umständen wollen Konsumenten ein Gut ­gerade wegen seines hohen Preises und seiner Exklusivität.

Luxus hat traditionell mit Ästhetik und ­Dekadenz, Schönheit, Glamour und Geld zu tun. Aber laut Morhart verändert sich dieses alte Bild gerade rasant: Die junge Generation der Konsumenten habe andere Erwartungen und ein an­deres Verständnis von Luxus. Doch was heisst das genau? Und was bedeutet für sie persönlich Luxus?

Felicitas Morharts Faszination für das Forschungsfeld Luxus wurde schon in ihrer Kindheit geprägt. Die Enkelin einer Opernsängerin wurde früh für Kultur und guten Stil begeistert – zum Frankreich-Urlaub gehörte etwa, Dutzende mittelalterliche Kirchen, deren Baukunst und ihre prächtigen Glasfenster zu bewundern, erinnert sich die gebürtige Münchnerin und schmunzelt.

Nach einer Laufbahn im Journalismus studierte Morhart in München Kommunikation und promovierte danach in BWL mit Schwerpunkt Marketing in St. Gallen. Nach einem Gast­forscheraufenthalt in Michigan nahm sie eine Professur an der HEC Lausanne an, wo sie zuletzt auch Vizedekanin war. Welchen Luxus, ­ausser Freizeit, gönnt sie sich persönlich?

Ihr erstes Luxusprodukt sei ein BMW Z4 Coupé gewesen. Dieses „tolle Coupé“ gönnte sie sich nach ihrer Doktorarbeit. Nach dem vergangenen „sehr vollen“ Jahr belohnte sie sich mit ­einem goldenen Armreif von Chopard. Morharts persönliches Verständnis von klassischen Luxusgütern hat viel mit Schöpfertum und Handwerkskunst zu tun.

Ihre Forschung ist schon deshalb zu­nehmend gefragt, weil sich der Luxusmarkt in den vergangenen Jahren als robuster Wachstumstreiber für Unternehmen erwiesen hat. Mit Blick auf die Zukunft der Luxusmärkte prog­nostiziert das Beratungsunternehmen McKinsey für das Jahr 2024 ein stetiges Wachstum zwischen 2 und 4 %. Diese positive Prog­nose werde durch die steigende Verbraucher­nachfrage und den schnellen Wandel der Branche hin zur ­digitalen Transformation ­vorangetrieben.

In Europa wird der Luxus-Einzelhandelsmarkt im Jahr 2024 voraussichtlich 305 Mrd. € umsetzen. McKinsey bilanziert in seiner jüngsten Studie: Die traditionelle Widerstandsfähigkeit der Branche und technische Innovationen für bessere Verbrauchererlebnisse versprechen eine glänzende Zukunft für Luxusmarken und -einzelhändler.

Die Luxusmarken müssen sich also ­mittelfristig keine Sorgen machen? ­Morhart wider­spricht dieser Aussage durchaus deutlich: Die Luxus­industrie sollte sich laut der ­Expertin auf einen tiefgreifenden Wandel gefasst ­machen, der ihr Geschäftsmodell grund­legend ver­ändern oder sogar infrage stellen wird. Der ­durchschlagende ­Erfolg der Luxusmarken in den ­vergangenen Jahren, so die Expertin, stehe auf einer ­wackeligen Basis.

Die von der Digitalisierung geprägte junge Generation stelle den traditionellen „Besitz-­Luxus“ auf die Probe. Gemeinsam mit Julia Riedmeier, Strategieberaterin und Dozentin für Luxus­management, veröffentlichte Morhart dazu ein Paper. Darin erklären die Forscherinnen: Das Konzept „Ich bin, was ich besitze“ wandelt sich zu einem „Erfahrungs-Luxus“, zu einem „Ich bin, was ich erlebe“; oder sogar zu: „Ich bin, was ich sinnstiftend beitrage“. Der Luxus der Moderne ist weniger egozentrisch als in der Vergangenheit.

Es geht also auch in der Luxuswirtschaft zunehmend um gesellschaftliche Verantwortung – und das erschüttert eine Grundfeste dieser ­Branche. In der Forschung spricht man von der „Traumformel“ des Luxus: Die besagt, dass eine Luxusmarke umso begehrenswerter ist, je grösser die Differenz zwischen jenen, die eine Marke lediglich kennen, und jenen, die sie sich leisten können, ist. Luxus schliesst aus, ist Exklusion statt Inklusion. Dadurch ergibt sich für Hersteller ein politisches Dilemma: Wie elitär dürfen wir noch sein? Wie weit dürfen wir unsere Marke dehnen, ohne dabei ihr Image zu beschädigen?

„Materialismus und Nachhaltigkeit sind zwei Konzepte, die im Konflikt stehen“, sagt Morhart. Das heisst: Konsumenten tun sich schwer, gleichzeitig materialistisch und nach­haltig zu sein und sich dabei authentisch zu ­fühlen. Trotzdem investieren Luxusmarken zunehmend in Nachhaltigkeitsmassnahmen und mehr Transparenz; teils auch, weil es die Politik ihnen vorschreibt (EU-Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung). Gleichzeitig sehen Kunden dieses Engagement mit Argwohn, da rasch der Verdacht des Greenwashing aufkommt. Aber wie können sich Luxusmarken den neuen Markt­bedingungen anpassen?

Morhart verweist auf „Bespoke“, also die handwerkliche Individualisierung von Luxusgütern, wie es etwa Rolls-Royce mit seinen Limousinen erfolgreich betreibt. Kundinnen und Kunden wollen Teil der Marke sein und sie zu ­einem Teil von sich machen. Der Glamour einer Marke gehe hingegen verloren, je mehr ihre Produkte standardisierten Indus­trieerzeugnissen ­glichen.

Als Beispiel für den volatilen Erfolg von ­Luxusmarken nennt die Expertin die italienische Modemarke Gucci: Deren Muttergesellschaft Kering warnte Anfang des Jahres, der Umsatz von Gucci werde in der ersten Hälfte des Jahres 2024 um bis zu 45 % sinken – ein dramatischer Absturz, denn vor zwei Jahren war die Marke noch erfolgreicher als je zuvor. Zwischen 2015 und 2022 hatte sich der Umsatz von Gucci mit zehn Mrd. US-$ mehr als verdoppelt.

Gleichzeitig stiegen die Gewinnspannen um rund zehn Prozentpunkte pro Jahr. Doch ­dieser Erfolg sei nie nachhaltig gewesen, warnten auch schon damals Experten. Die Strategie der Marke, auf einen einzigen Trend zu setzen – wie etwa die berühmten Gucci-Loafers mit dem ­goldenen Pferde­gebiss als Schnalle – und sich stark auf Kundschaft in China zu stützen, erwies sich als riskantes Manöver. Das bringt die Marke nun in grosse Schwierigkeiten.

Gucci hat verschlafen, dass die Konsumenten seit der Pandemie eine dezente Ästhetik und einen eher leise auftretenden Luxus ­bevorzugen. Was bis vor Kurzem noch heiss begehrt war, ist zur Ramschware verkommen. Morhart erklärt dieses Phänomen so: „Je reifer der Luxuskonsument wird, desto leiser wird auch der Luxus, mit dem er sich umgibt.“ Das zeige sich auch in Asien und China, lange Wachstumstreiber vieler Marken: Die „Angeberkultur“, die aus einem aufgestauten Konsumwunsch hervorgehe, kühle sich ab und komme irgendwann nicht mehr gut an.

Immerhin versucht Gucci die Trendwende: Der neue Creative Director Sabato De Sarno legt einen cleanen und leiseren Style als sein Vorgänger Alessandro Michele vor; Partnerschaften mit der US-Outdoormarke The North Face helfen, die Marke frisch zu halten und in neue Käuferschichten und Lebensbereiche vorzudringen. „Es ist mutig, wenn eine solche Marke die Outdoor-Community anzusprechen versucht, weil das eine recht geschlossene, eigene Subkultur ist. Die Idee ist so schräg, dass sie fast schon wieder cool ist“, so Morhart. Sind also neue und schräge Ideen die Zukunft der Luxusbranche? Oder doch eher die Rückbesinnung auf traditionelle Exklusivität?

Auch hier gilt das Prinzip des Medienzeit­alters: Der Schlüssel liegt in der passenden Kommunikation. In der alten Luxuswelt war das Produkt oder der Markenbotschafter mit Strahlkraft der Kommunikator. Nun ist die Marke die Eintrittskarte zu einer Marken-Community, einer Gemeinschaft oder einem „Tribe“, wo dieselben Werte und Haltungen gelebt werden. Hier ver­mischen sich Produkt, Gemeinschaft und Erlebnis. Besonders die junge Generation wünsche sich Marken, die ihre Lebenswelt authentisch ­widerspiegeln. Auch hier zeigt sich ein Trend: Luxus als Erfahrung – wie etwa der Besuch bei teuren und exklusiven Sportveranstaltungen wie dem Champions-League-Finale oder der Superbowl. Ein solches Erlebnis ist flüchtig, lässt sich nicht als Schmuck am Körper tragen oder in die Garage stellen, doch den „demonstrativen Verbrauch“ zur Erhöhung des sozialen Status findet man auch hier.

Morharts Fazit: „Luxusmarken ­kommen nicht umhin, sich grundlegende Gedanken zu machen, wie sie sich angesichts dieser Ver­änderungen positionieren wollen. Andernfalls riskieren sie, ihre Relevanz zu verlieren.“ Eine historisch gewachsene und starke Identität biete einen Anker, um sich glaubhaft und authentisch in anderen Produktkategorien, Zielgruppen und Kontexten bewegen zu können.

Dabei wird es darum gehen, das vorherige Erfolgsrezept nicht einfach über Bord zu ­werfen, sondern durch Neues zu ergänzen. Morhart ­empfiehlt einen aufgeschlossenen Umgang mit Unsicherheit: Werte wie Kreativität, Experimentierfreude, Risiko und Virtuosität sollten gelebt werden. Diese Werte müssen ohnehin das Charisma einer Luxusmarke ausmachen.

Eine Marke, die das beherzigt, habe gute Chancen, die „neuen Reichen“ anzusprechen. Denn diese sind nicht unbedingt jene mit dem dicksten Geldbeutel und den lautesten Luxus­karossen, sondern jene, die autonom über ihre Zeit, ihre Aktivitäten und die Örtlichkeit, an der sie leben und arbeiten, bestimmen können. Schöne und exklusive Produkte werden stets gefragt sein – aber eben auch, wie derzeit bei Morhart, ein Kalender ohne Termine. Und die Zeit, die man braucht, um sich und seine Träume zu verwirklichen.

Fotos: Benny Tache

Reinhard Keck

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