Breaking the Stigma

Der Weg zum Psychotherapeuten ist in der Schweiz kein leichter: Stigmata, lange Wartezeiten und schlechte Bewertungen stehen den Menschen und ihrer psychischen Gesundheit im Weg. Adonis Bou Chakra hat diese Pro­bleme erkannt und packt mit Aepsy den Stier bei den Hörnern.

Pastelltöne, viele Pflanzen und schlichte Animationen – der erste Blick auf die Website von Aepsy verrät nicht, dass es sich um eine medi­zinische Suchmaschine handelt. Aber das allein soll Aepsy auch nicht sein: Vielmehr ist es eine Plattform, die versucht, psycho­logische Betreuung mittels eines Matching-Systems auf den User anzupassen und dabei die Stigmata rund um die mentale Gesundheit auf­zu­brechen. Aepsy bietet dabei Ter­mine, online und vor Ort, bei über 100 Psychologen an.

In der Schweiz ist die Suche – und vor allem die Bezahlung – von Psychologen kein leichtes Unter­fangen. Wer keine Zusatzversicherung hat und sich trotzdem seine Therapie von der Krankenkasse bezahlen lassen will, muss vorher zum Psychiater. Diese sind im Gegensatz zu Psychologen Me­­diziner und können daher auch Medikamente verschreiben. Sie müssen eine Diagnose stellen, welche wiederum an die Krankenkasse gesendet wird, damit diese die Kosten für eine Therapie erstatten kann – ohne Befund müssen die Be­troffenen selbst für ihre Kosten auf­kommen. Hier sieht Adonis Bou Chakra, Mitgründer von Aepsy, ein grosses Problem: „Viele Menschen haben Angst, als krank abgestempelt zu werden. Die Hürde, zu einem Psychiater zu gehen, ist daher sehr gross.“ Wer diese Hürde nicht nehmen will, muss also selbst für die Therapie aufkommen, was oft mehrere Hundert CHF kosten kann. Aepsy bietet ausschliesslich Therapeuten an, die privat bezahlt werden; die Preise für Therapie­plätze starten bei 150 CHF, für ein psychologisches Coaching bei 69 CHF. Bezahlt wird ohne Umwege zur Krankenkasse, was für viele Patienten einfacher und angenehmer ist.

Adonis Bou Chakra hat seine Ausbildung ursprünglich im Bereich Design gemacht. Mit 15 war er der Jüngste auf dem College, mit 20 fing Bou Chakra an, im Bereich Websitedesign zu arbeiten. Zu den grossen Kunden zählte zum Beispiel die Fluglinie Swiss, für die er die Website mitdesignte. Nach einem Bachelor in Zürich besuchte er die Universität Hyper Island und machte dort seinen Master in Digital Management. „Ich wollte diese Universität besuchen, seit ich ein kleines Kind war – endlich hatte ich es geschafft“, erzählte er stolz. Adonis Bou Chakra hatte sein Leben von Anfang an durchgeplant. Dazu zählen seine Schulausbildung, die Wahl der Universität und der Zeitpunkt, an dem er selbstständig werden wollte. „Bis 25 wollte ich einfach so viel lernen wie möglich, sei es durch Projekte bei Unternehmen oder ein Studium“, sagt Bou Chakra. So kam es, dass er an seinem 25. Geburtstag seinen damaligen gut bezahlten Job als Designmanager bei Sennheiser kündigte, um sein eigenes Unternehmen zu gründen.

„Es gibt viele Gründe, warum Menschen zurückschrecken, zum Psychologen zu gehen“, so Aepsy Gründer Bou Chakra.

Der Weg zu Aepsy war kein leichter. „Ich habe gewusst, dass ich etwas tun will, um Menschen zu helfen“, sagt der Gründer. Doch wie genau Bou Chakra und sein Co-Founder Nicolas Egger das anstellen wollten, war den beiden noch unklar. Anfang 2020 starteten sie mit drei verschiedenen Konzepten – nach neun Monaten, also im Oktober 2020, kam es dann zum Launch von Aepsy. „Wenn man in der Schweiz etwas zu essen haben will, kann man es online bei Uber Eats bestellen und erhält es in wenigen Minuten. Will man aber etwas für seine mentale Gesundheit tun, weil es einem in letzter Zeit nicht so gut ging, muss man fast zwei Monate auf einen Termin warten“, moniert Bou Chakra.

In diesen zwei Monaten kann sich für Betroffene viel verändern. Vor allem während der Covid-Pandemie sind die Zahlen der Menschen, die Probleme mit ihrer mentalen Gesundheit haben, enorm in die Höhe geschossen. Tatsächlich hat sich in der Schweiz laut einer AXA-Studie die Anzahl der Be­troffenen seit Beginn der Pandemie verdoppelt. Besonders betroffen sind laut der Universität Basel die 14- bis 24-Jährigen: Während in dieser Altersgruppe im Februar 2020 noch ungefähr 5 % Anzeichen einer Depression zeigten, waren es im November 2020 schon fast 30 %.

Auf die Frage, ob die Covid-Pandemie Aepsy zu einem besseren Start verholfen hat, wirkt Bou Chakra etwas unsicher: „Das kann man so nicht genau wissen. Die Stigmata und die Probleme, die Menschen mit ihrer psychischen Gesundheit haben, gab es aber definitiv schon vor der Pandemie.“ Genau diese Stigmata will Bou Chakra brechen. Laut ihm soll es für jeden selbstverständlich sein, zum Therapeuten zu gehen, und niemand soll Angst haben, dafür verurteilt zu werden. „Es gibt viele Gründe, warum Menschen zurückschrecken, zum Psychologen zu gehen; Freunde und Familie sind nur ein paar davon“, sagt der Gründer. Laut ihm sollte der Besuch beim Therapeuten für jeden etwas Schönes und Wohltuendes sein. Deshalb ging er auch beim Design von Aepsy weg von klinischen, kalten Farben und hin zu einem warmen, wohligen Gefühl. Bou Chakra betont dennoch: „Aepsy ist für Leute, die Hilfe brauchen. Das Ziel von Therapie sollte nicht sein, ein ‚Supermensch‘ zu werden, sondern eher, auf einen normalen, zufriedenen Zustand zurückzu­kommen.“

Adonis Bou Chakra
...absolvierte einen Master in Digital Management an der Universität Hyper Island. 2020 gründete er die Plattform Aepsy.

Die sogenannte „Fear Curve“ spielt eine grosse Rolle für Aepsy und für die individuelle mentale Gesundheit. „Auf der ersten Stufe fühlt man sich gut, man hat keine Probleme und die Welt wirkt perfekt. Man würde nie darüber nachdenken, einen Psychologen zu besuchen“, erklärt Bou Chakra. Danach kommt die zweite Stufe: Hier kommt plötzlich Stress oder ein kleiner Schicksalsschlag ins Spiel. Symptome auf der zweiten Stufe sind beispielsweise schlechter Schlaf oder Kopf- und Nackenschmerzen. Auf der dritten Stufe hat der Betroffene einen Peak an Schmerzen und mentalen Pro­blemen. Auslöser dafür könnte etwa ein schlimmes Beziehungsende oder ein Todesfall in der Familie sein. „In der dritten Phase suchen die Menschen aktiv nach Hilfe. Erst dann kann mit der vierten Phase angefangen werden, welche die sogenannte Erholungsphase ist“, so Bou Chakra. Aepsy will Menschen ansprechen, die sich in der dritten Phase befinden, also am Höhepunkt der Fear Curve stehen. „Davor ergibt es einfach keinen Sinn, weil der Schmerz noch nicht da ist und Menschen nicht das Gefühl haben, dass sie Hilfe be­nötigen“, so der Gründer.

Ein Jahr lang gibt es das von Adonis Bou Chakra initiierte Unternehmen nun schon. „Einfach war es nicht, aber wir können uns dennoch glücklich schätzen“, sagt er. Denn das Start-up hat im ersten Jahr einige grosse Investoren an Land ziehen können – und hat auch bereits Gewinn eingebracht. Mittels Aepsy konnte über 1.000 Menschen geholfen werden; damit hatte Bou Chakra bei der Gründung nicht gerechnet. „Wir sind wirklich über jeden einzelnen Menschen froh, der über Aepsy seinen perfekten Therapeuten gefunden hat“, kommentiert er die Entwicklung. Grosse Wünsche zur Expansion des Unternehmens hat er bis jetzt noch nicht – sein Ziel ist und bleibt es, die Stigmata rund um psycho­logische Behandlungen zu brechen.

Text: Lela Thun
Foto: Dominik Baur

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–21 zum Thema „Under 30“.

Lela Thun,
Redakteurin

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