TOLLKÜHNE MÄNNER UND FLIEGENDE KISTEN

Unternehmer Tom Plümmer und sein Team bauen Drohnen, die entlegene Dörfer in Afrika mit Medikamenten versorgen. Nun will das Start-up Wingcopter auch kommerzielle Lieferketten abheben lassen – mit 240 km/h schnellen Minifliegern.

In Malawi leidet fast eine Million Menschen an HIV. Um die Kranken mit Medikamenten und Impfstoffen zu versorgen, bleibt oft nur der Luftweg, denn die Strassen des Landes sind schlecht ausgebaut. Tom Plümmer, Mitgründer und CEO von Wingcopter aus Darmstadt, hat für diese medizinischen Hilfstransporte 2017 eine der schnellsten Drohnen der Welt entwickelt. Nun will der Pionier der Luftfahrt neue Märkte erschliessen.

Die Drohnen von Wingcopter haben eine Besonderheit: Wie Helikopter starten sie senkrecht, schwenken dann aber ihre Rotoren um 90 Grad und gehen in einen schnellen und effizienten Flugzeugmodus über. „So sind die Drohnen maximal effizient“, erklärt Plümmer. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 240 km/h ergatterte der Wingcopter 178 sogar einen Platz im „Guinnessbuch der Rekorde“. Unter der Drohne wird eine Trans­portbox angebracht, in der bis zu sechs Kilogramm schweres Transportgut verstaut werden kann.

In Malawi starten die Drohnen von sogenannten Drone-Hubs, die sich in der Nähe von grossen Medizinlagerhäusern befinden. Sie lassen am Ziel die Lieferung mit einem Seil herunter und fliegen anschliessend zurück zum Ausgangspunkt – und das voll automatisiert. Die Drohnen haben eine Reichweite von bis zu 110 Kilo­metern.

„In Malawi bilden wir Ju­gendliche und junge Erwachsene zusammen mit der African Drone and Data Academy von Unicef in einem kurzen Programm aus“, so Plümmer. Nach wenigen Wochen sind die jungen Menschen anerkannte Drohnen-Operatoren. Das Ausbildungsprogramm findet in Kooperation mit Unicef statt. „So können wir das Leben der Menschen vor Ort doppelt verbessern“, meint Plümmer, „zum einen, weil wir Medizin liefern, zum anderen, indem wir Jobs schaffen.“ Die Herstellung der Drohnen erfolgt in Weiterstadt in der Nähe von Frankfurt am Main. Während des Interviews sitzt Plümmer mitten in der grossen Produktionshalle. Hinter ihm steht ein Roll­wagen, beladen mit acht Drohnen mit fast zwei Meter Flügelspannweite. Insgesamt 120 Mitarbeiter kümmern sich um die Flugobjekte. „Menschen nehmen uns oft als Hersteller von Drohnen-Hardware wahr, aber eigentlich sind wir auch ein Softwareunternehmen“, so Plümmer – denn die KI-gestützte Software ist das Herzstück der Drohnen und bringt sie und ihre Ladung sicher von A nach B.

In der Produktionshalle werden in einer langen Reihe auf Sockeln verschieden lackierte Drohnen präsentiert, sie sind Zeugen gelungener Kooperationen: Eine gelbe Drohne trägt den Auf­druck „DHL“, eine braune „UPS“. Denn Wingcopter ist nicht nur im humanitären Bereich wie in Mala­wi, sondern auch im kommerziellen tätig.

„Im Prinzip wollen wir Liefer­ketten so weit wie möglich Flügel verleihen“, sagt Plümmer – Post, Lebensmittel, interne Dokumente. Nur ein Tabu gibt es: „Im militärischen Bereich sind wir nicht tätig und wollen es auch niemals sein“, so der CEO. Damit unterscheidet sich Wingcopter grundlegend von einem seiner grössten Konkurrenten: Zipline.

Der Wettbewerber habe seine Technologie direkt aus dem Militärbereich übernommen, er­klärt Plümmer. Bisher konnte das 2014 gegründete Unternehmen bereits mehr als 300.000 kommerzielle Drohnenlieferungen bewältigen. Weitere Konkurrenten sind Google und Amazon.

Medikamente im Anflug: In Afrika transportiert Wingcopter Arzneimittel in ­abgelegene Gebiete, in denen es kaum Strasseninfrastruktur gibt.

Trotz dieser namhaften Konkurrenz konnte Wingcopter Mitte Juni bei einer Finanzierungsrunde 42 Mio. US-$ einsammeln. Noch in diesem Jahr soll von aktuell 120 auf 200 Mitarbeiter aufgestockt werden. Die Idee zur Schwenkrotoren-Technologie hatte Mitgründer Jonathan Hesselbarth, CTO von Wingcopter. Ihm war die Begeisterung fürs Fliegen quasi in die Wiege gelegt worden: Seine Eltern sind beide Fluglehrer, sein Vater sogar Professor für Leichtbau.

„Jonathan ist quasi auf dem Flugfeld gross geworden“, so Plümmer. Im Segelflugzeugbau-Verein kam er auf die Idee, ein Flugsystem zu bauen, das senkrecht startet und Lasten über eine lange Strecke transportieren kann – und Zwischenlandung; denn etwa in Malawi findet man nicht immer Start- und Landebahnen. Schwenkrotoren gab es damals nur bei Flug­zeugen.

Plümmer verbrachte nach seinem Produkt- und Kommunikationsdesign-Studium zwei Jahre in Ghana. Dort produzierte er Videos und arbeitete dabei auch mit Drohnen. 2015 trafen sich Plümmer und Hesselbarth zu einem ersten Testflug. „Als ich das erste Mal gesehen habe, wie unsere Drohne gestartet und Sekunden später schon in einen über 100 km/h schnellen Vorwärtsflug über­­gegangen ist“, erinnert sich Plümmer, „war das, als hätte ich einen Transformer gesehen.“

Plümmer erkannte, dass diese Drohnen für Transporte in Ghana ideal waren. Es folgten unzählige Flugtests – unter anderem bei minus 40 Grad in der Arktis und plus 50 Grad in Dubai. 2017 war es dann so weit: Gemeinsam mit Praktikant Ansgar Kadura gründeten die beiden Wingcopter. Kadura studierte Wirtschaftsingenieurs­wesen und ist heute Chief Services Officer bei Wingcopter.

Anfangs produzierte das Un­ter­nehmen Chargen in Hundertergrösse. „Wenn wir unsere Produk­tion hochfahren, können wir in Tausendern produzieren“, sagt Plümmer. Und diese Nachfrage spürt Wing­copter auch: Mitte Juni schloss das Unternehmen einen Partnerschaftsvertrag mit Itochu, einem ja­panischen Handelshaus mit 99 Mrd. US-$ Umsatz, ab. Itochu betreibt mit 25.000 Läden die zweitgrösste Supermarktkette in Japan. Wingcopter und Itochu wollen nun auch in Japan Liefe­rungen per Drohne zustellen.

Wingcopter hat zudem Kunden in Südostasien, Süd­amerika und Afrika. Als Nächstes sollen der europäische und der US-amerikanische Markt erobert werden. Bisher agiert Wingcopter nur in Schwellenländern, weil die regulatorischen Flugrichtlinien in Indus­trieländern viel härter sind. Wing­copter befindet sich hier seit Jahren in einem Zertifizierungsprozess.

Wann Plümmers Drohnen durch europäische und US-amerikanische Lüfte flitzen, hängt von den Behörden ab. Plümmer hofft: „In den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir weltweit auf allen Märkten vertreten sein, die wir anstreben.“ Dann hätte er seinen Traum realisiert – einen Traum, der im kleinen Malawi im Südosten Afrikas begann.

Tom Plümmer
...arbeitete in Ghana mit Drohnen für Videoaufzeichnungen. Er erkannte, dass sich Jonathan Hesselbarths Drohne ideal für die logistische Versorgung in Schwellen- und Entwicklungsländern eignet, und gründete gemeinsam mit ihm und Ansgar Kadura das Unternehmen Wingcopter.

Fotos: Wingcopter/ Peter Jüllich

Juli Sixel

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