Das nächste grosse Ding

Raffaela Rein ist Seriengründerin, heute ist sie als Beraterin und Rednerin sehr gefragt. Forbes US zählt sie zu den 50 erfolgreichsten europäischen Frauen im Technologiesektor.

Wir treffen Raffaela Rein quasi zwischen Tür und Angel: Gestern war sie noch in Berlin, heute ist sie wieder in ihrer Heimatstadt München. Das Interview findet dennoch nicht in ihrem Büro statt, sondern in einem Park in Bayerns Metropole, denn trotz ihrer straffen Arbeits­moral ist Raffaela Rein die „Work-­Life-Balance“ wichtig, auch wenn sie es nicht immer schafft, diese auch so umzusetzen. „Wenn es um Work-­Life-Balance geht, nehme ich sie mir zwar vor, meistens klappt es aber nicht besonders gut“, erzählt sie lachend. Und: „Meine Arbeit ist mein Leben, mein Leben ist meine Arbeit.“ Dennoch wirkt Rein entspannt und lehnt sich – dem Regenwetter und der überrasch­enden Kühle dieses Sommertags trotzend – entspannt im Sessel zurück, während sie ihren Kaffee trinkt.

Die 37-Jährige hat sich als Gründerin und CEO von Careerfoundry vorerst zurückgezogen. Heisst das, sie lässt es nun ruhiger angehen? Nein, Rein steht noch immer an der Spitze von Wild Wild Ventures, einem Early-Stage-Inkubator, der sich auf Unternehmen fokussiert, die Menschen dabei helfen, ein gesünderes Leben zu führen. Daneben ist sie unter anderem als Sustainability Council bei Porsche tätig und ist Board Member bei Mutares und der IU ­International University.

Rein kommt aber aus einer gänzlich anderen Ecke. Begonnen hat sie eigentlich beim grössten Vermögensverwalter der Welt, bei Blackrock in London – gefunkt hat es nicht. „Zugegeben, 2008 im Finanzsektor in London anzufangen war vielleicht auch nicht das ein­fachste Unterfangen“, sagt Rein und fügt hinzu: „Es gab nur wenige Jobs in diesem Bereich, die Stimmung war gedrückt und die Mühlen haben sehr langsam gemahlen.“ So wechselte Rein 2011 als Investment Strategist zu Rocket Internet und half dabei, das Gut­schein-Start-up Groupon in Peking aufzubauen. Hier kam sie zum ersten Mal mit den Unterneh­mensstrukturen eines Start-ups in Berührung. Vor allem in der ­Unternehmenskultur gab es grosse Unterschiede zwischen dem Start-up und Blackrock; Groupon wuchs in Peking innerhalb von sechs Monaten von 40 auf 3.000 Mitarbeiter.

Für Rein war dies der Beginn ihrer Start-up-Leidenschaft. „Dieses wilde, kreatives Chaos eines High-Growth-Unternehmens, wo du vor sieben im Büro sein musst, um überhaupt noch einen Tisch zu bekommen, war und ist auch heute noch total Meines“, erklärt die Unternehmerin. Kaum hatte Rein Start-up-Blut geleckt, wollte sie schon selbst gründen – einzig und allein mit der Frage, was es denn werden solle, hatte die Münchnerin damals noch etwas zu kämpfen.

„Dieses wilde, kreative Chaos von Start-ups ist total Meines“, sagt Raffaela Rein.

„Grundsätzlich finde ich, wenn es um Start-ups geht, die Arbeits­einstellung und die Unternehmensführung wichtiger als die Idee. Die Gründungen, die später zu Unicorns wurden, hatten oft nicht die unglaublich kreativen Ideen, sondern einfach nur die beste Umsetzung“, erklärt Rein. So hat auch sie die Idee für ihr erstes Start-up Careerfoundry eher dem Zufall zu verdanken: Nach ihrer Zeit bei Rocket Internet fing sie an, beim Springer-Verlag zu arbeiten, wo ihr schnell der Fachkräftemangel im Bereich Grafik­design, Web-Development und Digital­marketing auffiel. So kam ihr die Idee für Careerfoundry, ein Unternehmen, das Menschen in gefragten digitalen Berufen aus­bildet. „Mit Careerfoundry schulen wir unsere Studenten in kürzester Zeit um, von fast gar keinem Know-how zu fertigen UI- und UX-Designern. Damit lehren wir die Berufe der digitalen Wirtschaft, die gerade am meisten gefragt sind“, so Rein. Heute hat Careerfoundry mehrere Tausend Mitarbeiter und jährlich um die 120 Studenten. „Career­foundry ist mittlerweile ein mittelständisches Unternehmen geworden“, erklärt sie.

Rein brauchte damals aber noch mehr Abwechslung. „Mein Leben war sieben Jahre lang komplett von ­Careerfoundry eingenommen. Es war Zeit, meinen Themenhorizont zu erweitern“, erzählt sie. Des­wegen gründete sie nicht nur ein zweites Mal, sondern wechselte auch den Markt: Vitalute verkauft gesunde Lebensmittel – Ingwer- und Kurkuma-Shots und Pulver für Smoothies, Tees und Getränke. Rein selbst ist ein grosser Fan von Ingwer­shots und hat mit Vitalute auch ihren eigenen Wunsch nach gesunden Getränken erfüllt. Die Trink­pulver verkaufte Rein weltweit über Amazon; mittlerweile hat sie nach einigen erfolgreichen Jahren aber auch dieses Start-up verkauft. Mit ihrem Inkubator Wild Wild Ventures und ihrer Arbeit als Beraterin bei Porsche ist sie eigentlich genügend ausgelastet – aber sie schaut schon wieder weiter.

„Ich arbeite jetzt an der nächsten grossen Gründung“, sagt Rein. Genaueres über dieses „nächste grosse Ding“ will sie nicht verraten, viel Hoffnung steckt die Unter­nehmerin aber in die Blockchain- und Krypto-Technologie und in das Thema Nachhaltigkeit; zwei Bereiche, die eigentlich nicht unbedingt Hand in Hand gehen. „Ich bekomme oft die Frage gestellt, was denn die Blockchain-Technologie und Nach­haltigkeit gemeinsam haben sollen. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Blockchain, genau wie künst­liche Intelligenz, weiterentwickeln wird, auch in puncto Nachhaltigkeit“, erklärt Rein.

Was genau sie also für die Zukunft plant, ist noch ungewiss – doch wenn man auf ihre vergangenen Errungenschaften blickt, kann man sich fast sicher sein, dass es ein „grosses Ding“ wird.

Raffaela Rein war Gründerin und CEO des Karriere-Start-ups Careerfoundry und des Gesundheits-Start-ups Vitalute. Heute führt sie den Early-Stage-Inkubator Wild Wild Ventures und ist nebenbei noch als Sustainability Council bei Porsche tätig.

Fotos: Dirk Bruniecki

Lela Thun,
Redakteurin

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