DAS BLATT WENDEN

Das italienische Unternehmen Moleskine, das für seine schwarzen Notizbücher bekannt ist, will ein neues Kapitel beginnen. CEO Daniela Riccardi hat ein Ziel vor Augen: Sie will ihr Unternehmen digitalisieren und dabei eine profitablere Ära für Moleskine einläuten.

Daniela Riccardi ist den ganzen Tag von Notizbüchern umgeben, dennoch sieht sie sich nicht als ambitionierte Leserin. Stattdessen behält sie Wissen gerne in ihrem Kopf: „Mein Gehirn kann Dinge sehr gut speichern!“, sagt sie. Nur wenn ihr eine grosse, neue Idee kommt, zückt sie eines ihrer vielen Notizbücher, die sich in ihrer Woh­nung in Mailand häufen. „Auf Papier schreibe ich eigentlich nur, um wichtige Gedankengänge zu notieren und meine Ideen zu formulieren“, so die Managerin.

Jene einfache Tätigkeit des Dingeaufschreibens war seit 1997 die Haupteinnahmequelle von Moleskine. Heute hat das Unternehmen 500 Angestellte und 59 Filialen weltweit; seinen Erfolg hat es dem kleinen schwarzen Notizbuch mit den runden Ecken, dem elfenbeinfarbenen Papier und dem charakteristischen Lese­zeichen zu verdanken. Moleskine wurde vor dem Börsengang im Jahr 2013 von UBS-Analysten als „das kleine Schwarze der Notizbücher“ bezeichnet. Die Popularität der Marke hat ein umfangreiches Ökosystem von Produkten wie Kalendern, Taschen und Schreibgeräten hervorgebracht. Seit 2017 befindet sich Moleskine vollständig im Besitz der belgischen D’Ieteren-Gruppe. Die Bekanntheit des Unternehmens speist sich nicht zuletzt auch durch Partnerschaften, etwa mit der Lufthansa für ihre Amenity-Kits oder der Universität Leipzig rund um deren 600-Jahre-Jubiläum.

Heute hat Riccardi als CEO von Moleskine jedoch mit einem Konflikt zu kämpfen, denn das Geschäftsmodell beruht auf einigen sehr entscheidenden Faktoren: Zum einen, dass die Menschen weiterhin persönlich einkaufen gehen, und zum anderen, dass sie weiterhin auf Papier schreiben. Beides ändert sich mit der digitalen Revolution und dem Onlineshopping. Letzteres macht aber nur 10 % des Umsatzes von Moleskine aus, der Rest stammt aus dem Gross- und Einzelhandel und aus B2B-Kanälen. Gleichzeitig hat die Coronapandemie die Besucher­zahlen in den Geschäften zunichtegemacht: Der Umsatz sank im Jahr 2020 auf 102,3 Millionen € (gegenüber 163,9 Millionen € im Jahr 2019). Insgesamt wurden 7,4 Millionen Notebooks und 4,3 Millionen Terminkalender verkauft. Für 2021 erwartet Riccardi eine Umsatzsteigerung von 30 bis 40 % gegenüber 2020. „Wir müssen eine neue Formel für die Rentabilität finden“, sagt die CEO per Videochat, während sie in Mailand sitzt. Moleskine verkauft seine Produkte zu einem Premiumpreis, der sich an den Preisen höherwertiger Schreibwarenmarken wie Leuchtturm1917 orientiert. Das klassische Moleskine-Notizbuch kostet 15 €, die Lederversionen 45 € und einige Rucksäcke sogar 200 €. „Wenn die Besucherzahlen zurückgehen, müssten die Konversionsrate und der durchschnittliche Ticketpreis (durchschnittlicher Verkauf pro Kunde) viel höher sein“, erklärt Riccardi.

Insgesamt hat Moleskine im Jahr 2020 7,4 Millionen Notizbücher und 4,3 Millionen Terminkalender verkauft.

Die meiste Zeit ihrer Kindheit träumte die Managerin von einer Karriere auf der Bühne. Die gebürtige Italienerin besuchte bereits im Alter von fünf Jahren klassischen Tanzunterricht, mit elf Jahren schaffte sie es an die Nationale Tanzakademie in Rom. „Als ich 18 war, dachte ich, dass mein Leben der Tanz sein würde“, erzählt sie heute. Später wollte Riccardi aber auch studieren und sich in der Diplomatie versuchen – deshalb beschloss sie am Tag ihres Abschlusses, die Tanzkarriere hinter sich zu lassen und an der Universität La Sapienza in Rom Politikwissenschaft und internationale Beziehungen zu studieren.

Schliesslich ging sie zum Konsumgüterriesen Procter & Gamble, wo sie 25 Jahre lang in Belgien, China und Russland arbeitete. In letzterem Staat wohnte sie direkt nach der russischen Finanzkrise 1998; weitere neun Jahre lebte sie zwischen Kolumbien, Mexiko und Venezuela. Dort zog sie vor allem das „unausgesprochene Potenzial dieser Märkte“ an. Unternehmenssanierungen und der Einzelhandel scheinen ein Marken­zeichen von Riccardis Lebenslauf zu sein: Um die Rentabilität wiederherzustellen, wurde sie 2010 als CEO des italienischen Jeansunternehmens Diesel eingestellt; drei Jahre später wurde sie als CEO mit der Umstrukturierung des französischen Kristall­unternehmens Baccarat beauftragt.

Als Riccardi im April 2020 die Position als CEO von Moleskine übernahm, gab es jedoch keine Vorlage, an der sie sich orientieren konnte. Wegen der Pandemie sass sie zu Beginn im Haus ihrer Eltern fest – und steckte sie auch mit dem Virus an. Aber die Geschäftsfrau ist sehr optimistisch und meint, dass sie „das Glas immer halb voll“ sieht. Riccardi verbrachte die Zeit zu Hause, um die Entwicklung von ­Moleskine zu dokumentieren und einen Plan für die nächsten fünf Jahre zu entwerfen. Sie lacht: „Endlich kam dann der Juni und ich konnte aus Paris fliehen. Ich sass in einem der ersten Züge von Paris nach Mailand!“

Daniela Riccardi
...wurde in Rom geboren und studierte Politikwissenschaft und Internationale Beziehungen an der Universität La Sapienza in Italiens Hauptstadt. Im April 2020 wurde sie CEO von Moleskine; davor war sie CEO von Baccarat und Diesel und hatte 25 Jahre beim US-amerikanischen Konsumgüter­unternehmen Procter & Gamble verbracht.

Heute scheint Moleskine ein neues Kapitel aufzuschlagen. Mit Riccardi an der Spitze sollen vor allem die Entwicklung neuer Einzelhandels­angebote, die Vereinfachung des Produktportfolios und die Gewinnung neuer Zielgruppen vorangetrieben werden. In seiner Trickkiste hat das Unternehmen bereits das Smart Writing System und die Moleskine Notes App. Was hält Riccardi von diesem digitalen Wandel? „Ich denke, dass dies letztendlich die Zukunft der Marke sein wird.“ Strategisch gesehen ist es für Moleskine ein notwendiger Schritt, um die jüngere Generation anzusprechen – sie verweist dabei auf ihre eigenen beiden Kinder. „Wir haben eine Community von Millionen Jugendlichen“, sagt Riccardi. Auf Tiktok hat der Hashtag #Moleskine bereits über 28 Millionen Aufrufe.

Offline entwickelt Moleskine auch neue Einzelhandelskonzepte (das meiste davon intern, denn Riccardi meint, sie sei „allergisch gegen Berater“): So wurde beispielsweise eine Wanderausstellung für das Einkaufszentrum K-11 in Shanghai geplant. Diese zeigt Kunstwerke von aufstrebenden chinesischen Künstlern; direkt daneben soll es dann einen Moleskine-Pop-up-Store geben. „In China sind wir noch sehr jung“, betont Riccardi. „Man braucht ein starkes Image, starke Investitionen und einen guten Einzelhandel. Leider denke ich, dass wir nicht gut genug in diese Dinge investiert haben.“ China ist neben Japan, Frank­reich, Grossbritannien und den USA einer der Märkte, in denen sich Moleskine viel Potenzial erhofft.

Während das Unternehmen (mit Büros in Köln, Hongkong und New York) hofft, seine Marktreichweite zu vergrössern, wird gleichzeitig das Produktportfolio verfeinert. Das Motto dabei lautet: „Weniger, grösser, besser“. „Möglicherweise haben Taschen und Accessoires von unserem Kernprodukt abgelenkt“, räumt Riccardi ein. Der Anteilseigner D’Ieteren-Gruppe bezeichnet diese Produkte jedoch als „margenstarke Evergreens“: Sie sollen dauerhaft attraktiv sein, ohne aus der Mode zu kommen. „Der Fokus und die Absicht unseres Unternehmens“, betont Riccardi, „ist aber dennoch Papier – und ich denke, wir haben das Privileg, in diesem Bereich den Massstab für Exzellenz zu setzen.“

Text: Olivia Chang
Fotos: Moleskine

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–21 zum Thema „Handel“.

Olivia Chang,
Redakteurin

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