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Der Diskussion, ob geschlechtergerechte Sprache sinnvoll ist, konnte sich in den vergangenen Jahren fast kein Medium entziehen. Argumente dafür und dagegen gibt es zuhauf, eine Einigung darüber nicht. Doch wie innovativ ist die Einführung des Genderns wirklich und wie wirkt sie sich auf Unternehmen aus? Der Versuch einer Analyse.
Ob am Arbeitsplatz, bei der Familienfeier oder im Freundeskreis: Die Diskussion rund um das Sternchen, das generische Maskulinum und alles dazwischen – also kurz gesagt: die Debatte um das Gendern – ist in nahezu jeden Lebensbereich eingedrungen, auch in die Privatwirtschaft. Logisch, denn Sprache findet überall und jederzeit statt.
Die ersten Forderungen nach einer Sprache, die explizit das weibliche Geschlecht miteinbezieht, kamen aus der Feminismusbewegung der 1960er-Jahre. In den 1980ern wurde aus dem Schrägstrich das Binnen-I und ab Anfang der 2000er wurde der Unterstrich propagiert. Ab 2016 sorgte das Sternchen – welches auch Personen miteinbeziehen soll, die sich weder als männlich noch als weiblich identifizieren – für Aufregung. Das Ziel der verschiedenen Methoden bleibt das gleiche: Frauen (und nicht binäre Personen) sichtbarer zu machen und einen weiteren Schritt in Richtung Gleichberechtigung zu gehen. Aber kann Gendern sprachlich gesehen als Fortschritt der Menschheit betrachtet werden?
Ja, lautet die Antwort – zumindest, wenn es nach Martin Reisigl, Professor für Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Wien, geht. Auch in der Linguistik scheiden sich die Geister, wenn es um das Gendern geht: Aus der sprachkonservativen Riege wird es häufig verurteilt. „Dabei verändert sich Sprache immer“, erzählt Reisigl. Vom Argument seines Kollegiums, im generischen Maskulinum (also der „männlichen Form“) seien Frauen mitgemeint, hält er wenig: „Das ist erwiesenermassen nicht der Fall. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass sich Frauen von der männlichen Form nicht gleichermassen angesprochen fühlen.“ Negative Auswirkungen können bestimmte Genderformen dann haben, wenn die Verständlichkeit in Gefahr gerät: „Von Nachteil kann es sein, wenn Formen wie ,StudierX’ eingeführt werden und dann nur von einer kleinen Minderheit hermetisch praktiziert werden, für die meisten aber nicht mehr nachvollziehbar sind.“ Verständlichkeit und Gendern schliessen einander per se für Reisigl aber nicht aus: „Innovation hat ja immer auch mit Kreativität zu tun. Auch im Bereich der Benennung der Geschlechter sollten wir kreativ vorgehen. Ich bin überzeugt davon, dass man gleichermassen geschlechtergerecht, ästhetisch ansprechend und lesbar formulieren kann“, so Reisigl.
Die Argumente der Gegenseite lauten, dass sich Sprache nur natürlich verändern soll, und dass durch das Gendern eine Überbetonung des Geschlechts stattfinde. Sprachwissenschaftler Martin Neef findet, dass Gendern männerfeindlich sei – das Wort „Teilnehmerin“ bezeichne beispielsweise eine Frau. „Wenn ich einen Stern einbaue oder einen Buchstaben grossschreibe, bleibt es immer noch ‚Teilnehmer*in‘ oder ‚TeilnehmerIn‘ (…) – damit sind also strukturell nur Frauen gemeint“, so Neef gegenüber der Welt. Über alldem steht ausserdem noch die Tatsache, dass das Gendern bei Weitem nicht so verbreitet Anklang findet, wie es in der Meinungsblase des deutschsprachigen Feuilletons oft wirkt: Laut einer 2021 durchgeführten Umfrage lehnen knapp zwei Drittel der Deutschen eine gendergerechte Sprache ab.
Dass Gendern Wirkung hat, ist dennoch wissenschaftlich bewiesen. In Ländern, in denen die Sprache nicht jedem Wort ein Geschlecht zuordnet, sind Frauen häufiger erwerbstätig sowie unternehmerisch und politisch aktiv. Menschen denken erwiesenermassen eher an Frauen, wenn Substantive wie „Politiker“ gegendert werden, und mehr Frauen bewerben sich für Jobs, wenn die Stellenanzeige nicht im Maskulinum verfasst wird. In der Privatwirtschaft ist man sich beim Thema Gendern noch uneinig: In Österreich gendern etwa 60 % der Top-500-Unternehmen ganzheitlich und 31 % gelegentlich. Auch zehn der DAX-30-Unternehmen gendern laut einer Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; sechs planen, gendergerechte Sprache einzuführen. Eine andere Studie besagt, dass 30 bis 40 % der Führungskräfte in Deutschland nicht glauben, von gendergerechter Sprache zu profitieren. Die promovierte Linguistin und Unternehmensberaterin Simone Burel sieht das anders.
2015 gründete sie mit der LUB (Linguistische Unternehmensberatung) ein Unternehmen, das sich genau diesem Thema verschreibt. „Eigentlich ist es als Unternehmen fast nicht mehr möglich, sich gegen gendergerechte Sprache zu entscheiden. Gendern ist eines der vier grossen Sprachwandelphänomene der Gegenwart“, so Burel. Entscheidet ein Unternehmen sich dagegen, verschliesst es sich vor einer grossen Zielgruppe – Studien zeigen, dass sich Frauen und Personen unter 40 durch gendergerechte Sprache eher angesprochen fühlen, erzählt Burel. Neben dieser Zielgruppe kann sich Gendern auch positiv auf die Personalbeschaffung auswirken: „Aus Studien wissen wir, dass Unternehmen bis zu 30 % mehr Bewerbungen erhalten, wenn sie ihre Karriereseiten und Stellenausschreibungen gendergerecht verfassen“, so die Linguistin. Auch betriebswirtschaftlich ist es sinnvoll, zu gendern, denn Mitarbeitende, die sich unbewusst oder bewusst nicht angesprochen fühlen, wechseln eher das Unternehmen – und das sei langfristig teurer. „Wer sich gegen das Gendern wehrt, riskiert mittlerweile einen Imageschaden“, betont Burel. Besonders wichtig ist das Thema einem jungen und politisch links-grün bis liberal verorteten Publikum.
Dass dieses Publikum nicht die gesamte Bevölkerung repräsentiert, ist klar. Es stellt sich also die Frage, ob besagtes Reputationsrisiko auf alle Unternehmen umlegbar ist oder ob man es sich als Firma durch eine vermeintlich politische Stellungnahme nicht auch mit der Kundschaft verscherzen kann. „Mit dieser Befürchtung kommen immer wieder Kund:innen auf uns zu. Da ist es unsere Aufgabe, aufzuklären, dass Gendern in erster Linie kein politisches Statement ist, sondern zu einer modernen Sprache gehört, die sich vor allem im Digitalbereich bereits durchgesetzt hat“, sagt Burel. Trotzdem ist die Kommunikation spezifisch auf das Unternehmen auszulegen. Burel: „Bei traditionell konservativen Branchen schlagen wir etwa eine partielle Einführung im Digitalbereich oder auf sozialen Medien vor.“
Langfristig ist Linguistin Burel überzeugt davon, dass sich das Gendern auch in der Privatwirtschaft durchsetzen wird. Auch Martin Reisigl geht davon aus, dass die Genderdebatte keine Modeerscheinung ist: „Solange Menschen es weiterhin einfordern, müssen sich die Sprachwissenschaft und auch die Gesellschaft zwangsläufig damit beschäftigen“, so der Professor. Die Thematik wird wohl weiterhin viel Fläche für Debatten bieten und scheint noch lange nicht gesellschaftlich ausgehandelt zu sein. Dieser Artikel wurde übrigens in genderneutraler Sprache verfasst.
Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Peter Jülich / Agentur Focus, Pathdoc/shutterstock.com
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.