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Nico Langmann ist einer der erfolgreichsten Rollstuhltennisspieler der Welt. Jetzt möchte der 27-Jährige die absolute Weltspitze erreichen und bei Grand Slams Erfolge feiern. In den letzten Jahren hat sich der Under 30-Listmaker aber auch abseits des Tennisplatzes einen Namen gemacht: Der Wiener gründete die Nico Langmann Foundation und schrieb seine Biografie. Doch Langmann will noch mehr gesellschaftlichen Einfluss ausüben.
Nico Langmann erscheint zum Gespräch, wie ihn Sportfans kennen: mit lässig ins Gesicht fallenden Haaren und einem sympathischen Lächeln. Aus dem Shootingstar im Rollstuhl ist ein erfahrener Champion geworden – der 27-Jährige hat bereits bei drei Paralympischen Spielen aufgeschlagen und mehrere internationale Turniere gewonnen. Seine höchste Weltranglistenposition im Einzel (Platz 15) erreichte er im August 2022. Aktuell ist Langmann in einer Zwangspause: Er unterzog sich einer Ellbogen-OP, da er in den letzten Jahren immer wieder Probleme damit hatte. Operationen, die normale Sportler nervös machen, bergen für Athleten im Rollstuhl ein noch höheres Risiko.
„Ich habe den chirurgischen Eingriff dreimal überlegt, denn wenn was schiefläuft – den Arm brauche ich ewig lang. Die Arme sind mein Kapital, was Selbstständigkeit betrifft. Ich brauche sie ja nicht nur beim Tennis, sondern wenn ich ins Auto einsteige, mich ins Bett lege oder auf die Toilette muss“, erklärt Langmann. Gleichzeitig hofft er, dass ein schmerzfreier Arm ihn wieder zu neuen Höchstleistungen antreibt. Sein grosses Karriereziel ist klar definiert: die Teilnahme an einem Grand-Slam-Turnier.
Und nur, wenn er so erfolgreich spielt wie nie zuvor, kann er seinen lang gehegten Traum verwirklichen. Denn um bei einem der berühmten Turniere in Melbourne, Paris, London oder New York teilnehmen zu können, muss er in die Top 14 der Weltrangliste gelangen. Dazu müsste Langmann also sein sogenanntes Career High (höchster Weltranglistenplatz) um eine Position verbessern. „Grand Slams sind nun mal die grösste Bühne im Tennis. Dort dabei zu sein ist mein Antrieb, jeden Tag alles zu geben. Das ist auch der Grund, warum ich immer wieder versuche, alles zu optimieren, und weshalb ich mich letztlich auch unters Messer gelegt habe“, so Langmann.
Um die beste Version seiner selbst zu werden, braucht der 27-Jährige den richtigen Coach. Langmann arbeitete bereits mit Wolfgang Thiem, dem Vater von Dominic Thiem, zusammen. Jetzt setzt er auf einen alten Bekannten: Seit 2022 ist Oliver Hagenauer, den er seit seiner Kindheit kennt, sein Betreuer. „Wenn man ein fortgeschrittener Spieler ist, braucht man eine Eins-zu-eins-Betreuung und ein Team, das sich speziell um deine Bedürfnisse kümmert“, sagt Langmann. Bei den Paralympischen Spielen in Paris im August dieses Jahres feierte Langmann mit seinem Team den bisher „grössten Sieg der Karriere“ – im rot-weiss-roten Outfit schlug Langmann in der ersten Runde den Südkoreaner Sung-Bong Han.
Langmann kann sich aufgrund der Schwere seiner Verletzung im Gegensatz zu anderen Spielern beim Aufschlag nicht aus dem Stuhl herausdrücken.
Schon sehr früh in seinem Leben hat Langmann gelernt, wie wichtig der Zusammenhalt innerhalb eines Teams ist: Mit nicht einmal zwei Jahren veränderte ein schwerer Autounfall sein Leben – und das seiner Familie – für immer: Auf einer Fahrt nach Tirol, bei der die Familie unverschuldet in den Unfall verwickelt wurde, erlitt Langmann eine Rückenverletzung, die zu einer Querschnittslähmung führte. Während seine Mutter mit einem Beinbruch und sein älterer Bruder mit einer Knöchelverletzung davonkamen, war Langmann von nun an auf einen Rollstuhl angewiesen. „Ich kann mich selbst nicht daran erinnern“, erzählt er, „aber meine Eltern waren plötzlich mit einer Situation konfrontiert, die sie nie hätten vorhersehen können.“ Die Herausforderung begann direkt nach der Diagnose: Österreich bot der Familie wenig Unterstützung, vor allem, weil Einrichtungen für die Rehabilitation von Kindern schlichtweg fehlten. Für Langmanns Eltern bedeutete das, ihre eigene Lösung zu finden – und diese führte ins Ausland.
1999 reisten Langmann und seine Mutter für neun Monate nach Russland, wo sie unter schwierigen Bedingungen einen Reha-Prozess durchliefen. „Niemand sprach Englisch, wir kein Russisch, und es war denen auch egal, dass ich ein Kind war“, so Langmann. In Russland lernte er früh, Barrieren eigenständig zu überwinden, da dort die Philosophie galt: Menschen mit Einschränkungen sollten nicht in einer möglichst barrierefreien Welt leben, sondern lernen, mit Hindernissen umzugehen. Für den damals Zweijährigen hiess das: Gewichte stemmen, genau wie alle anderen.
Zurück in Wien entdeckte Langmann seine Begeisterung für den Ballsport. Bei einem Familienurlaub beobachtete er seinen Bruder beim Tennisspielen und entschied sich, auch zum Schläger zu greifen. „Ich bin dann zufällig auf andere Leute gestossen, die auch Rollstuhltennis spielten, mit denen ich mittrainieren konnte“, erinnert er sich. Langmann entwickelte einen grossen Ehrgeiz.
Durch intensive Tenniseinheiten und Krafttraining schaffte er es, sich zu einem der besten Nachwuchsspieler der Welt zu entwickeln, und erreichte den zweiten Platz in der Junioren-Weltrangliste. Der Weg zum Profi, bei dem er seinen Lebensunterhalt mit Rollstuhltennis verdient, war für Langmann damals dennoch undenkbar. Im Jahr 2015 entschloss er sich, nach seiner Matura ein Jahr Auszeit zu nehmen, um sich intensiv auf die Qualifikation für die Paralympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro vorzubereiten und seinen Traum zu verwirklichen. „‚Danach muss ich halt einem Beruf nachgehen‘, dachte ich damals“, so Langmann. Doch die Wende kam, als er sich tatsächlich für die Spiele qualifizierte: Das Bundesheer meldete sich und Langmann erhielt eine Planstelle, was ihm nicht nur ein regelmässiges Einkommen, sondern auch die Chance gab, sich nur auf den Sport zu konzentrieren. „Plötzlich hast du dein Gehalt, plötzlich bist du versichert, plötzlich kannst du ohne Sorgen deiner Leidenschaft nachgehen“, sagt er mit hörbarer Dankbarkeit in der Stimme.
Heute möchte Langmann nicht nur seine sportlichen Erfolge weiter ausbauen, sondern auch aktiv etwas zurückgeben: 2022 gründete er die Nico Langmann Foundation, um mobilitätseingeschränkten Kindern den Zugang zu Sport zu ermöglichen. Durch die Stiftung werden Sportrollstühle für Kinder gekauft, die sich diese nicht leisten können.
Im vergangenen Jahr brachte Langmann auch seine Autobiografie heraus, wobei alle Einnahmen direkt in die Nico Langmann Foundation fliessen. Er tut dies alles, um positive Veränderungen in der Gesellschaft voranzutreiben: „Wenn wir es schaffen, in die Köpfe der Menschen zu bekommen, dass wir auf alle Rücksicht nehmen und inklusiv denken, dann werden die realen, physischen Barrieren von alleine fallen“, so Langmann. Auf die Frage, ob er sich eines Tages ein Amt wie das des Präsidenten des Österreichischen Behindertenrats vorstellen könnte, antwortet er lächelnd: „Eines Tages sehr gerne.“
Nico Langmann ist ein österreichischer Rollstuhltennisspieler. Abseits des gelben Filzballs fördert er mit seiner Stiftung den Zugang zum Sport für benachteiligte Kinder.
Fotos: beigestellt