Climeworks: Ab an die frische Luft

Das Zürcher Unternehmen saugt CO2 aus der Luft und bekämpft so den Klimawandel.

Sollten wir das schaffen, wären wir eines der grössten Unternehmen der Welt.“ Es ist eine vor Optimismus strotzende – und dennoch nicht gänzlich unrealistische – Aussage, die Christoph Gebald da gegen Ende unseres Gesprächs plötzlich von sich gibt. Der doch sehr überlegt wirkende Gründer des Zürcher Unternehmens Climeworks ist aber trotz seines Naturells offensichtlich entschlossen, sich nicht mit Mittelmass zufriedenzugeben: „Wir wollen kein KMU (Klein- und Mittelunternehmen, Anm.) mit 50 Mitarbeitern sein, sondern ein Unternehmen mit globalem Impact.“

Mal abgesehen davon, wie ­realistisch das ist: Für den ­Planeten wäre die Umsetzung dieser ­Vision – gelinde gesagt – keine schlechte Idee. Denn obwohl es Mutter Erde letztendlich wohl egal ist, wer sie rettet – es muss etwas getan werden: Denn das von allen Staaten der Erde (ab 2020 mit Ausnahme der USA) anerkannte Pariser Klimaabkommen legt fest, den globalen Temperaturanstieg (gegenüber vorindustriellen ­Werten) auf „deutlich unter zwei Grad ­Celsius zu begrenzen“. Um dieses Ziel zu ­erreichen, wird es in Zukunft ­jedoch nicht genügen, den CO2-Ausstoss zu ­reduzieren. Viel eher muss die Menschheit Wege und Möglichkeiten finden, Kohlendioxid aktiv aus der Luft zu ­holen, um die Konzentration in der ­Atmosphäre zu verringern.

Was es also braucht, ist eine „schwarze Null“ in Sachen CO2-­Emissionen – und langfristig sogar negative Emissionen (NETS). Das ist kein Wunschdenken, sondern Notwendigkeit. So basieren etwa 101 der insgesamt 116 Klimamodelle des ­Intergovernmental Panel on Climate ­Change (IPCC) auf der Annahme, dass die Menschheit in absehbarer Zukunft negative Emissionen produziert.

Genau mit diesem Ansatz will Clime­works zu einem der grössten ­Unternehmen der Welt werden. Denn Christoph Gebald und sein Mitgründer Jan Wurzbacher forschen seit nunmehr fast zehn Jahren intensiv an einer Technologie, die die Bindung von Kohlendioxid ermöglicht – um dieses dann in konzentrierter Form entweder weitergeben oder unterirdisch sicher lagern zu können. Was auf den ersten Blick nach einem Hirngespinst zweier Weltverbesserer klingt, funktioniert ­offenbar tatsächlich.

Gebald selbst beschreibt die Methode folgendermassen: „Wir nennen diese Maschinen CO2-Kollektoren, also modulare Systeme, die ein Filter­material beinhalten, das Kohlendioxid selektiv bindet. Das Funktionsprinzip ist folgendes: CO2 ist eine Säure, wir haben eine Base entwickelt. Säuren und Basen reagieren miteinander. Das CO2 wird also an der Oberfläche der Base immobilisiert, in einem zweiten Schritt wird diese Bindung dann durch Wärme aufgetrennt.“

Das Unternehmen, das auf ­dieser Technologie basiert, war alles andere als ein Schnellschuss. Gebald und Wurzbacher lernten einander 2003 als Studenten an der ETH Zürich kennen. Die beiden Deutschen verstanden einander – umzingelt von Mundart sprechenden Schweizern – im wahrsten Sinne des Wortes auf Anhieb und wurden enge Freunde. Die Idee zu Climeworks hatten sie schon damals, ganz zu Beginn ihres Studiums – und verfolgten sie in weiterer Folge konsequent. So richtig Nägel mit Köpfen ­machten die beiden aber erst nach ­Abschluss des Studiums, als sie an­fingen, das Unternehmen in Zürich zu seiner heutigen Grösse mit rund 50 Mitarbeitern aufzubauen.

Alleine sind die beiden mit ihrem Wunsch, den Klimawandel zu bekämpfen, aber nicht. Dabei sind jedoch nicht alle Konzepte technologisch getrieben. Eine Idee wäre etwa, Wälder aufzuforsten, deren Bäume dann genügend CO2 aus der Atmosphäre holen. Das Problem: Wälder benötigen nicht nur enorm viel Platz, sondern binden auch Ressourcen, nicht zuletzt Wasser. Die Fläche, die mit Wäldern bepflanzt werden müsste, um das Klimaziel zu erreichen, wäre zudem ein im wahrsten Sinne des Wortes „grosses“ Problem: Laut Gebald würde ein solcher Wald eine Fläche benötigen, die ungefähr der dreifachen von Indien entspräche. „Irgendwann kommt es dann zu einem Wettbewerb mit der Fläche für Nahrungsmittel“, sagt Gebald.

Jedenfalls könnten diese Bäume nach einer gewissen Periode, in der sie CO2 binden, in Kraftwerken verbrannt werden und dabei Energie erzeugen; das dabei entstehende ­Kohlendioxid könnte unterirdisch gespeichert werden. Auf diesem Weg würden diese Bäume letztlich für negative Emissionen sorgen. Dieses Vorgehen nennt sich BECCS (bio-energy with carbon capture and storage) – ökologisch sinnvoll, doch politisch scheint eine solche Idee wohl nur schwer umsetzbar.

Andere Methoden, die Natur im Kampf gegen den Klimawandel zu ­nutzen – etwa durch die künstliche Anpflanzung von Algenwäldern –, ­stecken noch in den Kinderschuhen. Gebald: „Platzmässig ist unsere Technologie etwa um den Faktor fünf effi­zienter.“ Doch Gebald sieht die verschiedenen Ansätze nicht unbedingt als konkurrierend. Denn der Klimawandel sei laut dem Unternehmer keinesfalls als Einzelkämpfer zu besiegen. „Der wichtigste Gedanke in dieser Hinsicht ist ein Portfoliogedanke. Der Klimawandel wird häufig als grösstes Problem aller Zeiten der Menschheit bezeichnet. Dieses Problem mit einer einzigen ­Lösung anzugehen, etwa Aufforstung – noch dazu in einer Zeit, wo wir noch nicht einmal die Abholzung im Griff haben –, fühlt sich unvorsichtig an. Auch in jedem Finanzprodukt werden verschiedene Vehikel genutzt, doch den Klimawandel will man mit einem einzigen Produkt bekämpfen.“

Insofern plädiert Gebald also dafür, mehrere Ansätze zu verbinden. Das könnte etwa die Technologie von ­Climeworks gemeinsam mit einer synchron passierenden Aufforstung sein. Doch selbst bei einem Portfoliogedanken bleiben die Kosten ein Pro­blem. Während Climeworks in Sachen Platzverbrauch nämlich einen deutlichen Vorsprung gegenüber natürlichen Ansätzen hat, ist die Technologie (noch) deutlich kapitalintensiver. Pro extrahierter Tonne CO2 entstehen dabei Kosten von rund 600 US-$. BECCS kommt hingegen laut einer Schätzung der American Physical Society auf Kosten von im Schnitt 60 bis 250 US-$ pro Tonne. Die Kosten sind aber nicht nur im Vergleich zu anderen Methoden zu hoch, sondern auch insofern, als Preise von 600 US-$ absolut nicht marktfähig sind. Das zeigt sich auch in der Praxis: Die erste kommerzielle Climeworks-Anlage befindet sich im Schweizer Hinwil unweit von Zürich. Direkt benachbart liegt ein Grundstück der Gebrüder Meier, des allerersten Kunden des Unternehmens, die das konzentrierte Kohlendioxid kaufen und damit ihr Gewächshaus speisen. Der Kaufpreis pro Tonne CO2: 200 US-$.

Doch Gebald lässt sich davon nicht beunruhigen. „Der Preispunkt von 600 US-$ ist eine Momentaufnahme. Technologien werden typischerweise billiger – und wir sind ein Technologieansatz. Wir sind ähnlich wie Lithium-Ionen-Batterien oder Fotovoltaik. Ich wäre überrascht, wenn der zweite Datenpunkt nicht darunterliegen würde – und der dritte auch.“ Bis es so weit ist, wird die Differenz zwischen Marktpreis und Kosten vom Schweizer Bundesamt für Energie zugeschossen – als Förderung. Doch auch vonseiten der Europäischen Union wird Climeworks gefördert, im Rahmen der EU-Programme Horizon 2020 oder Eurostars. Rund fünf Millionen Schweizer Franken stammen aus solchen Förderungen, wiederum 15 Millionen Schweizer Franken sammelte Climeworks aus privaten Quellen ein, unter anderem von der Zürcher Kantonalbank.

Gebald: „Das sind Equity-Invest­ments, die wir bisher gemacht ­haben – und auch weiter so machen werden. Wir sind nach wie vor auf ­Investoren angewiesen. In diesem Sinne sind wir ein klassisches Start-up.“ Doch trotz Fremdfinanzierung stellen sich – ganz Start-up – auch schon die ersten Kunden ein, neben den Gebrüdern Meier etwa Audi. Bereits seit Längerem kooperiert der deutsche ­Automobilhersteller mit ­Unternehmen, die daran arbeiten, synthetische Treibstoffe als Ersatz zu fossilen zu ent­wickeln. Seit 2014 arbeitet die VW-Toch­ter zu diesem Zweck auch mit Climeworks zusammen. Die Technologie der Zürcher soll helfen, durch ein Synthesegas künstlich Diesel oder Benzin zu produzieren. So könnte Audi ­einen Schritt Richtung CO2-neutrale Mobilität machen.

Zu Climeworks’ Kunden gehört aber auch die Familie Swan – Robert und Barney. Die beiden ­absolvierten 2014 eine Expedition zum ­Nordpol und nutzten dabei ausschliesslich ­erneuerbare Energien. Doch um ihre Reise vollständig klimaneutral zu gestalten, müssen sie die von der Expedition verursachten CO2-Emissionen – etwa von Flügen oder Logistiktätigkeiten – heute neutralisieren und nutzen dazu die Technologie von Climeworks. Konkret „kaufen“ die Swans dabei die Absaugung einer bestimmten Menge CO2, die mithilfe eines Prozesses namens „CarbFix“ aus der Atmosphäre gefiltert und dann im Untergrund verstaut wird. Bei dem Prozess wird in einer ­Pilotanlage Kohlendioxid in Karbonat – also eine Gesteinsart – verwandelt. Die Anlage steht aber nicht wie die andere von Climeworks in der Schweiz, sondern auf der Hochebene Hellisheidi in Island. Betrieben wird das Werk von Reykjavik Energy, jedoch unter Hinzunahme von Climeworks’ Technologie.

Wie bei der Anlage in Hinwil wird mithilfe von Kollektoren CO2 aus der Luft gefiltert. Sobald diese gesättigt sind, ­erhitzt die Anlage die Filter, wobei das Kohlendioxid als reines Gas freigesetzt wird. Anschliessend wird dieses Gas gebunden, in 700 Meter Tiefe gepumpt, wo es mit dem dort vorhandenen Basalt (basisches Ergussgestein, Anm.) reagiert und sich in unschädliches Karbonat verwandelt. Durch die von Climeworks bereitgestellte Technologie lässt sich der Prozess theore­tisch überall einsetzen, wo Basalt und Hitze vorhanden sind. Überhaupt ist Hitze eine essenzielle Zutat, weshalb die Anlage in Hinwil auch an eine Müllverbrennungsanlage angeschlossen ist und jene in Island in der Nähe von heissen Geysiren steht. Abgesehen von den Gebrüdern Meier, Audi und der Familie Swan steht zudem auch Climateworks, eine globale NGO mit Sitz in San Francisco, auf der Kundenliste.

Eine klimabezogene Richtungnentscheidung

Klingt alles schön und gut. Die ­Ansage, eines der grössten Unternehmen der Welt werden zu wollen, ist dennoch eine starke. Welche grossen Stolpersteine sind also vorhanden? Gebald fallen dazu drei ein, die ihm Kopfzerbrechen bereiten könnten: die Finanzierung einer solchen Operation, die Ankunft in der Mainstream-Bevölkerung und ein Preis für CO2. Gebald bezüglich Finanzierung: „Wenn wir das so planen, ­besitzen wir 2050 in etwa so viele Assets wie die grössten Erdölfirmen der Welt heute. So etwas zu finanzieren ist nicht trivial. Da braucht es auch Glück.“ Laut der Forbes-Global-2000-Liste der grössten Unternehmen der Welt besitzt der US-Ölriese Exxon Mobil Assets im Wert von 330 Milliarden US-$, ­Royal Dutch Shell von 411 Milliarden US-$ und Petrochina von 344 Milliarden US-$. Noch ein ziemlicher Weg für Climeworks. Denn mit den derzeitigen Produktionskapazitäten lassen sich jährlich rund 150 CO2-­Kollektoren herstellen – womit man pro Jahr  7.500 Tonnen CO2 unschädlich machen könnte. Bis 2025 will das Unternehmen jedoch ein Prozent der globalen CO2-Emissionen einfangen können, wozu rund 750.000 Schiffscontainer voller CO2-Kollektoren in­stalliert werden müssten.

Doch neben der Finanzierung solcher Dimensionen ist auch der Durchbruch, also das Ankommen im Mainstream, notwendig. Gebald: „Alle Kunden, die wir heute haben, sind Pioniere. Wir können aber, um gross zu werden, nicht nur auf First Mover hoffen.“ Und drittens – doch das scheint nicht nur Climeworks zu beschäftigen – geht das Unternehmen in seinen Prognosen von der Einführung eines CO2-Preises aus. „Wir nehmen einen CO2-Preis an, der bei 100 US-$ pro Tonne liegt. Sollte dieser Preis nicht kommen und sollten wir ergo alles marktbasiert umsetzen müssen, könnten wir an eine Grenze stossen.“ Diese Diskussion ist nicht neu, ein solcher Preis – der dazu dienen soll, die durch Emissionen verursachten Kosten zumindest teilweise zu internalisieren – könnte etwa in Form einer Steuer oder eines CO2-Handelssystems eingeführt werden. Auch Experten fordern die Einführung einer solchen Steuer, so etwa John E. Morton, ehemaliger Energieberater der Obama-­Regierung und heute Fellow der Stiftung Mercator. Doch Morton sieht auf dem Weg dorthin auch Schwierig­keiten: „Wir benötigen einen globalen Preis für CO2.

Werden wir den in den nächsten zehn Jahren bekommen? Nein. Was wir aber bereits heute sehen, sind regionale und nationale Preise für CO2, die auch einen Handel ermöglichen. In den USA haben wir ein funktionierendes Handelssystem zwischen den Bundesstaaten, das nun auch auf Kanada ausgeweitet wird. China hat ein ähnliches System. Die Staaten ­merken, dass sie eigene Lösungen benötigen. Das ist nicht der effizienteste Weg, aber ein wichtiger erster Schritt.“ Während also nicht alles perfekt läuft, scheint die Annahme jedenfalls nicht unwahrscheinlich. Doch reichen die Zutaten, die Christoph Gebald und Jan Wurz­bacher sich zurechtgelegt haben, tatsächlich aus, um ein (umweltfreundliches) ­Riesenunternehmen zu werden? Quasi das nächste Exxon – in Grün? Aus Sicht des Planeten ist zu hoffen, dass Climeworks das schafft. Doch die Vergangenheit zeigt auch, dass nicht immer „die Guten“ gewinnen. Ob sich der Wunsch von Wurzbacher und Gebald also erfüllt oder nicht, bleibt abzuwarten. Eines steht aber fest: Einen Mangel an Arbeit werden die beiden bis dahin jedenfalls nicht erleben.

Dieser Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2018 „Food“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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