ACCUWEATHER: CLOUD WARS

Wettervorhersagen sind auch für die Wirtschaft essentiell. Neue Sensoren, günstige Rechnerleistung und KI könnten den Markt revolutionieren – Platzhirsche wie Joel Myers’ Accuweather hingegen alles verlieren.

Die Expertenmeinung von Joel Myers, CEO von Accuweather, zum Wetter an diesem Maitag fällt ernüchternd aus: „Eklig!“ Der Regen prasselt unaufhörlich, es ist kalt. Myers schlägt seinen Mitarbeitern vor, exakt dieses Wort auch im Wetter­bericht zu verwenden. Trotz seiner 79 Jahre leitet Myers das auf Wetterprognosen spezialisierte Unternehmen, das er selbst 1962 ­gründete, noch heute. Sein erster Kunde, ein ­Gasanbieter, ­zahlte damals 150 US-$ für eine ­dreimonatige Wettervorhersage, um den Heizbedarf besser ­planen zu können.

Heute macht Accuweather mit Kunden wie der New York Times, dem Wall Street Journal und USA Today einen Umsatz von rund 100 Millionen US-$. Über 1.000 Unternehmen nutzen die Vorhersagen, um geschäftlich mehr Erfolg zu ­haben. Neben Medienunternehmen gehören dazu etwa auch Vergnügungsparks, Bahnbetreiber oder auch Starbucks.

Die Bewertung von Accuweather liegt Schätzungen ­zufolge bei rund 900 Millionen ­US-$, die Hälfte der ­Unternehmensanteile besitzt Myers. Der Rest verteilt sich auf Führungskräfte und Mitarbeiter, etwa Evan Myers, Joels jüngeren Bruder, der als COO tätig ist. Joels zweiter Bruder ­Barry, bis ­Januar CEO von Accuweather, verkaufte ­einen kleinen Anteil für 16 Millionen US-$, nachdem er von US-Präsident Donald Trump zum ­Leiter der Behörde National Oceanic & Atmospheric Adminis­tration (NOAA) ernannt wurde, die ein Budget von 5,4 Milliarden US-$ verwaltet.

Seit Jahrzehnten ist der Markt für private Wetterprognosen ein gemütlicher, den sich Accuweather, The Weather Company und DTN (2017 für 900 Millionen US-$ von der Schweizer TBG AG übernommen) aufteilen. Doch Trends – etwa günstigere Rechnerleistung und bessere Künstliche-Intelligenz-Technologien – öffnen das Feld für ambitionierte Start-ups.

Joel Myers
...gründete Accuweather 1962. Heute erreichen die Informationsdienste des Unternehmens weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen.

Der Kuchen wächst jedenfalls. ­Aktuelle ­Zahlen sind kaum vorhanden, doch die ­Wharton School schätzte 2013, dass die ­Gesamtumsätze von privaten Klima- und Wetterunternehmen bei drei Milliarden US-$ lagen, der Gesamtwert der Branche wurde bei sechs Milliarden US-$ verortet. Ein Bericht des National Weather Service enthielt 2017 eine Vorhersage, dass sich der Markt in wenigen Jahren verfünffachen könnte.

Die Anwendungsbereiche sind vielfältig: So konnte Austin Dillon bei einem Nascar-Rennen den Sieg einstreifen, weil er einen Boxenstopp aufgrund einer besseren ­Wetterprognose ausliess. Der Manager seines Teams, Pat Suhy, sagt, dass man sich diesen Dienst 100.000 US-$ pro Jahr kosten lässt. Auch Xcel Energy profitierte: Das Versorgungs- und Windkraftunternehmen, das 11,5 Milliarden US-$ pro Jahr umsetzt, ­sparte ­seinen Kunden über 60 Millionen US-$ Treibstoffkosten aufgrund besserer Prognosen.

Jeder private Prognosedienst beginnt mit den öffentlichen Informationen des National ­Weather Service. Die meisten reichern diese Daten mit eigenen Quellen an, die meist mit günstigen Sensoren gesammelt werden. Die Daten werden dann mit KI ausgewertet und interpretiert. „Es ist heute nicht nur einfacher, grosse Datenmengen zu sammeln und Modelle aufzubauen, sondern auch, die Ergebnisse schnell zu ver­breiten“, sagt Eric Floehr, der 49-jährige ­Gründer und CEO von Forecastwatch aus dem US-­Bundesstaat Ohio.

Unter den vielen Neugründungen in der Branche stechen drei heraus. Das vielleicht vielversprechendste Unternehmen ist Saildrone, das 2012 von Richard Jenkins in Kalifornien gegründet wurde. Der britische Maschinenbauer segelt für sein Leben gerne und verbrachte vor seinem Studium ein Jahr auf hoher See, einschliesslich ­einer Tätigkeit auf der Jacht des italienischen Milliardärs Gianni Agnelli. Während seines Studiums baute er eine sogenannte „Landjacht“ aus Karbon, mit der er 2009 über einen ausgetrockneten See in der Mojave-Wüste düste – und mit 200 km/h Geschwindigkeit einen Weltrekord aufstellte.

Schliesslich hatte Jenkins die Idee, Hochseeroboter zu bauen, die mithilfe von Sensoren ­Daten über Versauerung, Temperatur und den Salz­gehalt der Meere sammeln. Seine ersten Kunden waren die US-Behörde National Oceanic and Atmospheric Administration und die Weltraumagentur Nasa. 2017 erkannte der Unternehmer, dass die Daten auch für bessere Wetterprognosen genutzt werden könnten. Obwohl erst 25 Roboter im Einsatz sind, zählt Jenkins eigenen Angaben zufolge bereits Sportteams, Versicherungen und Hedgefonds zu seinen Kunden.

Bis dato hat Saildrone rund 90 Millionen US-$ Fremdkapital aufgenommen, die ­Bewertung liegt laut Pitchbook bei 260 Millionen US-$. Die Zahl der Mitarbeiter liegt bei 100 – bei steigender Tendenz. Im Januar 2019 lancierte das Unternehmen eine kostenlose Wetter-App, im Juni folgte eine Premiumversion.

Andere Start-ups nutzen ­Wetterdaten über das Stellen von Prognosen hinaus. ­Jupiter Intelligence erstellt Klima-­Risikobewertungen, die eine Stunde, fünf Tage oder 50 Jahre in die Zukunft reichen können. Damit will man Grossstädte als Kunden gewinnen, die so Naturkatas­trophen wie Wirbelstürme und Grossbrände voraussehen wollen. Doch auch jedes Unternehmen mit einem Lagerhaus in einem Gebiet will wissen, wie etwa Hochwasserereignisse sich auswirken könnten. 33 Millionen US-$ konnte Jupiter bis heute von Investoren einsammeln.

IBM und Accuweather sagen das Wetter voraus – wir prognostizieren jedoch die Auswirkungen des Wetters.

„IBM und Accuweather sagen das ­Wetter ­voraus“, sagt Jupiter-Gründer und CEO Rich ­Sorkin. „Wir prognostizieren jedoch die Auswirkungen des Wetters.“ Jupiter berechnet 200.000 bis 500.000 US-$ für die Durchführung von Pilotprojekten für neue Kunden. Jahresabos kosten ab eine Million US-$. Der Umsatz liegt laut Sorkin bei etwa zehn Millionen US-$.

Ein weiterer Herausforderer mit grossen ­Ambitionen ist Climacell. Das Unternehmen wurde 2015 vom ehemaligen israelischen Luftwaffenpiloten Shimon Elkabetz gegründet. Als er beim Militär war, verlor er beinahe die Kon­trolle über sein Flugzeug, nachdem eine Vorhersage ihn nicht vor einer dicken Wolkenbank gewarnt hatte.

Zusammen mit zwei Mitgründern entwickelte er laut eigener Aussage „minutengenaue, hyperlokale Prognosen“, die seiner Meinung nach 60 % genauer sind als jene der Konkurrenz. Der Vorsprung: Zusätzlich zu den Wetterdaten der Regierung, die alle privaten Wettervorhersager nutzen, nutzt Climacell Wetterdaten aus Quellen wie ­Handysignalen und Strassenkameras. „Wir nennen das ‚The Weather of Things‘“, sagt Elkabetz.

Das Unternehmen hat 77 Millionen US-$ an ­Investitionen bekommen und wird mit 217 Millionen US-$ bewertet. Elkabetz: „Wir wollen das grösste Wettertechnologieunternehmen der Welt werden.“ Doch kann Climacell die eta­blierten Unternehmen übertreffen? Marshall Shepherd von der University of Georgia, ehemaliger Vorsitzender der American Meteorological Society, verweist auf die fehlenden statistischen Beweise. Neue Datenquellen könnten aber helfen. „Ich bin optimistisch“, sagt Shepherd.

 

Lukratives Wetter
(Quelle: Wharton School, National Weather Service)

Andere sind skeptischer. „Climacell stellt viele Behauptungen auf, aber ich habe noch nie Beweise gesehen“, sagt Clifford Mass, langjähriger Professor für atmosphärische Wissenschaften an der University of Washington. „Strassenkameras werden Wettervorhersagen nicht verbessern.“ Elkabetz entgegnet, dass er Interessenten stets ­einen Beweis für seine Prognosen schicke.

Doch auch andere Unternehmen ­müssen sich rechtfertigen. Seit Barry Myers zum Chef von NOAA befördert wurde, gab es Medienberichte, wonach das Unternehmen intensive Bemühungen unternommen hätte, die Regierung von der Bereitstellung kostenloser Wetterprognosen abzuhalten. „Das ist Schwachsinn“, sagt Joel Myers. Er bestreitet auch, dass es bei ­Accuweather Fälle von sexueller Belästigung gegeben habe. „Es gab nie einen Beweis für die Vorwürfe“, sagt Barry Myers, der damals CEO war. Weniger leicht zu leugnen ist aber die Horde hungriger Konkurrenten, die Accuweather jagen. Aber: „Ich werde nicht über Konkurrenten sprechen“, so Joel Myers.

Angesichts von Joels sieben Kindern scheint die ­Nachfolge bei Accuweather jedenfalls gesichert. Doch Bruder Barry betont auch, dass die Sache mit der neuen Leitungsperson noch dauern kann: „80 ist das neue 60. Joel ist energetisch, arbeitet rund um die Uhr, liebt seine Arbeit.“ Joel sagt wiederum: „Ich habe viele Unternehmen kommen und gehen sehen. Manche werden ihre Nische finden, andere werden scheitern.“

Text: Susan Adams / Forbes US
Fotos: Jamel Toppin, Saildrone

Der Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2020 „Space“ erschienen.

Forbes Editors

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