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Die Zahl der Menschen, die aufgrund psychischer Erkrankungen Hilfe in Anspruch nehmen, steigt. Vor allem Frauen leiden häufiger unter Krankheiten der Seele. Undine Lang von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel erklärt, warum.
Undine Lang leitet als Klinikdirektorin die Klinik für Erwachsene und die Privatklinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK). Diese gehören zu den führenden psychiatrischen Kliniken in der Schweiz. Die Privatklinik mit ihren liebevoll sanierten Villen aus dem 19. Jahrhundert liegt mitten in einer weitläufigen Parkanlage. Sie ist ganzheitlichem Denken verpflichtet und behandelt auf dem neuesten Stand der Forschung das gesamte Spektrum an psychischen Krisen und Krankheiten des Erwachsenenalters. Im einmaligen Ambiente der Privatklinik mit ihrer gehobenen Gastronomie bieten die UPK massgeschneiderte Therapien von Frauen für Frauen. Undine Lang ist neben ihrer langjährigen Tätigkeit an den UPK Professorin an der Universität Basel. Sie ist Autorin von über 200 wissenschaftlichen Publikationen und mehreren Büchern. Klinisch steht sie für eine offene Psychiatrie mit wenig Restriktion und eine modulare diagnosenspezifische psychotherapeutische Behandlung bei Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen, Psychosen oder Angsterkrankungen.
Gesundheits-, Umwelt- und geopolitische Krisen bestimmen aktuell unseren Alltag, aber auch persönliche Lebenskrisen lösen in vielen von uns Ängste aus. Was ist wichtig, wenn man sich inmitten dauerhafter Umbrüche befindet?
Unabhängig von externen Problemlagen entstehen Krisen häufig im mittleren Lebensalter – persönliche Verwerfungen mit einer Diskrepanz zwischen dem Lebensentwurf und dem, was heute ist oder wo man tatsächlich steht. Dabei spielt es eine Rolle, wie man eine Krise erlebt.
Mit modernen Antidepressiva und einer Psychotherapie kann man 80 % der Symptome innerhalb von wenigen Wochen behandeln.
Undine Lang
Inwiefern spielt das eine Rolle?
Es macht einen Unterschied, ob ich sage, dass die Krise mein ganzes restliches Leben und meine ganze Person betrifft und ich mich hilflos fühle, oder ob ich einen Fokus darauf setze, was ich verändern kann, und dann auch handle. Ich muss mich fragen: Wofür stehe ich in meinem Leben, was ist mir persönlich am wichtigsten und wie kann ich meine Prioritäten im täglichen Handeln umsetzen? Eines ist dabei ganz entscheidend: dass man in seinem Alltag ein Netzwerk an Freunden hat, seine Ressourcen erkennt und über seine Probleme sprechen kann. Es braucht sowohl die emotionale Unterstützung von Freunden als auch ihre konkrete Hilfe und die Fähigkeit, diese in Anspruch zu nehmen.
Jeder Zweite leidet im Lauf seines Lebens an einer psychischen Erkrankung. Wie erfolgreich sind psychiatrische Therapien dagegen?
Insgesamt halbiert sich die Dauer einer Erkrankung durch eine Therapie – das kann man so Pi mal Daumen sagen. Man kann zum Beispiel eine Depression auch ohne eine Therapie durchstehen, eine Behandlung kann jedoch nicht nur die Dauer halbieren, sondern auch die schädlichen Einflüsse aufs Umfeld verhindern – dass man zum Beispiel am Arbeitsplatz fehlt, ihn gar verliert, sich von seinem Netzwerk isoliert und seine Freundschaften nicht mehr pflegt; auch die Auswirkungen auf die eigene Familie sind erheblich. Mit modernen Antidepressiva und einer Psychotherapie kann man 80 % der Symptome innerhalb weniger Wochen behandeln. Vor allem die Früherkennung nimmt eine immer wichtigere Funktion ein, damit Spätfolgen von Depressionen
nicht auftreten.
Inwiefern hat sich die Psychotherapie in den vergangenen Jahren entwickelt?
Heute geht es weniger um die Bekämpfung von Symptomen als um den Ausbau von Ressourcen. Die Akzeptanz- und Commitmenttherapie, ACT, ist beispielsweise ein verhaltenstherapeutischer Therapieansatz, der darauf abzielt, wertbezogenes engagiertes Handeln, also Commitment, zu stärken. Dabei geht es auch darum, Achtsamkeit erleben zu können. Das bedeutet, dass man im Alltag bei den Dingen, die man macht, wirklich zu 100 % anwesend ist und dabei ein Commitment hat, auch wirklich umzusetzen, was einem wichtig ist.
Frauen leiden häufiger an psychischen Erkrankungen. Woran liegt das? Was sind Risikofaktoren, die dazu führen?
Man hat früher immer gesagt: Die Männer beginnen zu trinken und die Frauen gehen zum Therapeuten. Mittlerweile ist es so, dass Frauen ebenfalls von Abhängigkeitserkrankungen betroffen sind. Bei Angsterkrankungen, Depressionen oder traumatischen Störungen sind sie doppelt so häufig betroffen. Das liegt zum einen sicher daran, dass Frauen häufiger durch Gewalt bedroht sind als Männer, aber auch daran, dass sie sich teilweise weniger selbstbestimmt erleben und häufiger mit ihrem Rollenbild hadern als Männer. Frauen haben auch mehr Probleme mit dem Körperschema.
Was unterscheidet Männer von Frauen noch in diesem Kontext?
Männer gehen selbstbewusster in eine Karriere und bewerben sich auch auf Stellen, für die sie vielleicht nicht qualifiziert sind, während Frauen sich selbst eher kritisch hinterfragen. Frauen sind auch stärker belastet, weil sie oft auch im sozialen Bereich die Verantwortung übernehmen, zum Beispiel für die kranken Eltern oder die Kinder im Haushalt. Das ändert sich jetzt bei den jüngeren Generationen, da bringen sich die Männer mehr ein. Und in den Ländern, in denen die Geschlechterverhältnisse angeglichener sind, findet man tatsächlich weniger Depressionen bei Frauen. Dennoch ist die Doppelbelastung meistens eher bei den Frauen zu sehen. Wir haben ganz oft Patientinnen, die zwischen Beruf und Privatleben stehen und immer das Gefühl haben, beides nicht richtig zu machen.
Was sind erfolgreiche Behandlungsmöglichkeiten bei Depressionen oder anderen Erkrankungen bei Frauen? Inwiefern unterscheiden sich diese von denen der Männer?
Es gibt gerade bei der pharmazeutischen Therapie mehrere Themen, die wir bei Patientinnen berücksichtigen. Wenn beispielsweise eine junge Mutter mit einer Depression noch stillt, müssen wir darauf achten, dass die Medikamente nicht in die Muttermilch übergehen. Auch achten viele Frauen auf ihre Linie, darum schauen wir, dass die verschriebenen Medikamente nicht zur Gewichtszunahme führen. Wir wissen, dass Frauen tendenziell mehr Psychopharmaka bekommen als Männer. Da versuchen wir auch, eher sparsam zu sein. Auch in der Gesprächstherapie gibt es Unterschiede: Bei Männern ist es so, dass neun von zehn Depressionen aufgrund von beruflichen Problemen entstehen: weil sie in Pension gehen, ihren Job verlieren oder nicht aufsteigen und das anders erwartet haben. Da liegt der Fokus auf der beruflichen Situation. Bei Frauen geht es oft darum, neue Strategien zu lernen, um mit der hohen Belastung umzugehen, beispielsweise zu delegieren oder andere in die Kinderbetreuung miteinzubeziehen.
Was sind Verhaltensstrategien für Frauen, um psychische Gesundheit zu fördern und auch zu erhalten?
Wichtig ist einerseits, Achtsamkeit zu erlernen. Das bedeutet, dass man versucht, sich mit seiner ganzen Konzentration und Aufmerksamkeit auf eine Sache zu fokussieren. Achtsamkeit bedeutet nicht nur, Meditationsübungen oder Yoga zu machen; sie bedeutet, dass man seine volle Aufmerksamkeit auf die Dinge lenkt, die man tut, und auch akzeptiert, dass man gewisse Dinge nicht ändern kann und die dann auch zur Seite legt. Dass man weiss, was einem wichtig ist und dass man sich dafür einsetzt. Das kann die Familie sein, das kann aber auch Spiritualität, Beruf oder Sport sein.
Was hilft noch?
Was der mentalen Gesundheit darüber hinaus hilft, ist ein Abstand zu negativen Gedanken und Gefühlen. Damit ist gemeint, dass man diese nicht mehr als Tatsache wahrnimmt, sondern sie als etwas betrachtet, das kommt und geht, so wie das Wetter. Und dass man es trotzdem schafft, das zu tun, was einem wichtig ist. Es ist wie beim Radio: Es läuft. Man reagiert aber nur, wenn beispielsweise eine Staumeldung einen selbst tatsächlich betrifft. So kann man auch Gedanken, die nicht hilfreich sind, ein Stück weit relativieren.
Was sind Themen, die in Ihrem Bereich aktuell intensiver beforscht werden?
Was aktuell stark erforscht wird, sind die psychedelischen Substanzen. Wir haben jetzt vor allem LSD erforscht, da es sich auf die Empathiefähigkeit auswirkt und eine Art soziales Fenster öffnet. Wir haben auch herausgefunden, dass Psychotherapie bei LSD-Konsum wirksamer ist und dass sich die Stimmung und der soziale Umgang nachhaltig verändern. Man geht davon aus, dass MDMA in den nächsten Jahren als Medikament zugelassen wird.
Welche Vorteile hat beispielsweise Ketamin verglichen mit anderen Medikamenten?
Ketamin war das erste Medikament, das als Droge klassifiziert war und nun als Antidepressivum auf dem Markt zugelassen ist. An den UPK setzen wir bereits seit zehn Jahren erfolgreich Ketamin-Infusionen bei Depressionen ein. Sie fördern eine recht schnelle Verbesserung der depressiven Symptome. Für Patientinnen und Patienten heisst das, dass sie nicht mehr so lange auf eine Verbesserung warten müssen wie bei herkömmlichen Antidepressiva.
Seit zehn Jahren leiten Sie die Klinik für Erwachsene sowie die Privatklinik. Was sind denkwürdige Momente, die im Bereich Frauen und Psyche nachhaltig etwas verändert haben?
Ein toller Moment für mich war, als Annette Brühl Professorin bei uns wurde. Sie bringt andere Sichtweisen, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit ein. Gerade für junge Ärztinnen ist sie ein tolles Vorbild – der grössere Teil unserer OberärztInnen ist mittlerweile weiblich.
Undine Lang leitet als Klinikdirektorin die Klinik für Erwachsene und die Privatklinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel und ist Ordinaria der Universität Basel für das Fach Psychiatrie. Ihre Schwerpunkte sind eine Psychiatrie mit offenen Türen (Versorgungsforschung), Psychotherapieforschung, komplementärtherapeutische Ansätze wie Sport, Ernährung, tiergestützte Therapie und neue pharmakologische Therapieansätze (psychedelische Substanzen, Probiotika).
Fotos: Mara Truog