BETONRUCKSACK TRIFFT STAHLSTROHHALME

Beim Quartier Belvedere Central im Herzen Wiens wird noch bis Ende 2020 an einem eigenen Ökosystem gebaut. Mittendrin: der Baukonzern PORR. Doch das Projekt hält die eine oder andere Herausforderung bereit.

Wie ein Heer aus Zahnstochern ragen die Eisenstäbe aus dem Boden, ein Wald aus Metallstangen trägt den Betonboden über sich und wenige Meter weiter verlassen schick gekleidete Herren ein modernes Glasgebäude – während sich das monotone Geräusch eines drehenden Betonmischers unter die Zurufe der Bauarbeiter mischt: Was wie ein harter Kontrast wirkt, ist beim Quartier Belvedere im Herzen Wiens Alltag.

Eines der grössten Stadtentwicklungsprojekte Europas

Auf einer Fläche von 25.000 Quadratmetern wird noch bis Ende 2020 an einem neuen, kleinen Ökosystem gebaut. Dabei handelt es sich um eines der grössten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Das Areal soll ein lebendiger Stadtteil werden, dessen Attraktivität für Gerald Beck, Geschäftsführer der UBM Development Österreich, auf der Hand liegen: „Das Quartier Belvedere Central bietet eine komplette Infrastruktur. Bereits jetzt kann man dort wohnen, es gibt Hotels, Gastronomiebetriebe und Kulturangebote ganz in der Nähe – wie etwa das Schloss Belvedere. Zudem existiert eine gute Anbindung durch den Hauptbahnhof direkt nebenan.  Und das Ganze ist zentrumsnah.“ Das Gesamtprojekt beläuft sich auf 450 Millionen € und befindet sich derzeit in der dritten und letzten Bauphase. Es stellt das bisher grösste Vorhaben in der Geschichte von UBM Development Österreich dar. Für die Bebauung einer Bruttogeschossfläche von rund 130.000 Quadratmetern ist der Baukonzern PORR zuständig, welcher Ende 2014 mit den Bauarbeiten begonnen hat. Insgesamt werden sich nach Abschluss der Bauarbeiten Ende 2020 sechs Hochbauten auf dem Areal befinden.

Die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft BDO hat Anfang 2018 sogar ihren Standort der Österreich-Zentrale in das Quartier Belvedere Central verlegt – laut Peter Bartos, Partner, Member Management Board der BDO, vor allem aufgrund der Lage und der Aussicht auf ein unternehmenseigenes Gebäude. Dabei hatte beim Bau dieses Gebäudes in der zweiten Bauphase insbesondere die Koordination und Termineinhaltung oberste Priorität, – denn die Errichtung  der Untergeschosse war bereits mehrere Monate vor Fertigstellung des Gesamtgebäudes erfolgt.

Die Herausforderung in der ersten Bauphase

Die Errichtung der beiden Hotels  – Novotel und Ibis mit insgesamt 577 Zimmern – in der ersten Bauphase war ebenso herausfordernd für den Bauherren: Ein Gebäudeteil sitzt orthogonal auf einem anderen und ragt über diesen hinüber (damit entstanden zwei sogenannte Auskragung und der Bauteil hängt wie eine Art Rucksack an dem Hauptgebäudeteil, Anm.). Somit mussten beim Bau Schrägstützen aus Stahl, teilweise vier Geschosse hoch, quer durch das Gebäude gespannt werden. Diese wurden  anschliessend in die Aussenwandkonstruktion integriert und verbergen sich nun hinter der Gebäudefassade. Eine weitere Herausforderung bestand im Rahmen des Baus bei der Garagefläche: „Weil die Hotels bereits in Phase eins errichtet wurden, musste zu deren Fertigstellung auch bereits ein Teil der unterirdischen Garage fertig sein, welche sich unter dem gesamten Areal erstreckt“, sagt Clarissa Leher, QBC-Gesamtprojektleiterin von UBM Development. „Denn die vorgesehenen Fluchtwege führen durch Areale, die zu der Zeit noch nicht bebaut waren, daher haben wir provisorische Stiegenhäuser und Rampen für die Ein- und Ausfahrt geplant.“ Durch eine Vorreihung der Untergeschosse konnte ein Teilbereich der Garage jedoch bereits Mitte 2017 in Betrieb genommen werden.

Zu diesem Zeitpunkt eröffneten ebenso die beiden Hotels. Thomas Wacker, Cluster General Manager Novotel und Ibis, sieht die Vorteile des Quartiers als Hotelstandort ähnlich wie Bartos: „In erster Linie müssen die Gäste zum Hotel kommen können – da ist die Anbindung mit dem internationalen Zugang durch den Bahnhof natürlich hervorragend.” Nach dem Hotelbau folgten bereits im Herbst 2017 Gastronomiebetriebe sowie Büroflächen, die neue BDO-Zentrale und freifinanzierte Eigentumswohnungen im Jahr 2018. Michael Graf, Geschäftsführer des Serviced Office & Coworking-Space-Anbieters Your Office, ist von der Wahl des Quartier Belvedere Centrals als Standort überzeugt: „Wir haben von Anfang an mit 2.000 Quadratmetern geplant – alles andere wäre aufgrund der hohen Fixkosten und der Personalintensität wirtschaftlich nicht rentabel. Zur Zeit betreiben wir 46 vermietete Büroeinheiten und sechs voll ausgelastete Konferenzräume. Die Nachfrage ist also definitiv gegeben, weshalb wir einen Ausbau um weitere 2.000 Quadratmeter Fläche im QBC planen. Als flexibelster Vermieter von Büroflächen europaweit bieten wir zudem eine tägliche Kündbarkeit an – dementsprechend ist eine gewisse Fluktuation immer gegeben, wobei wir aber erkennen, dass der Trend an diesem Standort in Richtung Langzeitvermietung geht.“

Peter Bartos, Partner, Management Board BDO Österreich
Thomas Wacker, Cluster General Manager Novotel & ibis Wien Hbf
Michael Graf, Geschäftsführer Coworking-Space, Your Office
Christian Salesny, Prokurist, Gruppenleiter Hochbau 3 – Grossprojekte, PORR
Clarissa Leher, QBC-Gesamtprojektleiterin von UBM Development

Die Schlussphase des Projekts hat es in sich

Momentan wird auf dem Areal mit voller Kraft an den letzten grossen Gebäudekomplexen gearbeitet, die eine Fläche von 6.000 Quadratmetern umfassen. Nach deren Fertigstellung wird im Rahmen des Bauprojekts insgesamt eine Masse von 160.000 Kubikmeter Beton und 15.000 Kubikmeter Stahl verbaut sein. Doch gerade die Schlussphase des Projekts hat es noch einmal so richtig in sich: „Grundsätzlich wurde als Baugrubensicherung eine, in öffentliches Gut geankerte Spundwand (Anm. Verbau zur Sicherung von Baugruben oder Geländesprüngen) ausgeführt. Da sich jedoch an der Nordseite der Baugrube die Wand zum angrenzenden S-Bahn-Tunnel befindet – und hier somit nicht in öffentliches Gut geankert werden konnte – musste in diesem Bereich auf eine alternative Baugrubensicherung zurückgegriffen werden. Entlang der gesamten Grundstücksgrenze, parallel zum S-Bahn-Tunnel, wurde daher eine nach innen gegen den bereits hergestellten Rohbau des Untergeschosses ausgesteifte Bohrpfahlwand hergestellt. Als Aussteifung fungierten mehrere, tonnenschwere Stahlrohre und die eigentliche Errichtung des Rohbaus in diesem Bereich erfolgte dann ähnlich einer Deckelbauweise“, sagt Christian Salesny, Gruppenleiter Grossprojekte Hochbau bei PORR. Eine mächtige Konstruktion, die aus Sicht der Krankabine jedoch fast zierlich wie eine Art Ansammlung von Strohhalmen wirkt.

Innerhalb der Baustelle ist somit aufgrund der Gegebenheiten einiges an Flexibilität gefordert – und auch das Umfeld verändert sich: Wo anfangs noch die ganze Liegenschaft des Areals als Logistikfläche und Containerstellplatz zur Verfügung stand, fällt sie nun gegen Ende des Bauprojekts aufgrund der bebauten Fläche sehr gering aus. Teilweise muss nun öffentliches Gut als Stellfläche angemietet werden und die An- und Ablieferung der Materialien wird auch zunehmend schwieriger. „Es ist nicht die erste innerstädtische Baustelle für uns. Aber aufgrund der speziellen Lage – auf der einen Seite der Hauptbahnhof, auf der anderen Seite eine stark befahrene Strasse und darunter die S-Bahn – ist das eine besondere Herausforderung was die An- und Abfahrt von LKWs anbelangt. Anfangs sind im Zuge der Erdarbeiten sogar im Fünf-Minuten-Takt die Lastwagen ein- und ausgefahren. Insofern war es schon spannend, eine Grossbaustelle auf einer Fläche von ca. 25.000 Quadratmeter über nur eine Ein- und Ausfahrt und eine der stärkst befahrenen Strassen Wiens (Wiedner Gürtel, Anm) zu beliefern“, sagt Salesny. Dennoch verlief der Bauprozess diesbezüglich quasi reibungslos – grosse Probleme blieben aus, so Salesny weiter.

Gewinnerwartungen werden übertroffen

Mit dem Gesamtergebnis ist Franz Panwinkler, neuer kaufmännischer Geschäftsführer der UBM Development Österreich, zufrieden, zumal die ursprüngliche Gewinnerwartung übertroffen werden wird: „Natürlich verändern sich dadurch die Kosten. Das Projekt ist ein dynamischer Prozess mit laufenden Anpassungen. Am Ende des Tages haben wir aber unser Ziel, nämlich wirtschaftlich erfolgreich zu sein, mehr als erreicht.“ Auch für PORR scheint dem Ziel der zeitgerechten Fertigstellung des Projekts nichts im Wege zu stehen. Ende 2020 wird dann der neue Stadtteil fertiggestellt sein – ganz ohne „Metallstangen-Wald“, dafür aber mit einem vielfältigen Angebot und einer unschlagbaren Lage. Allen Herausforderungen zum Trotz.

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Andrea Gläsemann,
Leitende Redakteurin

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