Cracking the PET Code

Recycling von Plastik ist das Gebot der Stunde, mechanisches Recycling allein reicht aber nicht aus. Das schweizerische Spin-off Depoly, das kürzlich eine Finanzierungsrunde über 13,8 Mio. US-$ bekannt gab, geht dieses Problem frontal an: Seine derzeitige chemische Recyclinganlage mit einer Kapazität von 50 Tonnen pro Jahr zielt auf den PET-Gehalt in Abfällen ab, ohne Vorsortierung oder Vorwaschen. Jetzt will Depoly skalieren, und zwar auf eine Anlage mit einer Kapazität von 500 Tonnen.

Die Menschheit hat ein altbekanntes Problem: Plastik. Die weltweite Produktion wird sich bis 2035 ver­doppeln und bis 2050 vervierfachen, und nur 9 % der Plastikabfälle erhalten eine zweite Chance durch Recycling. Da Plastik in der Natur erst in ca. 500 Jahren zersetzt wird, fallen Unmengen Plastikmüll an – laut OECD 353 Mio. Tonnen allein im Jahr 2019. Die Lösung des Problems liegt sowohl in der Reduzierung des Plastikverbrauchs als auch in der Erhöhung der Recyclingkapazitäten. Start-ups wie Waterdrop, Mitte und Air Up arbeiten daran, die Menschen zu motivieren, mit Mineralien oder Geschmackskapseln angereichertes Wasser zu konsumieren, um den Plastikmüll zu minimieren, und es gibt Initiativen wie jene von Tim Steppichs Climateu, das Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus dem Bereich der Klimatechnik zusammenbringt, um diese Herausforderung gemeinsam anzugehen.

Auf der anderen Seite widmen sich eine Reihe von Deep-Tech-­Unternehmen dem bislang nicht recycelbaren Plastikmüll. Das französische Unternehmen Carbios hat sich 71,8 Mio. € für die Erforschung des enzymatischen Bio­recyclings gesichert, während das Schweizer Unternehmen Gr3n mit einer Investition von 10,1 Mio. US-$ das PET-Recycling mit seiner Mikro­-
wellentechnologie verbessern will.

An der Spitze des technolo­gischen Kampfs gegen Plastik steht Depoly, ein Spin-off der EPFL, das von drei Chemikern gegründet wurde: Bardiya Valizadeh (CTO), Christopher Ireland (CSO) und Samantha Anderson (CEO). Im Juni gaben sie eine Startfinanzierung in Höhe von 13,8 Mio. US-$ bekannt. Ihr Geschäft basiert auf dem Verkauf von Rohstoffen, die aus recyceltem Kunststoff gewonnen werden, um damit neue Produkte herzustellen. Mit ihrer chemischen Pilotanlage, die sich derzeit in einer Anlage für chemische Abfälle in Seon (Schweiz) befindet und 50 Tonnen PET- und Polyester-Kunststoffe verarbeiten kann, versorgen sie Kunden aus der Fast-Fashion- und Sportartikel­industrie, Verpackungshersteller
und Harzproduzenten.

Wenn Samantha Anderson an ihre Kindheit zurückdenkt, erinnert sie sich an ihre Faszination für die Wissenschaft: „Ich habe meine Eltern immer gebeten, mir Bücher über skurrile wissenschaftliche Themen für Kinder zu kaufen.“ Obwohl weder ihre Mutter noch ihr Vater Wissenschaftler war, hat Anderson als Kind gerne Wissenschaftssendungen gesehen. „Erinnern Sie sich an Bill Nye, den Science Guy?“, fragt sie. „Oder an die Sendung ‚Popular Mechanics for Kids‘, die in den 1990er-Jahren ausgestrahlt wurde? Vielleicht waren es diese Eindrücke, die mein ­Interesse für die Forschung geweckt haben.“

Die Kanadierin schlug eine akademische Laufbahn ein, die mit einem Doktorat in Chemie in Seon ihren ersten Höhepunkt fand. Hier lernte sie Bardiya Valizadeh und Christopher Ireland kennen, die alle eine gemeinsame Erkenntnis verband: Die Europäische Union stand vor einem dringenden Problem mit dem Recycling. „Die Industrie hat sich einfach nicht so schnell bewegt, wie wir dachten“, sagt Anderson, „also haben wir be­schlossen, dass wir das Problem selbst angehen.“

Samantha Anderson ist eine Chemikerin aus Kanada, die jetzt den CEO-Hut bei Depoly trägt.

Die Chemiker positionieren sich am Rand des Problems, also „am Ende der Schlange, wo Deponie oder Verbrennung die einzigen Optionen sind“, sagt die CEO. Ihre selbst gestellte Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das Recyclingsystem narrensicher ist und „nichts durchschlüpft und in die Umwelt gelangt“; kein einfaches Unterfangen, wenn man bedenkt, wie viele verschiedene Arten von Kunststoffen es gibt.

Der Grossteil des recycelbaren PET beschränkt sich auf unverfälschte, nicht kontaminierte Post-Verbraucher-Abfälle. Komplexe Mischungen wie Teppiche, mit Strichcodes versehene Produkte, die Original-PET-Folien mit chemischer Tinte enthalten, sowie Komponenten, die in Fahrzeugen, Flugzeugen und Transportsystemen zu finden sind, können mit mechanischen Methoden nicht effektiv recycelt werden. Das Schicksal dieser Produkte hängt weitgehend von ihrer geografischen Lage ab: In Kanada zum Beispiel ist die Deponierung, also das Vergraben von PET, die vorherrschende Praxis, in Europa ist die Verbrennung eine gängige Methode – ebenso wie das „Kopf-in-den-Sand-Stecken“: Im Jahr 2021 wurden 1,135 Mio. Kilogramm Kunststoffabfälle aus der EU exportiert – wobei die Türkei das wichtigste Exportziel war.

Das ist für die drei Wissenschaftler von Depoly inakzeptabel. Diese Vorgehensweise habe kein einziges Problem gelöst, sondern nur neue geschaffen, sagen sie. Derzeit arbeitet das Europäische Parlament an einem Gesetz, das, wenn es verabschiedet wird, die Ausfuhr von Kunststoffabfällen in Nicht-OECD-Länder stoppen und die Ausfuhr in OECD-Länder innerhalb von vier Jahren begrenzen soll. Dies setzt jedoch voraus, dass die EU über die Mittel verfügt, diesen Abfall innerhalb ihrer Grenzen zu recyceln. Angesichts dessen brauchen die Deep-Tech-­Unternehmen in der EU mehr Unterstützung von den jeweiligen Regierungen. Obwohl dies noch nicht vollständig in die Praxis umgesetzt wurde, „sind sie auf dem Weg dahin“, sagt Anderson.

Das 18-köpfige Team von Depoly setzt eine Depolymerisationstechnologie ein, die eine schnelle chemische Reaktion bei Raum­temperatur hervorruft, bei der PET in seine Monomere zerlegt wird. Das Alleinstellungsmerkmal der Depoly-­Methode ist, dass sie bei Raum­temperatur abläuft, was sie von vielen anderen chemischen Prozessen unterscheidet, die Hitze oder Druck erfordern. Bei den übrigen Schritten handelt es sich jedoch um bekannte Prozesse innerhalb der Standard­abläufe in Chemieanlagen: Filtration, Destillation, Trennung sowie Trocknung.

Derzeit befindet sich das Unternehmen in einer Wachstumsphase, „einer aufregenden Phase für unser Start-up“, wie Anderson es ausdrückt, in der der Schwerpunkt auf der Skalierung liegt. Die jüngste Investitionsrunde wird für die weitere Entwicklung der Technologie und den Bau der neuen Anlage mit einer Kapazität von 500 Tonnen pro Jahr verwendet. „Das ist das Hauptziel“, sagt die Kanadierin, „sowohl persönlich als auch als CEO, denn man will immer sehen, wie sein Projekt wächst und sich verselbstständigt.“ Ihr Fokus auf Skalierung bringt Herausforderungen mit sich, die von der Beschaffung geeigneter Ausrüstung bis zur Bewältigung von Herausforderungen in der Liefer­kette reichen. Aber wenn es Depoly gelingt, könnte das Unternehmen ein wichtiger Teil der Lösung sein, um den widerstandsfähigsten Teil des Plastik­problems in Angriff zu nehmen. Gemäss der legendären Ozeanografin Sylvia Earle, die sagte: „Es ist die schlimmste aller Zeiten, aber es ist die beste aller Zeiten, denn wir haben noch eine Chance.“

Depoly, ein Spin-off der EPFL, ist ein Deep-Tech-Unternehmen, das sich mit chemischem Recycling beschäftigt. Gegründet wurde es von den drei Chemikern Bardiya Valizadeh (CTO), Christopher Ireland (CSO) und Samantha Anderson (CEO).

Fotos: Ali Zigeli, Mojtaba Rezaei

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