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Mit annähernd 27.000 Besuchern hat das Gstaad Menuhin Festival 2023 einen Rekord aufgestellt. Hinter den Kulissen arbeiten der künstlerische Leiter Christoph Müller und Geschäftsführer Lukas Wittermann zusammen mit dem Verwaltungsrat und ihrem Team aber bereits an der Zukunft: Das Festival soll nachhaltiger, moderner und vielfältiger werden, die Organisation muss sich insgesamt auf die Zukunft vorbereiten – und einen Ersatz für Müller finden, der 2025 aufhören wird.
Die Sommermonate verbrachte Yehudi Menuhin mit seiner Familie mehrmals in Gstaad. Auf Anregung der örtlichen Touristiker begann der britisch-schweizerisch-amerikanische Musiker – Menuhin spielte Violine und Bratsche und war später auch als Dirigent aktiv –, klassische Konzerte zu geben. Im August 1957 fand das erste davon in der Mauritiuskirche Saanen statt, 1958 waren es dann bereits zehn – eine Tradition war geboren. Mehr als 60 Jahre später ist das Gstaad Menuhin Festival mit zuletzt knapp 27.000 Besuchern eines der bekanntesten Klassikfestivals der Schweiz und Europas. Zudem hat sich die Organisation breit aufgestellt und mit der Gstaad Conducting Academy eine Ausbildungsmassnahme begründet, die sich grosser Beliebtheit erfreut.
Trotz allen Erfolgs will man mit der Zeit gehen. Deshalb hat sich das Festival unter der künstlerischen Leitung von Christoph Müller (CM) und dem Geschäftsführer Lukas Wittermann (LW) einen dreijährigen Zyklus zum Thema Wandel auferlegt. 2024 lautet das Motto daher auch „Transformation“. Dieser Wandel in die Zukunft ist nicht nur aufgrund veränderter Bedürfnisse der Besucher, Partner und Kunden notwendig; es geht auch um eine Aufstellung für die Zukunft, denn Müller verlässt die Organisation nach dem Festival 2025. 2024 ist Forbes erstmals Partner des Festivals – und traf die Köpfe hinter der Gstaad Menuhin Festival & Academy AG zu einem Gespräch über Transformation, Wachstum und Inspiration.
Warum haben Sie für 2024 das Motto „Transformation“ gewählt? Ist das Motto auch ein Eigenauftrag?
CM: 2020 und 2021 geriet die Welt aus den Fugen. Wir hatten dann das Gefühl, dass wir darauf reagieren und darauf auch inhaltlich antworten müssen. Wir sind dann auf zwei Schienen gefahren: Veränderungen im Unternehmen sowie zur Frage, wie wir künstlerisch reagieren. Wir wollten inhaltlich antworten, aber dennoch auch weiterhin ein attraktives Festival bieten. Das ist eine Herausforderung, genauso wie der betriebliche Teil, wo wir etwa das Thema Nachhaltigkeit an oberste Stelle unseres Denkens und Handelns gesetzt haben. Das ist ein langer Prozess, und in dem sind wir mittendrin.
LW: Der Nachhaltigkeitsgedanke begleitet uns schon lange. Wir haben uns vor der Pandemie schon intensiv damit auseinandergesetzt. Durch Covid-19 wurden wir aber ein wenig zurückgeworfen und waren gezwungen, uns um andere Dinge zu kümmern. Ab 2021 respektive 2022 konnten wir uns dann intensiv damit beschäftigen, wie wir es schaffen, Nachhaltigkeit mit einem kulturellen Anlass zu verknüpfen und sie gleichzeitig aber auch im Geschäftsbetrieb zu implementieren. Wir befinden uns im zweiten Jahr des Zyklus „Wandel“ und das Streben nach Nachhaltigkeit ist inzwischen vollständig in unsere Abläufe implementiert.
Sie haben die These aufgestellt, dass es in zehn Jahren keine reinen Klassikfestivals mehr geben wird. Was wünschen sich Ihre Besucher denn heutzutage?
CM: Unser Wunsch, der auch ein Stück weit unsere Verpflichtung ist, ist es, die ganze Bevölkerung einzubeziehen. Wir müssen uns transformieren, wir müssen auf verschiedene Strömungen eingehen und es wäre, glaube ich, wirklich falsch, für so ein Festival einfach an dieser Ideologie der puren klassischen Musik festzuhalten. Die Wünsche des Publikums und auch das Hörspektrum der Menschen öffnen sich. Unser Ziel ist es, die nachrückende Generation zu erfassen. Dafür haben wir im Jahr 2017 das „Discovery-Programm“ gestartet, das Kinder, Jugendliche und Familien als Förderprogramm begleitet. Ein wichtiges Element sind auch die Konzerte im Zyklus „Today’s Music“, die ich seit 2003 anbiete und die dieses Jahr im Schwerpunkt „Trans-Classics“ eine besondere Gewichtung erfahren.
Was ist denn trotz allen Wandels nicht verhandelbar?
CM: Nicht verhandelbar ist die Qualität. Wir sprechen zuletzt oft von Exzellenz, und die wollen wir auch bieten – und auch Konzerte, die in einer gewissen Exklusivität beim Gstaad Menuhin Festival erlebbar sind. Alles andere ist Geschmackssache und auch ein gewisses Risiko, wenn man etwas zum ersten Mal versucht; etwa das Konzert am 7. August mit dem Vision String Quartet und einem anschliessenden Live-Electronic-Event im Rahmen der Konzertreihe „Mountain Spirit“ auf dem Eggli. Nicht verhandelbar sind ausserdem pure Klassikkonzerte, etwa hochkarätige Kammerkonzerte in der Kirche. Das ist die DNA des Festivals, die wird es weiterhin geben.
LW: Wir verstehen unser Festival als Gesamterlebnis. Wir sind Bestandteil der touristischen Destination und unser Ziel ist es, dass die Besucher und Besucherinnen neben den Konzerten auch die Schönheit der Natur und die Hotellerie und Gastronomie erleben können. Auch die Konzertorte, etwa die Kirchen der Region, sind aussergewöhnlich schön – akustisch wie ästhetisch.
Die Wünsche des Publikums und auch das Hörspektrum der Menschen öffnen sich.
Christoph Müller
Welche Rolle spielt das Schlagwort „Mission Menuhin“?
LW: Wir wollten auf Fakten aufbauen können und haben uns deswegen erst einmal von aussen bewerten lassen. Wir haben von der Stiftung Myclimate 2022 eine klassische CO2-Messung durchführen lassen und aufbauend auf den Ergebnissen einen Massnahmenplan erarbeitet, den wir jetzt nach und nach ausspielen. Uns war wichtig, das Thema transparent zu kommunizieren. Wir sind stolz, dass wir dafür eine Art Label etabliert haben: Mission Menuhin. Damit können wir in allen drei Bereichen der Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und ökonomisch – sehr aktuell berichten, wo wir gerade stehen, was wir vorhaben oder woran wir vielleicht auch mal scheitern.
Gibt es im Zuge des Fokus auf Nachhaltigkeit auch Limitationen, was die Besucherzahl angeht?
LW: Eines unserer ehrgeizigen Ziele ist es, die Anreise und den Aufenthalt aller Beteiligten so positiv wie möglich zu beeinflussen. Es ist wahr, der grösste Anteil unseres CO2-Fussabdrucks wird durch die Besucher selbst generiert. Wir sind uns dieser Herausforderung sehr bewusst. Wir haben dieses Jahr eine Kooperation mit der SBB lanciert, Festivalbesucher können zu einem reduzierten Preis mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Wir wollen das Publikum auch animieren, mehrere Konzerte zu besuchen, um Wege und Ressourcen effizienter zu nutzen. Und: Wir können über unsere künstlerischen Inhalte auch einen grossen Impact auf unser Publikum haben.
CM: Es geht darum, das Publikum nicht abzuschrecken, sondern Anreize zu schaffen. Diese Haltung und diese Botschaften müssen wir auch in musikalische Projekte verpacken. Das ist eine Herausforderung, die wir aber annehmen. Wir haben eine Partnerschaft mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja gestartet und uns mit ihr Projekte vorgenommen, in denen Werke in neuem Licht und vor dem Hintergrund der Klimaveränderung gezeigt werden. Diese Konzerte stellen wir unter den Titel „Music for the Planet“.
Zuletzt lag der Umsatz bei etwa sieben Mio. CHF. Gibt es Ziele, die Erlöse weiter zu steigern?
LW: Das ist keine Zielsetzung. Der Umsatz arrangiert sich, je nach Projekten, zwischen 6,5 und 7,5 Mio. CHF. Wir haben in den letzten 20 Jahren einen enormen Zuwachs gesehen, unser Ziel ist, dieses Level zu halten. Wir sind da nicht betriebswirtschaftlich denkend, wir müssen nicht immer grösser werden. Als Non-Profit-Organisation ist unser höchstes Ziel, am Ende des Jahres mit einer schwarzen Null herauszukommen. Wachstum ist nicht unsere treibende Kraft, sondern die Weiterentwicklung und die ständige Verbesserung unserer Angebote, der Qualität und der Effizienz sind es.
CM: Das Wachstum der letzten Jahre wurde auch durch neue Projekte generiert. Das sind etwa die Academy-Projekte, das Gstaad Festival Orchestra, das „Discovery“-Projekt für Kinder und Jugendliche oder die Angebote für jugendliche und erwachsene Amateurmusiker im Rahmen der Amateurorchester-Wochen. Wir haben jedoch nie planlos neue Projekte in die Welt gesetzt, sondern sie jeweils erst lanciert, wenn sie auch finanziert werden konnten und klar war, dass seitens der Musikwelt Interesse vorhanden ist. Dadurch war es ein sehr natürliches, organisches Wachstum.
Wo liegen denn eigentlich die Schwerpunkte?
LW: Der Schwerpunkt liegt definitiv beim Festival selbst, beim Konzertbetrieb. Dann haben wir die Nebenbetriebe, da ist vor allem die Gstaad Academy zu nennen; dort stehen rund 900.000 CHF Budget zur Verfügung. Das Festival-Orchester schwankt am stärksten, da hängt es davon ab, ob wir zwei, drei oder fünf Tournee-Konzerte haben. Da sind zwischen 300.000 und 800.000 CHF pro Jahr möglich.
Was umfasst die Gstaad Academy?
CM: Wir haben ab dem Jahr 2008 begonnen, Schritt für Schritt verschiedene Academies einzuführen. 2014 folgte dann die Gstaad Conducting Academy, die unser erfolgreichstes Produkt beziehungsweise unsere innovativste und eigenständigste Erfindung der letzten Jahre ist. Hier feiern wir 2024 die zehnte Ausgabe. Wir haben damals festgestellt, dass es unzählige Masterclasses aller Art gibt, aber sehr wenig für Dirigentinnen und Dirigenten; das, da der Umfang und die Organisation so dermassen aufwendig und teuer sind. Die Figur der Dirigentin oder des Dirigenten ist im Musikleben aber so präsent, da gab es eine Disbalance. Es gibt ein tolles Beispiel in den USA, das Aspen Festival, das seit Jahrzehnten eine Conducting Academy anbietet – wir haben versucht, etwas Ähnliches zu kreieren und auch da mit einem sehr hohen qualitativen Anspruch zu agieren.
LW: Im Prozess der Academy kann man beobachten, wie sich junge Menschen zu Führungspersönlichkeiten entwickeln. Das ist ein Leadership-Training auf höchstem Niveau – im Rahmen der klassischen Musikwelt. Mit dem Thema Leadership schlagen wir eine Brücke zwischen Kunst und Wirtschaft.
Herr Müller, Sie verlassen das Festival Ende 2025. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
CM: Es wäre schön, wenn sich der Weg, den wir die letzten 20 Jahre eingeschlagen und seit 2023 mutig fortgesetzt haben, weiterhin in positiven Resultaten niederschlägt – und dass es gelingt, mit unseren Inhalten das Potenzial an jüngerem Publikum abzuholen. Und mein geheimer Wunsch: dass wir irgendwann 30.000 Besucher erreichen.
Christoph Müller ist seit 2002 Artistic Director der Gstaad Menuhin Festival & Academy AG. Er wird Ende 2025 von seiner Position zurücktreten. Lukas Wittermann ist seit 2019 Geschäftsführer der Gstaad Menuhin Festival & Academy AG.
Fotos: Florian Spring