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Bargeld ist vor allem in Deutschland populär – dabei nutzt China längst einen elektronischen Yuan, die EZB will bis 2025 den Euro digitalisieren. Doch Experten sehen Gefahren bei Sicherheit und Anonymität.
Schon heute bringen Zentralbanken digitales Geld, auch „Central Bank Digital Currencies“ genannt, in Umlauf. China ist ein Vorreiter: Dort gibt die People’s Bank of China seit April 2020 eine neue digitale Währung aus – es ist der Beginn einer neuen Epoche. Kurz nach dem Ausbruch der weltweiten Coronaviruspandemie starteten in vier Städten Pilotprogramme für den elektronischen staatlichen Yuan, kurz „E-CNY“ genannt. Nutzer tragen die Währung in einer E-Wallet-App auf dem Smartphone mit sich. Heute steckt dieses Geld bereits in mehr als 260 Millionen digitalen Geldbeuteln, wie das Magazin The Economist schreibt. Sechs Jahre lang wurde an der Währung getüftelt.
Xu Yuan, Professor am Forschungsinstitut für nationale Entwicklung der Universität Peking, sagt gegenüber dem Guardian: „Obwohl sich aus Nutzersicht wenig ändert, ist dies aus der Perspektive der Zentralbankaufsicht, der Wirtschaft und der sozialen Governance die grösste Veränderung überhaupt.“ Mu Changchun, Leiter des Forschungsinstituts für digitale Währungen bei der chinesischen Zentralbank, sagt dem Tagesspiegel: „Die Währung bietet den Benutzern ein gewisses Mass an Anonymität und ist nicht für Spekulationszwecke geeignet. Sie unterscheidet sich von Bitcoin oder wertstabilen Token, die für Spekulationen verwendet werden können.“ Der deutsche Finanzexperte Horst Gischer von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hingegen fürchtet staatliche Überwachung: „Die Einführung einer elektronischen Währung ist ein wunderbares Instrument, um damit herauszufinden, was die Bürger mit ihrem Geld anfangen.“ Die Währung nutze einem totalitären Staat, der an der Überwachung der Bürger interessiert sei.
In neun Staaten existiert bereits staatliches E-Geld. Auch in Japan und Schweden testen Banker gerade digitale Zentralbankwährungen, und selbst die Bank of England bereitet einen E-Geld-Versuch für das britische Pfund vor. Was sind die Vorteile des digitalen Geldes? Ein digitaler Euro würde illegale Aktivitäten behindern, denn diese beruhen auf einem schnellen Austausch von Scheinen wie beim Drogenhandel, der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung. Einer der grössten Vorteile von E-Geld ist die sekundenschnelle und kostengünstige Überweisung über Landesgrenzen hinweg; auch könnten mit dem Netz verbundene Maschinen selbstständig Umsätze und Kosten buchen. Um das neue Geld zu nutzen, könnten Bürger möglicherweise auf ein digitales Bürgerkonto zugreifen.
Ein paar Tausend Euro könnten es sein, die auf jenes digitale Portemonnaie geladen werden, um damit einzukaufen. Doch Fragen bleiben. Eine davon: Wie soll diese E-Geld-Plattform gestaltet sein? Oder muss jeder Bürger, der E-Euros versendet, dann über ein EZB-Konto verfügen? Liesse sich mit dem digitalen Euro ein sicheres und stabiles Zahlungsinstrument anbieten, welches durch eine unabhängige Zentralbank stabilisiert wird? Was in China ganz schnell geht, dauert wie üblich in Europa etwas länger – und das aus gutem Grund. Die Europäische Zentralbank hat im Oktober 2021 die Untersuchungsphase für den digitalen Euro eingeleitet. „Sobald die abgeschlossen ist, werden wir entscheiden, ob wir mit der Entwicklung eines digitalen Euro beginnen“, heisst es in Frankfurt. Der digitale Euro könnte in vier oder fünf Jahren ausgegeben werden – doch zunächst müssen der EZB-Rat und die europäischen Behörden die Einführung beschliessen. Bei digitalen Währungen kommt auch die Blockchain-Technologie ins Spiel. Zur Erinnerung: Eine normale Wechselstube nimmt Geld an, bewahrt es auf; wird diese gehackt, ist das Geld verloren. Doch bei einem Finanzaustausch, der auf der Blockchain basiert, wird das Geld dezentral verwahrt.
Dass die EZB bis 2025 den E-Euro einführt, halte ich für realistisch.
Horst Gischer
„Für die EZB spielt Blockchain keine grosse Rolle, doch für den digitalen Euro könnte das System interessant sein“, sagt Philipp Sander von der Frankfurt School of Finance & Management. Der straffe Zeitplan der EZB sei aber nicht haltbar. „Man kann davon ausgehen, dass Projekte wie der digitale Euro erst 2026 bis 2028 starten.“ Dem entgegnet Gischer: „Dass die EZB bis 2025 den E-Euro einführt, halte ich für realistisch.“ Dass Bargeld komplett verschwindet, sieht er kritisch; auch einen „völligen Verzicht auf Privatsphäre beim Geldausgeben“. Das „könnte gesellschaftspolitische Konsequenzen haben“, sagt der Professor.
Er wolle nicht, „dass jede Transaktion, die ich mache, elektronisch kontrolliert“ wird. Und er ist davon überzeugt, dass die Geschäftsbanken „grosse Probleme mit dieser Art des digitalen Euros hätten“. Denn wer richtet dann noch sein Konto bei einer Geschäftsbank ein? Doch zu viel Zeit sollten sich die Europäer nicht lassen: Fabio Panetta, Direktoriumsmitglied der EZB, meint: „Wenn die EZB beschliesst, den digitalen Euro nicht einzuführen, könnte sich Europa in Zukunft in einer Situation befinden, in der das Angebot an Zahlungsdiensten von ausländischen Betreibern wie globalen Technologieriesen dominiert wird.“ Das könnte die Verwundbarkeit des Finanzsystems verstärken. „Die Vorbereitung auf den digitalen Euro ist eine Möglichkeit, die Autonomie Europas zu schützen und unerwünschte Szenarien zu vermeiden“, meint der Experte. Denn im Gegensatz zu Technologieunternehmen arbeiteten Zentralbanken nicht mit dem Ziel, Profite zu maximieren. Seiner Aussage nach sei auch ein „internationales Abkommen“ für die E-Gelder nötig. Laut Atlantic Council prüfen derzeit 71 Länder die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung, manche sind bereits in der Pilot- oder Entwicklungsphase. Fragt man Sander dazu, hält er es für mehr als fraglich, „dass die EZB mit Apple konkurrieren könnte oder gar IT entwickelt, die die Bürger auch akzeptieren“.
Wir erinnern uns: Immer wenn der Staat versucht, IT zu entwickeln, klappt das nicht so gut wie bei Privatunternehmen. Neben Europa und China beschäftigt man sich auch in den USA mit dem Zukunftsthema. Dort forderte Präsident Joe Biden die Federal Reserve auf, die Einführung des digitalen US-Dollar zu prüfen. Sie veröffentlichte dazu im Jänner 2022 eine Studie mit dem Titel „Geld und Zahlungsverkehr: der US-Dollar im Zeitalter der digitalen Transformation“. Darin heisst es: „Bedrohungen wie Betriebsunterbrechungen und Cybersicherheitsrisiken würden auch für eine CBDC (Central Bank Digital Currency, Anm.) gelten. Jede spezielle Infrastruktur müsste extrem widerstandsfähig gegenüber Bedrohungen sein, die Betreiber der Infrastruktur müssten wachsam bleiben, da bösartige Akteure immer raffiniertere Methoden und Taktiken anwenden.“ Weiters sei die „Absicherung von CBDC eine Herausforderung“. Bezüglich der Geschwindigkeit eines solchen digitalen US-Dollar-Netzes gab das Massachusetts Institute of Technology 2022 ein Novum bekannt: Dort entwarfen Forscher ein System, das bis zu 102 Millionen Bezahltransaktionen pro Minute verarbeitet. Damit liegt der Durchsatz weit höher als beim Anbieter Visa, wie die New York Times notierte.
Während man in Europa und den USA noch grübelt, existiert eine digitale Währung bald auf Jamaika. Im Februar erklärte dort Premierminister Andrew Holness auf Twitter: „Die Bank of Jamaica wird 2022 ihren eigenen digitalen jamaikanischen Dollar einführen.“ Er verspricht sich davon eine „Senkung der Bankkosten für die Bürger“. Davon sollen jene profitieren, die bisher kein Konto hatten. Geplant ist, dass der digitale Dollar bis 2032 immerhin 50 % des jamaikanischen Bargelds ersetzt. Auf den Bahamas wiederum existiert der „Sand Dollar“ oder „Digital Bahamian Dollar“, in Nigeria können die Bürger mit dem „eNaira“ bezahlen – seit Oktober 2021 wird er im 225-Millionen-Einwohner-Staat akzeptiert. Doch so einfach, wie es scheint, ist es wohl nicht. Experte Sandner: „Diese Digitalwährungen in kleineren Staaten werden nicht immer von der Bevölkerung akzeptiert.“ Sein Fazit: „Wenn die EZB so weitermacht wie bislang, droht das in Europa auch.“ Cash ist in vielen Ländern immer noch King, doch die Zukunft gehört anderen Zahlungsmitteln. Nur wer diese ausgibt und wie sie angenommen werden, das ist ungewiss.
Fotos: Christian Weiss