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Tim Stracke baute Chrono 24 zur weltweit führenden Online-Handelsplattform für gebrauchte Luxusuhren auf. Doch nun ist der Boom der Branche vorbei. Geht dem einstigen Unicorn aus Karlsruhe die Luft aus?
Als Tim Stracke, der Mann hinter Chrono 24, vor zwei Jahren Cristiano Ronaldo traf, war sofort klar, dass er einem Uhren-Freak gegenübersitzt: Am Handgelenk des Fussball-Megastars funkelte eine Franck Muller Cintrée Curvex Tourbillon aus Weissgold, besetzt mit Dutzenden Diamanten. Der Preis: 1,5 Mio. US-$. Stracke findet, der Zeitmesser passt bestens zum Besitzer: „Cristiano ist eine aussergewöhnliche Persönlichkeit. Für ihn ist eine Rolex fast schon zu normal – seine Uhr muss natürlich auch einzigartig sein.“
Stracke überzeugte den laut Forbes am besten verdienenden Sportler der Welt bei jenem Meeting in Lissabon, als Investor beim Online-Uhrenmarktplatz Chrono 24 einzusteigen. Die Atmosphäre passte zum Ort des Gesprächs: die Lobby des Four Seasons Ritz. Als Cristiano Ronaldo dort in einem rosa Trainingsanzug mit seiner Lebensgefährtin Georgina Rodriguez erschien, machte der Megastar keine Anstalten, das Treffen in einen privaten Raum zu verlegen. Er fühlte sich wohl in der Öffentlichkeit. Warum sollte er sich in seiner Heimat verstecken?
Cristiano Ronaldo ist ein Sammler – er besitzt mehr als hundert Uhren, die zusammen mehrere Millionen wert sind. Nach dem Treffen in Lissabon musste Stracke aber noch drei Monate warten, bis CR7 Ventures ein E-Mail in die Chrono-24-Firmenzentrale nach Süddeutschland schickte und erklärte: Ronaldo will investieren. Der genaue Betrag ist nicht öffentlich, aber „signifikant“. Für Stracke und Chrono 24 war das ein gewaltiger Coup – und auch die Bestätigung, dass dieses auf eine Mrd. US-$ bewertete Unicorn aus Karlsruhe selbst eine Marke mit globaler Reichweite geworden war.
Chrono 24 galt als eines der wenigen Vorzeigeunternehmen made in Germany, ein Digitalunternehmen, das sich erfolgreich im Luxussektor etabliert hat. Was als Nischenprojekt begann, wandelte sich in den folgenden 20 Jahren zu einem weltweit führenden Marktplatz für Luxusuhren. Doch nun steht das Unternehmen, das so lange nur Erfolg kannte, vor enormen Herausforderungen: Der Luxusmarkt verändert sich, der Hype um Luxusuhren ist abgeflacht – und damit fürchtet auch Chrono 24 um seine Zukunft. Ist es fünf vor zwölf für den Luxusuhren-Marktplatz? Oder braucht die Plattform nur ein wenig Zeit, um sich neu aufzustellen?

Fragt man Tim Stracke, 50, auf welche unternehmerische Leistung er besonders stolz ist, sagt er: „Wir haben mit relativ wenig Geld etwas Grosses aufgebaut.“ Stracke ist ein leidenschaftlicher Gründer: Nach dem abgeschlossenen Diplom als Wirtschaftsingenieur an der Technischen Hochschule Karlsruhe arbeitete er kurz als Berater bei der Boston Consulting Group in Buenos Aires. Mit 25 Jahren gründete er sein erstes Start-up, einen Marktplatz für Geschenke. Anschliessend rief er Mentasys ins Leben und baute den Dienst für Online-Preisvergleiche zum führenden Anbieter in Deutschland aus. Er verkaufte sein Start-up an ein Tochterunternehmen der Bertelsmann AG; das erlöste Kapital legte er in 15 weitere Digitalunternehmen in Europa und China an. Was die Firmen verband: Es waren Online-Marktplätze im weitesten Sinne.
Die Website von Chrono 24 gibt es seit 2003. Stracke hatte sie schon eine Weile beobachtet, bis er und seine Mitgründer die Plattform 2010 übernahmen und weiterentwickelten. In den folgenden 15 Jahren sollte Chrono 24 unter Strackes Leitung zu einem globalen Marktplatz und Unternehmen werden.
Auf der Plattform bieten Privatpersonen und Händler ihre Luxusuhren an, Angebot und Nachfrage finden zusammen. Mit rund 3.000 Händlern und knapp 4.000 privaten Verkäufern bietet Chrono 24 eine riesige Auswahl. Mehr als neun Millionen Nutzer besuchen die Seite monatlich.
Profit entsteht durch Provisionen: Bei privaten Verkäufen erhebt Chrono 24 eine Gebühr von 6,5 %, bei Händlern ist die Vereinbarung individuell. Mit Niederlassungen in Karlsruhe, Berlin, Freiburg, Tokio, Dresden, Hongkong und in der Nähe Londons hat sich das Unternehmen weltweit etabliert. Neben Cristiano Ronaldo hat Chrono 24 Investoren wie Aglaé Ventures, das zum Imperium von Europas reichstem Mann Bernard Arnault gehört, und die Private-Equity-Gesellschaft General Atlantic. Auch Formel-1-Fahrer Charles Leclerc von Ferrari hat Kapital zugeschossen. Nun aber steht Chrono 24 vor einem Wendepunkt – auch, weil sich der Markt der Luxusuhren verändert hat.
Lange erschien die Luxusuhrenbranche als sicherer Hafen, selbst wenn es geopolitisch turbulent zuging: Trotz der Abschottung Chinas während der Coronapandemie, der Sanktionen gegen Russland und der Jahre mit erhöhter Inflation ging es dem Markt für Luxusuhren bestens. Noch vor wenigen Monaten feierte die Branche neue Rekorde; es waren die Nachwirkungen des Booms, der während der Covid-Pandemie eingesetzt hatte. Stracke: „Die Preise sind gestiegen und gestiegen, wir alle sind den Hype mitgegangen – aber es war auch klar, dass das nicht normal ist.“
Nun ist man in der Normalität angekommen, die Trendwende hat begonnen. Die Umsatzkurven bei den führenden Herstellern zeigen steil nach unten, sogar von einem „Börsencrash“ ist die Rede. Die Aktie von Watches of Switzerland, die Marken wie Rolex und Patek Philippe vertreibt, fiel zuletzt auf ein Drei-Jahre-Tief, mit einem Rückgang von 36 %. Laut einer Analyse von McKinsey ist der Umsatz im Uhrensegment um bis zu 2 % gesunken – und auch für die kommenden Jahre erwarten die Experten eine schwächere Entwicklung.
Die Luxuskonzerne LVMH (u. a. Tag Heuer, Tiffany & Co.) und Kering (u. a. Gucci, Saint Laurent) stecken tief in der Verlustzone. Der wirtschaftliche Abschwung erreicht auch Wohlhabende, die Nachfrage nach Luxusuhren lässt nach. Watches of Switzerland spricht von veränderten Einkaufsgewohnheiten und einer „schwierigen makroökonomischen Lage“. Der britische Luxusmarkt erlebt den stärksten Rückgang seit 2021 und die Konsumlaune in China, dem grössten Markt für Luxusuhren, sinkt.

Die Preise sind gestiegen und gestiegen, wir alle sind den Hype mitgegangen – aber es war auch klar, dass das nicht normal ist.
Tim Stracke
Der Wert von Luxusuhren auf dem Sekundärmarkt entwickelt sich ebenfalls negativ – seit März 2022 sinken die Preise für gebrauchte Uhren. Der Watchcharts-Index zeigt einen Rückgang von 12 % innerhalb eines Jahres. Besonders betroffen sind ausgerechnet die Ikonen der Branche – Audemars Piguet, Patek Philippe und Rolex verloren mitunter im zweistelligen Bereich an Wert.
Die Turbulenzen haben Chrono 24 heftig erwischt. Vor einem Jahr kam es zur Zäsur: Stracke und sein Co-CEO Holger Felgner gaben die Leitung des Unternehmens an den ehemaligen Zalando-Manager und McKinsey-Berater Carsten Keller ab. Stracke wechselte in den Aufsichtsrat und konzentriert sich auf seine Rolle als Chairman, während das operative Geschäft vom Management geführt wird. Keller krempelte Chrono 24 um, will die Firma effizienter machen. Rund 110 Arbeitsplätze wurden in diesem Jahr abgebaut, fast ein Viertel der Belegschaft muss gehen. Um Kosten zu sparen, werden Unternehmensteile an externe Dienstleister ausgelagert.
In gewisser Weise ist das Unternehmen Opfer seiner sensationellen Erfolgsstory: In den vergangenen Jahren wurde verstärkt expandiert und Personal aufgebaut. Nun laufen die Kosten aus dem Ruder und das Management muss umstrukturieren. „Schmerzhaft, aber notwendig“ seien die Einschnitte, heisst es aus Firmenkreisen.
Stracke geniesst seinen neuen Status, um mehr Zeit mit der Familie in seinem Wohnort bei München zu verbringen. Er sei offen für andere Projekte, sagt er. Ausserdem schreibt er eine Kolumne für die Handelszeitung und bewertet etwa, ob die Verbindungen zwischen Markenbotschafter und Luxusuhr passen: Leonardo
DiCaprio und Rolex sind demnach das „Perfect Match“, Brad Pitt und Breitling erinnern hingegen eher an eine Zweckgemeinschaft.

Stracke ist längst eine Grösse im Luxusuhrenmarkt – und seine Leidenschaft für edle Zeitmesser ist ungebrochen, er ist selbst Sammler. Seine erste Uhr war eine Swatch, die er sich mit 16 Jahren zulegte, sie hatte einen Glasboden, als Fenster zum Automatikwerk. Zum Diplom schenkten ihm die Eltern eine IWC-Fliegeruhr Mark XII, zu seiner Hochzeit beschenkte sich Stracke selbst mit einer Jaeger-LeCoultre Memovox Reveil; und zu seinem 40. Geburtstag bekam er von seiner Frau, der Familie und Freunden eine Rolex Milgauss – die eigentlich nur von Kennern sofort als Rolex-Uhr erkannt wird.
Es seien genau diese mechanischen High-End-Uhren, die eine goldene Zukunft hätten, allen Marktturbulenzen zum Trotz, meint Stracke. „Uhren gehören zu den ganz wenigen Dingen, die in 100 Jahren noch Bestand haben werden“, sagt er. Das unterscheide sie auch von Smartwatches – die ihre Berechtigung haben, wie Stracke betont, aber nach wenigen Jahren technisch überholt und somit fast wertlos sind. Chronographen symbolisieren hingegen eine exklusive Form der Nachhaltigkeit; sie sind Objekte voller auf Langlebigkeit ausgelegter Materialien mit der Aura von Beständigkeit.
Aber wie sieht es mit der Langlebigkeit bei Chrono 24 aus? Grosse Marken wie Rolex nehmen den Handel mit ihren Uhren zunehmend selbst in die Hand, was Online-Marktplätzen das Geschäft erschwert. Chrono 24 will den Turbulenzen mit Innovation begegnen; auch hier bietet die Krise neue Chancen, die in Boomzeiten eher übersehen werden. Laut Stracke ist „die Talsohle durchschritten“ – die Zeichen, dass es wieder bergauf geht, findet er auch bei Chronopulse, einem Börsenindex für Luxusuhren, der die Umsätze von 140 Modellen auswertet und so einen Einblick in die Wertentwicklung von Uhren gibt. Die Daten von Chronopulse zeigen, dass manche Modelle ihre Berechtigung als Wertanlage nach wie vor haben – eben weil sie stetig an Wert zugelegt haben. Klammert man den jüngsten Boom aus und blickt auf die vergangenen fünf Jahre, so haben Modelle von Audemars Piguet einen beeindruckenden Wertzuwachs von fast 65 % verzeichnet. Zum Vergleich: Der DAX kam auf ein Plus von 54 %, der Aktienkurs des Luxuskonzerns LVMH schaffte es auf ein Plus von 55 %.
Wer gern in Luxusuhren investiert, hat ohnehin das Kapital und die Zeit, um Krisen auszusitzen. Darum blickt auch Stracke entspannt auf die Lage. Noch sind die Preise unten – und für Sammler wie Stracke und Cristiano Ronaldo bedeutet das immer: ein guter Zeitpunkt, um zu kaufen.
Tim Stracke übernahm den Luxusuhren-Marktplatz Chrono 24 im Jahr 2010. 14 Jahre später gab er seinen CEO-Posten ab und wechselte in den Aufsichtsrat. Der 50-Jährige studierte Business Administration an der Golden Gate University in San Francisco, USA, und Wirtschaftsingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie.
Fotos: Chrono 24