DER BOOM BEI ZOOM

Noch nie arbeiteten so viele Menschen von zuhause wie zur Zeit der Covid-19-Pandemie. Eine Lösung dafür bietet Eric Yuans Zoom. Sein Erfolgsrezept? Das richtige Produkt – und eine ordentliche Portion Nächstenliebe.

Letzte Woche schossen die Downloads der Videokonferenzplattform Zoom plötzlich in die Höhe. CEO Eric Yuan war zu diesem Zeitpunkt gerade in Schulen unterwegs, um sein Produkt zu installieren – und zwar eigenhändig und kostenlos. Zuerst besuchte er eine Schule im Silicon Valley, dann zwei in Texas.

„Die Schulen haben gemeint, sie würden sich bei meinem Team melden. Ich sagte darauf: ‘Ich übernehme das‘“, erzählt Yuan. Auch er kommuniziert – aus seinem Haus in Kalifornien – stets via Zoom. „Ich habe das alles eigenhändig eingerichtet.“

In Zeiten des Coronavirus, das ganze Städte in Quarantäne schickte und Schulschliessungen verursachte, ist Zoom eines der wichtigsten Tools, um den Betrieb von Unternehmen aufrecht zu halten und Schülern wie Studenten weiterhin ihre Bildung zu ermöglichen. Apptopia zufolge installierten vergangenen Mittwoch 343.000 Menschen weltweit die Zoom-App, 60.000 davon in den USA. Im Vergleich dazu waren es vor zwei Monaten nur 90.000 Menschen weltweit, 27.000 davon in den USA (diese Zahlen stammen nicht von Zoom, das Unternehmen wollte die Zahlen von Apptopia auch nicht kommentieren, Anm.).

Yuan ergriff diverse Massnahmen, um Nutzern zu helfen: Das Zeitlimit für Videochat der kostenfreien Dienstes wurde für China und andere betroffene Regionen gänzlich aufgehoben – und zusätzlich für Schulen in Japan, Italien und den USA.

Eric S. Yuan
... ist ein US-amerikanischer Milliardär und der Gründer sowie CEO von Zoom Video Communications, einer cloud-basierten Service-Plattform. Diese kombiniert Videokonferenzen, Online-Besprechungen, Chat und mobile Zusammenarbeit.

Schüler und Lehrer, die sich online mit ihren Schul-E-Mail-Adressen anmelden, werden von Zoom verifiziert und in das Schulnetzwerk aufgenommen – was unlimitierte Minuten für Videokonferenzen freischaltet. Die kostenlosen Basic-Accounts sind auf Anfrage auch in Österreich, Dänemark, Frankreich, Irland, Polen, Rumänien und Südkorea verfügbar. „Da viele Schulen nun schliessen, haben wir uns entschieden, Zoom ab morgen in allen Schulen in den USA anzubieten“, schrieb Yuan in einem E-Mail.

Seine grosszügige Ader ist nichts Neues für Yuan – er ist seit der Gründung des Unternehmens 2011 dafür bekannt, Non-Profits und andere Institutionen mit kostenfreien Zoom-Zugängen zu versorgen. Doch nun gewinnt sein Tun global an Bedeutung, da Zoom binnen Wochen zu einem der beliebtesten Software-Tools für die „Work from Home“-Wirtschaft geworden ist.

Zoom ist allerdings bei weitem nicht das einzige Tool, das von diesem Trend profitieren wird. Marktanalysten erwähnen andere Sharing-Anbieter, etwa Dropbox, DocuSign, womit sich Dokumente unterschreiben lassen oder Everbridge – ein Dienst für Notfallkommunikation. Auch Cloud-Anbieter werden einen Anstieg an Nutzern verzeichnen. Doch nur wenige Unternehmen sind so wertvoll wie Zoom, dessen Aktien seit dem Börsengang im April 2019 um 77 % gestiegen sind – was Yuan zum Milliardär machte. Vergangenen Mittwoch vermerkte das Unternehmen ein Umsatzwachstum von 78%.

Doch nicht nur an der Wall Street ist Zoom ein Punkt, der polarisiert. Auch auf Twitter ging das Unternehmen viral. „Ich habe gerade eine E-Mail von einem Professor erhalten: ‘Zur Erinnerung: Man sollte bei Zoom-Sitzungen Kleidung tragen’. Regeln werden erst gemacht, wenn sie notwendig sind – nicht davor”, schrieb ein Twitter-Nutzer und bekam für seinen Post mehr als 84.000 Likes. „Ich sehe jetzt eine Menge lustiger Tweets, das ist also etwas Neues”, sagt Yuan.

Mit der gestiegenen Nachfrage ergeben sich aber auch neue Probleme. „Ist die Plattform darauf vorbereitet, von jeder Vorlesung in den USA genutzt zu werden? Gleichzeitig? Frage für Freunde“, tweetete die Professorin Adrienne Keene.

Yuan lässt sich nicht beirren. Er arbeitet bereits an neuen Features, die sich auf das Arbeiten von zuhause fokussieren, etwa bessere Beleuchtung des Gesichts oder ein Vorlese-Tool für Professoren. Er argumentiert, dass gerade eine ziemliche spannende Zeit sei, um für Zoom zu arbeiten. „Ich habe das Gefühl, dass das ein Ereignis ist, bei dem über Nacht alle erkennen, dass sie ein Tool wie Zoom brauchen“, sagt Yuan. „Wir können sehr stolz sein. Wir merken, dass das, was wir tun, der Welt helfen kann.“

 

Downloadzahlen von Zoom
im Zeitraum von April 2019 – Februar 2020

Zoom hat bereits vor etwa zwei Wochen Home Office im Unternehmen etabliert. Das gilt auch für Yuan, der jetzt selbst testen kann, ob Zoom als Tool für Vollzeitkräfte im Home Office etwas taugt. Bis jetzt ist er zufrieden, wenn auch etwas ermüdet von der Anzahl an Calls: „Einerseits mögen wir es, von zu Hause zu arbeiten. Andererseits – ich weiss nicht warum, vielleicht durch die erhöhte Nachfrage, vielleicht die Arbeit zu Hause – haben wir plötzlich mehr Meetings als im Büro.”

Laut Yuan begann Zoom, sich für die Veränderungen durch Covid-19 vorzubereiten, als man Mitte Jänner die Probleme in China bemerkte. Daraufhin meldeten sich besorgte Kunden, etwa Walmart und Dell, die eine Absicherung wollten, dass ihre Kommunikation auch im Home Office reibungslos funktionieren würde. Zoom hatte seine Mitarbeiter für den Fall von Naturkatastrophen geschult – mit einer Pandemie hatte auch hier niemand gerechnet. Die Server von Zoom – verteilt auf 17 Rechenzentren weltweit, die Zoom selbst betreibt – waren bisher in der Lage, das erhöhte Volumen an Videokonferenzen zu bewältigen.

In diesen Rechenzentren befindet sich Zooms Cloud-Architektur mit automatischer Skalierung, eine Methode, die die Nutzung von Anwendungen überwacht und bei steigender Nachfrage automatisch mehr Rechenleistung hinzufügt. Die Systeme wurden so eingerichtet, dass sie das zehn- bis hundertfache Datenaufkommen bewältigen können, sagt Yuan. „Das Schöne an der Cloud ist, dass sie theoretisch unbegrenzte Kapazität hat.“ Durch den Einsatz von Ingenieur-Teams auf der ganzen Welt – auch in China und Malaysia – verfügt Zoom über jene Mitarbeiter, die in der Lage sind, die Systeme rund um die Uhr aus der Ferne zu überwachen. Dass Zoom-Mitarbeiter die Nacht hindurch arbeiten, um Menschen ununterbrochen Videokonferenzen zu ermöglichen, ist allerdings nicht der Fall. „Die ganze Nacht zu arbeiten ist nicht skalierbar“, so Yuan.

Zoom arbeitet bereits an neuen Features, die auf Rückmeldungen von Usern zurückgehen. Ein Tool beinhaltet Filter, die man von Apps wie Instagram und Snapchat kennt und die etwa das Gesicht des Nutzers besser belichten könnten. „Wir möchten die Möglichkeit bieten, dass User ihr Auftreten verbessern können – mit einem einfachen Feature“, sagt Yuan.

Eine weitere Funktion, die Zoom gerade entwickelt, entstand aus dem Feedback eines Professors, der mit Hilfe von Zoom Vorlesungen für seine Klasse hält. Auf Vorlesungen zugeschnitten würde es die Übertragungen der Studenten so darstellen, als würden sie aus dem gleichen Winkel gefilmt. Das soll dem Vortragenden helfen, zu sehen, wie die Studenten reagieren – und wer wirklich aufpasst. So als wären sie wirklich im Raum.

Grosse Aufmerksamkeit geht meist aber auch mit Kritik einher. Yuan lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Den Überlegungen von Journalisten (etwa Sam Biddle von The Intercept), wonach die Software von Zoom lediglich „die Aufmerksamkeit tracken“ soll, stimmt er nicht zu. Kritiker wie Biddle warnten davor, dass Teilnehmer, die Zoom länger als 30 Sekunden nicht geöffnet haben, markiert werden. Sind Zoom-Anrufe gar invasiver als das Arbeiten im Büro? Für den Erfinder von Zoom gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen einem Online-Meeting, das zwischendurch gehalten wird und einem Meeting im Rahmen des Home Office. Denn im Home Office wollen die Mitarbeiter einander sehen, um nicht einsam zu werden, so Yuan.

 

Aktienkurs von Zoom im Vergleich zu den Konkurrenten
Microsoft und Cisco im Zeitraum von April 2019 – Februar 2020

Wie viel Zoom von dieser Katastrophe profitiert, ist ein weiteres sensibles Thema. Der ursprünglich aus der Provinz Shadong im Osten Chinas stammende Yuan hat in China keine Familie mehr, die von dem Virus betroffen ist. Er sagt aber, dass er genauso besorgt sei wie alle Eltern, die ihre Kinder noch zur Schule bringen. Yuan zufolge war die Entscheidung, den Einsatz von Zoom in den betroffenen Regionen kostenlos und unbegrenzt anzubieten, unter seinen Mitarbeitern einstimmig. „Ich habe dem Team gesagt, dass unser Fokus in einer Krise wie dieser nicht auf Marketing oder Vertrieb liegen sollte. Konzentrieren wir uns auf unsere Kunden“, sagte Yuan. „Diese Gelegenheit zu nutzen, um Geld zu verdienen, halte ich für schrecklich.“

Yuan, der Zoom nach der Entwicklung von Ciscos Konkurrenzprodukt Webex aufgebaut hat, legt viel Wert auf die richtige Kultur. Analysten sind zwar optimistisch, aber unsicher, inwieweit das Geschäft von Zoom vom derzeitigen Aufschwung profitieren wird. Denn obwohl es momentan einen sehr starken Anstieg an Nutzern gibt, verwenden die meisten das Service auf kostenloser Basis. Ob diese Nutzer nach der Krise an Bord bleiben und zu zahlenden Kunden werden, ist fraglich. „Zoom nimmt seine gesellschaftliche Verantwortung wahr“, sagt Sterling Auty, Analyst bei JPMorgan Equity Research. „Sie wollen keinen unfairen Vorteil aus der Situation ziehen. Sie wollen helfen – und in unseren Augen kommt man mit einem solchen gutem Willen weit.“

Hier geht es zum Forbes US-Artikel.

Text: Alex Konrad / Forbes US
Fotos: Forbes US, Zoom

Forbes Editors

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