„DATEN BLEIBEN DATEN“

Hitzewellen, Überschwemmungen, Schnee am Mittelmeer – das Klima spielt verrückt. Die Folge: Die Bedeutung der Wettervorhersage nimmt zu. Auch Günther Tschabuschnig, Chief Information Officer (CIO) der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Österreich, muss sich den neuen Anforderungen stellen. Mit Daten und selbstlernenden Systemen kennt sich der Informatiker zum Glück aber bestens aus.

Dass Günther Tschabuschnig Chief Information Officer (CIO) der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Österreich ist, wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich: Er hat keinen Studienabschluss in Meteorologie, sondern studierte Medizinische Informatik und Informations­management. Dennoch zählt Tschabuschnig zu den wichtigsten Persönlichkeiten an dem Institut, das für die Wetterprognosen in Österreich verantwortlich ist. Der Grund: Die Art, wie Wetterprognosen erstellt werden, hat sich fundamental ver­ändert. „Früher hat man Wetter­beobachter verwendet. Die haben in den Himmel geschaut und sich dann bei den Prognosen auf ihre Er­fah­rung verlassen. Jetzt verbinden wir Thematiken wie Lasermessung mit Wetterstationen und Video­kameras.“

Die Mengen, die dabei zu­sammen­kommen, sind gigantisch: Tschabuschnig und sein Team verarbeiten pro Minute 100.000 Datensätze, darunter etwa 20 Terabyte (TB) Satellitendaten pro Tag. Zudem liegt ein riesiger Datenberg vor: Aus zwei Daten­zentren stehen dem Team 26 Petabyte (PB; 1 PB = 1.024 TB) an Wetterdaten zur Verfügung. „Die aktu­ellen Daten kommen von Satelliten, Wettermessstationen, Wetterkameras, dem Internet of Things (IoT; Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, Anm.) und aus Crowd Data“, erzählt Tschabuschnig, den wir für das Fotoshooting passenderweise im Technischen Museum Wien treffen. Tschabuschnig, der sich explizit nicht als Meteorologe sondern als Informatiker bezeichnet, fing schon früh an, sich für Wirtschaft zu interessieren. Was ihn jedoch seit Jahren fasziniert, ist der Umgang mit Daten.

Dass er letztendlich an der ZAMG landete, ist auf diese Leidenschaft zurückzuführen: „Ich kam in eine Institution, die extrem viele Daten verarbeitet. Das war eine Herausforderung, die ich mir nicht habe nehmen lassen“, erzählt er. Zuvor war Tschabuschnig – nach Forschungsaufenthalten in den USA – als Berater im öster­reichischen Bundeskanzleramt tätig; dort begründete er unter anderem das Portal für offene Daten (data.gv.at).

Modelle mithilfe von KI
An der ZAMG wird die Umwelt in einem mathematisch-physikalischen Modell simuliert und mit Messdaten aus der Realität zusammengebracht. Tschabuschnig: „Wir model­lieren Berge, Flüsse, verschiedene Strömungen. Damit schauen wir mehrdimensional in die Zukunft. Je mehr Daten wir haben, desto mehr müssen wir rechnen. Dies wirkt sich jedoch zugunsten der Granularität aus.“ Die Granularität von Daten gibt Auskunft über deren Verdichtungsgrad. Aktuell werden für Stadt­gebiete mehrdimensionale Modelle mit 150 Meter voneinander ent­fernten Punkten berechnet. Auf künstlicher Intelligenz basierende Technolo­gien übernehmen dabei das Erstellen der Abbildungen anhand des Modells. Sie werden permanent mit Daten aus der Vergangenheit trainiert, sagt Tschabuschnig; Vergleichswerte aus der Realität sollen die Vorhersage verbessern.

Beim Fotoshooting im Technischen Museum Wien war der Informatiker Günther Tschabuschnig voll in seinem Element.

Was in der öffentlichen Wahrnehmung als alltägliches Element gesehen wird (die Wetter­vorher­sage), ist also ein hoch­komplexer Prozess. Aufgrund der Datenlage sind Vorhersagen für bis zu drei Tage schon sehr zu­verlässig, gröbere Trends lassen sich auch für längere Zeiträume prognostizieren. Doch auch für langfristige über­regionale Entwicklungen eröffnet KI neue Möglichkeiten: Die Technologie kann etwa interpretieren, ob eine drückende Hitzewelle ein statistischer Ausreisser ist oder Teil eines grösseren Trends, also der Klimakrise. Je mehr Vergleichs­daten aus der Vergangenheit für ein Gebiet vorliegen, desto zuverlässiger sind die jeweiligen Aussagen. „Wir sind das älteste meteorologische Institut der Welt und haben dementsprechend auch die älteste Klimareihe der Welt“, erzählt Tschabuschnig nicht ohne Stolz. „Auch wenn sie früher noch analog aufgezeichnet wurden: Daten bleiben Daten.“

Tatsächlich gibt es kein meteo­rologisches Institut, das eine längere Geschichte vorweisen kann als die 1851 gegründete ZAMG. Heute betreibt sie ein modernes, umfassendes nationales Messnetz. Aufzeichnungen über Niederschlagsmengen, Temperaturen und die Ausbreitung der Gletscher hel­fen, extreme Witterungs­­ver­hältnisse in der Gegenwart einzuordnen. Das Ergebnis ist eindeutig: Das Klima in Österreich verändert sich. Der grosse Trend in Richtung Nachhaltigkeit beeinflusst auch die Arbeit von Tschabuschnig und seinem Team – denn Berechnungen rund um daten­intensive Prozesse verbrauchen viel Energie. In der ZAMG ist man dafür jedoch sensibilisiert: „Wir arbeiten mit grünem Strom, auf den Dächern haben wir Solarzellen angebracht und bei unseren Supercomputern haben wir Warmwasserkühlung im Einsatz. Die Abwärme der Computerleistung wird zum Heizen von Wasser oder Räumen genutzt“, so der CIO.

Für Tschabuschnig ist das Thema kein neues. Als er für den öffentlichen Raum Plattformen für offene Daten entwickelte, wurde ein Versuchsprojekt mit Bäckereien gestartet. Diese sollten Daten aus ihrem Betrieb veröffentlichen, damit eine App entwickelt werden kann. Die zugrundeliegende Frage: „Wo bekommt man sein Gebäck mit dem geringsten CO2-Fussabdruck?“ Über diesen spie­le­rischen Zugang sollte klargemacht werden, welche positiven Effekte die Verwertung von vorhandenen Daten haben kann. Insbesondere kosten­lose, öffentlich zugängliche Daten könnten laut Tschabuschnig durch sinnvolle Mehrfach­aus­wertung der Gesellschaft nutzen.

Daten für alle
Seit 2011 werden solche Daten in Österreich bereitgestellt; von Städten, Gemeinden, Bundes­ländern, Ministerien und anderen Verwal­tungs­einheiten. Aus der Gründung der Cooperation Open Government Data Österreich am 13. Juli 2011 ging das nationale Portal data.gv.at hervor. Auf diesem sind 27.000 nicht personenbezogene Daten offen gespeichert. Mehr als 500 Apps greifen mittlerweile darauf zu, darunter interaktive Stadtpläne oder das Covid-19-Informations­portal. Damit die Verwertung von Daten firmen-, institutions- und länderübergreifend möglich ist, braucht es technische Standards und gesetz­liche Rahmenbedingungen. Die geplante europäische Initiative Gaia-X soll eine sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur ermöglichen. Sie soll ein Gegen­entwurf zu den US-Tech-Riesen werden, die früh verstanden haben, welches Potenzial in der Monetarisierung von Daten liegt: Schätzungen zufolge könnte der Markt in der EU bis 2025 200 Milliarden € gross werden.

Dass Daten nun mal Daten bleiben, damit hat Tschabuschnig sicher recht. Die Aufmerksamkeit für das Thema wird jedoch auch in Zukunft weiter ansteigen. Egal ob im Bereich Klima, in der Wirtschaft oder als Grundlage für die Entwicklung von KI.

Text: Carsten-Pieter Zimmermann
Fotos: David Višnjić

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–21 zum Thema „Künstliche Intelligenz“.

Forbes Editors

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