Auf die Drohne gekommen

Die Idee, Drohnen als fliegende Postboten in Städten einzusetzen, ist nicht neu, bislang scheiterte die Umsetzung jedoch meist an gesetzlichen Vorschriften, Regulierungen und logistischen Herausforderungen. Cem Uyanik möchte dies mit seinem Unternehmen Urban Ray ändern – sein Erfolgsrezept liegt dabei nicht in der Drohne selbst, sondern in der automatisierten Packstation.

Ein grosser blauer Schrank steht am Strassenrand vor einem Krankenhaus. An der Seite des Schranks befindet sich eine Öffnung mit einer Schiebetür, in die ein Krankenhausmitarbeiter ein kleines Paket legt. Dieses Paket enthält Proben, die schnellstmöglich in ein Labor am anderen Ende der Stadt gebracht werden müssen. Nur wenige Sekunden nachdem das Paket in die Packstation gelegt wurde, startet eine Drohne aus einer weiteren, grossen Öffnung des Schranks. Sie wird die Proben auf dem Luftweg zur Packstation des Labors transportieren. Der Transportweg ist dabei unabhängig von Verkehr, Tageszeit oder verfügbaren Parkplätzen und erfolgt emissionsfrei.

Diese Vision des Urban-Ray-Gründers und -Geschäftsführers Cem Uyanik wird bald in deutschen Städten Realität sein und könnte den innerstädtischen Verkehr erheblich entlasten. Vier Jahre hat die Entwicklung der Packstation und der Drohne gedauert; die Technologie war laut Uyanik dabei die geringste Hürde. Vielmehr hatte der ­Gründer jahrelang mit Regulationen und Gesetzen rund um den innerstädtischen Drohnenflug zu kämpfen.

Cem Uyanik absolvierte eine traditionelle Ingenieurausbildung. Er erlangte zunächst seinen Bachelor-Abschluss in Maschinenbau in Aachen, bevor er einen Master in Luft- und Raumfahrttechnik abschloss. Während seines Masterstudiums nahm Uyanik 2020 an der Nasa Design Challenge teil, bei der er seine späteren Mitgründer Henry Schmidt und Fabian Binz traf. Gemeinsam entwickelten die drei Ingenieurstudenten das erste Konzept von Urban Ray und gewannen damit prompt die Challenge. «Viele Drohnen­technologien werden für die Rüstungsindustrie verwendet, was für uns nie eine Option war. Mit Urban Ray haben wir etwas geschaffen, das der Zivilbevölkerung zugute­kommt», so Uyanik.

Wir wollen unsere Drohnen ja nicht wie E-Scooter in die deutschen Städte werfen», so Urban-Ray-Gründer Cem Uyanik.

Kurz nach der Challenge beschlossen die drei Studenten, aus dem Konzept ein Unternehmen zu machen. «Wir waren während der ersten Phase von ­Urban Ray alle noch Studierende und mussten neben unseren Prüfungen Ausschau nach Finanzierungsmöglichkeiten halten», so Uyanik. Im Mai 2021 ­erhielt der Gründer dann die ersten öffentlichen Förderungen und staatlichen Stipen­dien für Urban Ray. «Wirklich offiziell gegründet haben wir das Unternehmen erst, als wir die Förderungen bekommen ­hatten, also 2022. Urban Ray gibt es damit auf Papier erst seit zwei Jahren», ­erzählt Uyanik.

«Die Städte sind bereits am Rand des Zusammenbruchs. Um den städtischen Verkehr zu entlasten und eine neue Mobilitätsdimension zu schaffen, benötigen wir neue Kapa­zitäten und einen hohen Grad an Automatisierung. Die Logistik wird aus der Luft erfolgen, und wir treiben diesen Übergang voran», so Uyanik. Tatsächlich war der deutsche Verkehrssektor 2023 für rund 146 Millionen Tonnen Treibhausgase verantwortlich; das sind 22 % der gesamten deutschen Treibhaus­gase. 58 Millionen Tonnen CO2 kann man dabei ungefähr auf den Güter­verkehr zurückführen. Doch nicht nur die Emissionen, sondern auch die Lärm- und Strassenbelastung durch innerstädtische Kurier­dienste will Uyanik mit Urban Ray abmildern. «Uns geht es wirklich darum, den innerstädtischen Verkehr zu entlasten, indem wir die Luft als Transportebene eröffnen. Viele ­europäische Städte wollen in einigen Jahren autofrei sein – das wird nicht funktionieren, wenn gleichzeitig die E-Commerce-Zahlen steigen, es aber keine echte Alternative für Lieferdienste gibt, die die Strassen effizient entlastet», so Uyanik weiter.

Während Amazon in einigen Kleinstädten in den USA bereits seit geraumer Zeit Drohnen für die ­Paketzustellung einsetzt, ist dieser Service in der EU bislang noch nicht verfügbar. Grund dafür waren Regulierungen, die in Städten den öffentlichen Drohnenverkehr einschränkten. Dies habe sich jedoch seit 2021 geändert, erklärt Uyanik: «Im Jahr 2021 wurden für die EU-Mitgliedsstaaten neue gesetzliche Rahmen­bedingungen geschaffen, die den Einsatz von unbemannten Flug­zeugen in drei unterschiedliche ­Kategorien einteilen. Somit fallen viele Drohnen nicht mehr unter dieselben Gesetze wie Flugzeuge und können daher nach einem neuen Genehmigungsverfahren in urbanen und ländlichen Gebieten fliegen.»

Auch Urban Ray hat schon für einige ländliche Gebiete Flug­genehmigungen für seine ­Drohnen bekommen, und Uyanik ist ­davon überzeugt, dass auch bald erste Städte in das Netzwerk von Urban Ray inkludiert werden: «Natürlich werden nicht von heute auf morgen alle deutschen Städte voller Drohnen sein. Aber es tut sich jetzt endlich was auf dem Gebiet. Ich denke, dass bald unser grosser ‹Chat-GPT-Moment› kommen wird.»

Im ersten Schritt wird sich Uyanik aber vorerst auf den Medizin­sektor konzentrieren, denn genau in diesem kommt es zu einer Vielzahl an innerstädtischen Paketlieferungen. Auch kann so laut Uyanik die Bevölkerung langsam an das Konzept der Drohnenlieferungen herangeführt werden: «Neue Technologien in Deutschland einzuführen ist meistens ein Problem, denn viele Deutsche sind nicht unbedingt offen für solche Neuerungen. Aber wenn es um Gesundheit geht, dann besteht natürlich das kommunale Interesse daran, Prozesse zu ver­einfachen und den Gesundheits­sektor zu stärken. Damit bieten Krankenhäuser und Labore die ­perfekten Anfangs­bedingungen für Urban Ray», so Uyanik.

Nächstes Jahr plant der ­Gründer, im Zuge eines Pilotprojekts mit Kranken­häusern die ersten innerstädtischen Flüge zu absolvieren. Die Eröffnung eines grossen operativen Netzwerks ist aber erst für 2026 geplant: «Wir wollen unsere Drohnen ja nicht wie E-Scooter in die deutschen Städte ­werfen, sondern die Bürger und alle Stake­holder langsam an das Konzept ­heranführen, um sie so auf unsere Seite zu ziehen», so Uyanik. Der Fokus liegt ­dabei vorerst auf dem Ruhr­gebiet, der nach Paris und ­London am dichtesten ­besiedelten Region Europas.

Innerhalb von zwei Jahren ist Urban Ray von drei auf 16 Mit­arbeiter gewachsen. Dank bedeutender Förderer wie Andreas Kupke, Mitgründer von Finanzcheck, und Frank Lindenberg, ehemaliger CFO bei Mercedes-Benz, konnte sich Urban Ray eine sechsstellige Pre-Seed-Finanzierung sichern. Für die Zukunft plant Uyanik, in weitere europäische Länder zu expandieren, um die Verkehrssituation in ganz Europa zu entlasten: «Wenn wir es in Deutschland schaffen, wo die Regulierungen und die Behörden mitunter am genauesten sind, dann schaffen wir es, denke ich, überall», so Cem Uyanik optimistisch.

Cem Uyanik ist CEO und Co-Founder des Aerial-Logistics-Start-ups Urban Ray. Die Vision des Unternehmens ist es, die dritte Dimension in der Logistik für die breite Masse weltweit nutzbar zu machen – zum Wohle der Menschen in urbanen Räumen.

Fotos: Urban Ray

Lela Thun,
Redakteurin

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