Der grosse Markt der kleinen Chips

Die wirtschaftliche wie geopolitische Relevanz der Halbleiterindustrie ist unbestritten. Weltweit bringen sich Produzenten in Stellung, die Vormachtstellung für sich zu gewinnen. Sabine Herlitschka ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende von Infineon Austria – und damit nicht nur im Management eines der grössten Halbleiterunternehmen Europas, sondern auch in die geopolitischen Entwicklungen rund um diese zentrale und globale Schlüsseltechnologie involviert.

Als es während der Corona-Pandemie zu Lieferengpässen auf dem globalen Halbleitermarkt kam, standen die Fabriken der Autohersteller General Motors und Volkswagen still, Unter­haltungselektronik wie Microsofts X-Box oder Sonys Playstation wurde zur Mangelware – und führte vielen erst die Relevanz des Halbleitermarktes vor Augen. Einer Schätzung von Statista Market Insights zufolge belaufen sich die globalen Umsätze 2023 auf 553 Mrd. US-$. Bis 2027 ­sollen sie demnach auf 736,4 Mrd. US-$ wachsen.

Die wichtigsten Player in diesem Markt sind Taiwan Semi­conductor Manufacturing Co. (TSMC) aus Taiwan und Samsung Electronics aus Südkorea. Beide produzieren Mikrochips für Firmen wie Apple oder Nvidia, die ihre Elektronik designen, aber nicht selbst produzieren. Rund 90 % der Chips kommen somit aus nur zwei Ländern: Taiwan und Südkorea.

Eine Marktaufteilung, die Politikern wie Managern 2021 schmerzhaft vor Augen geführt wurde und US-Präsident Joe Biden dazu veranlasste, den US-amerika­nischen Chip-Hersteller Intel dazu aufzufordern, fortan auch für andere Marktteilnehmer zu produzieren. Der 2022 präsentierte „CHIPS and Science Act“ sieht Förderungen von 52,7 Mrd. US-$ für die Produktion und Forschung von Halbleitern vor – natürlich geht nicht die gesamte Summe an Intel.

Auf der anderen Seite des Pazifiks investiert China ebenfalls Milliardensummen in den Aufbau einer heimischen Halbleiterindustrie. Der US-amerikanische Historiker Chris Miller, der an der Bostoner Tufts University mit den Schwerpunkten Technologie, Wirtschaft, Geopolitik und Aussenpolitik forscht, sieht deshalb eine Aufteilung der globalen Halbleiterindustrie in eine chinesische und eine nichtchinesische Sphäre. Europa laufe Gefahr, auf der Strecke zu bleiben, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem Manager Magazin.

Infineon-Austria-Vorstands­chefin Sabine Herlitschka gibt sich dennoch optimistisch. Auf die Frage, ob sie Millers Ansicht teilt, antwortet sie: „Chris Miller hat sich auf den Teil des Marktes konzentriert, der davon lebt, immer kleiner und leistungsfähiger zu werden. Unser Fokusbereich – die Leistungselek­tronik – fällt da aber nicht hinein, das ist technologisch ein anderer Bereich. Bei uns geht es nicht nur darum, dass die Bauteile immer kleiner werden, es geht vor allem um andere Funktionalitäten.“

Dass Chinas Halbleiterindustrie auch für Infineon ein bestimmtes Risiko darstellt, ist unbestritten. Der Konzern erwirtschaftet rund ein Drittel seines Umsatzes, der 2022 insgesamt 14,22 Mrd. € betrug, in dem Land. „Wir sind mit einem Anteil von 20 % auf dem Weltmarkt für Leistungshalbleiter führend. China hat es sich zum Ziel gemacht, eine führende Rolle auf dem Halb­leitermarkt generell zu spielen. Und China ist sehr konsequent in der Umsetzung“, so Herlitschka.

Am Infineon-Austria-Standort in Villach werden fast ausschliesslich Leistungshalbleiter produziert.

Auch deshalb zieht die EU mit dem „European Chips Act“ nach. 43 Mrd. € sollen dadurch in die Industrie fliessen. Das Ziel der EU ist es, ihren globalen Marktanteil von heute 10 % bis 2030 auf 20 % zu verdoppeln. „Der Chips Act ist ein gutes Instrument zur richtigen Zeit. Von den 43 Mrd. € sind jedoch nur 3,3 Mrd. € aus der EU selbst für gemeinsame Forschungsaktivitäten. Den Rest – für Investitionen „first of a kind in Europe“ – müssen die Mitgliedsländer selbst finanzieren. Hier ist jedes Mitgliedsland ge­fordert“, so die Infineon Austria-­Chefin weiter.

Doch selbst wenn die europäische Halbleiterindustrie die Förderungen in voller Höhe bekommen würde, bliebe es für die EU immer noch schwierig, das angestrebte Ziel zu erreichen: „Um einen Weltmarkt­anteil von 20 % zu erreichen, braucht es private und öffentliche Investments in Höhe von insgesamt rund 500 Mrd. €, auf Basis einer Abschätzung des österreichischen Fachverbandes für Elektro- und Elektronik­industrie. Auf EU-Ebene ist man sich dessen bewusst, weshalb auch andere Elemente zurzeit diskutiert werden. Der Chips Act alleine wird nicht ausreichen.“ Dabei sind europäische Halbleiterunternehmen ohnehin schon stark spezialisiert. Herlitschka: „Von den 20 grössten Halbleiterunternehmen auf der Welt haben noch drei den Hauptsitz in Europa. Diese haben sich auf ganz bestimmte Bereiche fokussiert, um am Weltmarkt erfolgreich sein zu können.“

Die komplexesten Halbleiter sind sogenannte „Logic Chips“, die etwa von Apple und Nvidia entwickelt und vor allem in Computern und Smartphones verwendet werden. Infineon hingegen ist der globale Marktführer für Leistungshalbleiter, die elektrische Ströme und Spannungen besonders effizient steuern und schalten können. „Leistungshalbleiter erschliessen das grosse Potenzial der Energieeffizienz – von der Erzeugung bis zum Endgerät –, deshalb nennen wir sie „Energiesparchips“, so ­Herlitschka. „Wir beliefern etwa 50 % der Server­farmen weltweit mit solchen energiesparenden Halb­leitern. Auch in Windparks, Photovoltaik-Anlagen, Autos oder in Smartphones werden unsere Produkte verbaut.“ Am Stand­ort in Villach ­wurden 2022 über neun Mrd. Chips produziert, die meisten davon Leistungshalbleiter.

Ausserdem seien europäische Unternehmen in den Bereichen Sensorik und Sicherheitselektronik gut aufgestellt. Beides sind Gebiete, in denen die Nachfrage in Zukunft laut Herlitschka steigen wird – was nicht überrascht, da die Nachfrage nach so gut wie allen Arten von Halbleitern steigt.

Die Managerin sieht zudem drei grosse Trends, die den globalen Halbleitermarkt in den kommenden Jahren prägen werden: Das erste Thema ist die Umstellung auf Elektroautos und autonome Fahr­zeuge. In einem Elektroauto sind durchschnittlich zwischen 2.000 und 3.000 Chips verbaut – „die Nachfrage wird durch diese Um­stellung massiv angetrieben.“

Eine zweite wichtige Rolle spielt Sicherheit. Im Internet der Dinge sind alle Geräte – angefangen beim Smartphone über den Kühlschrank bis hin zum Heizungsthermostat – miteinander verknüpft. Und mit jedem zusätzlichen Gerät in einem Netzwerk öffnen sich neue Sicherheitslücken. „Wir leben in einer zunehmend vernetzten Welt und wollen, dass unsere Daten sicher gespeichert und übertragen werden. Dazu braucht es spezielle Security Chips, die diesen Anforderungen gerecht werden. Bei Infineon erreichen wir das mit einer Kombination von sicherer Hardware und spezieller Software“, so Herlitschka. Technologien, die auch bei Kredit- und Bankomatkarten zum Einsatz kommen.

Der dritte Trend ist durch die Energiewende getrieben: Durch die Umstellung auf erneuerbare Energien haben Unternehmen wie Infineon die Chance, ihre Produkte zu etablieren. „In der traditionellen Energiegewinnung, -übertragung und -nutzung gehen rund 70 % der Energie verloren“, sagt Herlitschka. „Bei der Herstellung erneuerbarer Energien und der Verwendung von intelligenten Schaltungen durch Leistungselektronik können hin­gegen 70 % der Energie genutzt werden. Ein European Green Deal wird nur mit solcher Technologie möglich sein.“

Die Relevanz von Halbleitern ist seit den Lieferengpässen während der Corona-Pandemie nur gestiegen – und wird es mit Sicherheit auch in Zukunft tun.

Sabine Herlitschka ist seit 2014 Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG. Zudem ist sie seit 2020 Vizepräsidentin der Industriellenvereinigung Österreich und war bis 2023 stellvertretende Vorsitzende des Rates für Forschung und Technologieentwicklung der Österreichischen Bundesregierung.

Fotos: beigestellt

Erik Fleischmann,
Redakteur

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