DAVIDS ERBE UND IGELS STRATEGIE

Wer es erfolgreich mit Google aufnimmt, hat entweder ziemlich viel Glück oder ist ein Genie. Was auch immer hier der Fall war: Der Kölner Übersetzungsdienst DeepL hat das Kunststück innerhalb eines Jahres geschafft.

Beispiele von Unternehmen, die in einer Garage entstanden und zu ­riesigen Konzernen wurden, gibt es ­einige. Microsoft, Hewlett-Packard, Disney, Amazon oder Apple gehören dazu. Vielleicht reiht sich in nicht allzu ferner Zukunft mit DeepL ein weiteres Unternehmen in die Liste dieser Grosskonzerne ein – und zwar eines aus Deutschland. Denn der von Gereon Frahling und Leonard Fink 2017 gegründete Übersetzungsdienstleister ist bereits zwei Jahre nach Gründung weltbekannt und hat etwas erreicht, das nicht viele Unternehmen behaupten können: den ­„Goliath“ Google hinsichtlich Technologiequalität überholt zu haben.

Laut CEO Jaroslaw Kutylowski war das aber eher ein glücklicher Zufall als ein durchdachter Plan: „Die Frage, ob wir besser als Google werden können, hat sich nie gestellt. Als wir begonnen haben, mit neuronalen Netzwerken zu arbeiten, waren wir innerhalb knapp eines Jahres besser als Google. Wir hatten gar nicht die Zeit, gross da­rüber nachzudenken.“ Die Wurzeln des Unternehmens liegen im Onlinewörterbuch Linguee, welches von Frahling bereits 2009 in besagter Garage ­gegründet und 2012 durch Werbe­anzeigen profitabel wurde. Für DeepL sieht Kutylowski – der mit Frahling in Paderborn in theoretischer Informatik promoviert hatte, 2012 zunächst bei Linguee als CTO einstieg und seit Mitte 2019 DeepLs CEO ist – hingegen keine Werbung vor. Der Übersetzungsdienst wurde anfangs finanziell von Linguee mitgetragen, bietet aber seit 2018 mit DeepL Pro ein Übersetzungstool an, mit dem sich ganze Dokumente mit nur einem Klick übersetzen lassen. Das monatliche Abonnement beginnt für Teams ab drei Personen bei 4,99 €, eine erweiterte Version für 16,99 € bietet zusätzlich die Möglichkeit, DeepL in eine bestehende Übersetzungs­software zu inte­grieren und auf Basis der Technologie neue Anwendungen und Produkte zu programmieren.

Die Anzahl der Nutzer von DeepL Pro gibt Kutylowski nicht bekannt, jedoch sei DeepL innerhalb von zwölf Monaten um das ­Doppelte gewachsen – Kutylowski ist optimis­tisch, dass DeepL das auch dieses Jahr wieder erreichen wird. „Mit dem schnellen Wachstum Schritt zu halten stellt eine Herausforderung dar. Betrachtet man die letzten ­Jahre, entwickeln sich Technologien ­immer schneller, und Menschen stellen dadurch auch immer höhere Ansprüche. Da müssen wir auf Dauer mithalten können“, so Kutylowski.

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Jaroslaw Kutylowski
... promovierte an der Universität Paderborn in theoretischer Informatik und fing 2012 als CTO bei Linguee an. Mitte 2019 übernahm er die Rolle des CEO bei DeepL.

DeepL-Technologie Mass aller Dinge

DeepL gibt auf ­Nachfrage zwar keine Auskunft über die dem Produkt zugrunde ­liegende ­Technologie, der IT-Nachrichten­dienst ­Heise ­nannte 2017 nach DeepLs Launch als ­dessen Basis jedoch die Begriffe „Convolutional Network“ und „Beam Search“. Ein Convolutional Network ist eine besondere Form eines künstlichen neuronalen Netzwerks, die besonders im Bereich der Bild- und Sprach­erkennung verwendet wird und Wörter parallel verarbeitet, anstatt wie rekurrente Netzwerke einen Satz der Reihe nach von ­vorne bis hinten und vice versa zu lesen. Der Beam-Search-Algorithmus multipliziert zudem die Wahrscheinlichkeit für alle möglichen Sätze und hilft so bei der Übersetzung, um passende Wortalternativen zu wählen.

Unternehmensangaben zufolge läuft DeepLs künstliche Intel­ligenz in Island auf einem „­Supercomputer“, welcher durch sogenannte 5.1 Peta­FLOPS pro Sekunde 5,1 Billiarden Operationen ausführen und somit in weniger als einer Sekunde eine Million Wörter übersetzen kann. Die Technologie erzielt ihre Wirkung: Bei einem Blindtest wurden professionellen Übersetzern Texte von DeepL, Google, Microsoft und Facebook vorgelegt – DeepLs Texte wurden dreimal häufiger als Gewinner gewählt. Ein weiterer Test wurde mittels „Bleu Score“ durchgeführt: Der 2002 von einer ­Forschergruppe von IBM zum ersten Mal zur Unter­suchung der Qualität von Übersetzungstexten vorgeschlagene Bleu-Algorithmus ­(„Bilingual Evaluation Understudy“) misst den Unterschied zwischen menschlichen und maschinellen Übersetzungen. Auch hier schlug DeepL bei Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche und vice versa seine Konkurrenten Google und Facebook sowie Salesforce.

„Wir hatten und haben einfach ein starkes Forschungsteam, das für DeepL brennt. Ausserdem haben wir uns mit Linguee bereits vor der Gründung von DeepL mit den Problemen und Datenmengen im Zusammenhang von Übersetzungen ­beschäftigt“, erklärt Kutylowski den Erfolg, welcher in gewisser Weise an das Märchen „Der Hase und der Igel“ erinnert: Dort gewann der Igel gegen den vermeintlich klaren Sieger Hase, indem er Köpfchen bewies.

Europa als idealer Markt für Übersetzungsdienste

Als sich DeepL gegen Google durchsetzte, bestand das ganze Team aus zehn Personen; mittlerweile sind es 55, allein 35 sind dabei für die Entwicklung der Technologie verantwortlich. Schwierigkeiten, neue ­talentierte Mitarbeiter zu finden, sind eher nicht vorhanden, wie Kutylowksi sagt: „DeepL hat eine ­gewisse Anziehungskraft auf ­Arbeitskräfte, da wir weltweit und vor allem in Deutschland bekannt sind. Es gibt wenige Unternehmen, die auf unserem Level Forschung betreiben und in unseren Dimensionen Menschen erreichen.“ Und so gibt DeepL seinen Standort am Kölner Mediapark demnächst für einen grösseren Gebäudekomplex in Köln auf, um nicht nur in seiner Mitarbeiteranzahl weiterwachsen, sondern auch seine Technologie weiterentwickeln und den kommerziellen Bereich weiter ausbauen zu können. Die Voraussetzungen dafür scheinen gegeben – nicht zuletzt, weil der Standort Europa in Kutylowskis Augen ideal für ­einen Übersetzungsdienst ist. „Hier in ­Europa sind viele verschiedene ­Sprachen in schriftlicher Kommunikation bereits dokumentiert. Wir haben den Markt direkt vor der Tür.“

Dass die verschiedenen Sprachen nicht nur ein Segen sind, liegt an deren unterschiedlich hoher Komplexität und dem „Trainings­material“, das der Technologie zur Verfügung steht. Kutylowski, der selbst in Polen und Deutschland als Kind eines Professors aufgewachsen ist, nennt seine ­Muttersprache Polnisch als Beispiel: „Polnische Übersetzungen sind einfach viel ­weniger vorhanden als deutsch-englische; ­unter anderem auch, da Übersetzungen teilweise stark von wirtschaftlichen Beziehungen geprägt sind und vermehrt veröffentlicht werden, wenn sie in einem ökonomischen Zusammenhang stehen.“ Doch dieser Fakt hat DeepL nicht daran gehindert, seinen Dienst mittlerweile mit 72 Sprachkombinationen zwischen neun Sprachen anzubieten. Das grosse Ziel: weltweit Nummer eins im Bereich Fremdsprachen und deren Übersetzung zu sein. Derzeit teilt sich DeepL mit ­diversen Anbietern wie Google, Microsoft oder MyMemory den Markt – doch das ambitionierte Ziel scheint für einen Dienst, der bereits Google überholt hat, im Bereich des Möglichen zu liegen.

Text: Andrea Gläsemann
Foto: Tillmann Franzen

Der Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2019 „Next“ erschienen.

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