KI KANN LEBEN RETTEN

Wenn wir Krisen vorhersehen könnten, wären sie einfacher zu handhaben. Die Pandemie, Naturkatastrophen. Aber ist das möglich? Das KI-Unternehmen Insta Deep arbeitet genau daran, gemeinsam mit dem Techriesen Google und dem deutschen Biotechnologieunternehmen Biontech.

Es klingt wie aus einem Fantasy-Film – eine Person hat hellseherische Fähigkeiten und kann Krisen so verhindern, bevor sie eintreten. Doch das geht dank künstlicher Intelligenz im echten Leben. Das Unternehmen Insta Deep hat eine solche KI entwickelt, in Zusammenarbeit mit Partnern wie Biontech. Diese spezielle KI kann früh gefährliche Corona-Varianten erkennen. Das ermöglicht eine schnellere Reaktion und begrenzt womöglich den explosionsartigen Ausbruch.

Im November 2020 haben Insta Deep und Biontech eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Im selben Monat, in dem Biontech die Wirksamkeit des Covid-mRNA-Impfstoffs bekannt gab. Da sich das Spike-Protein des Corona-Virus ständig verändert, entstehen immer neue Varianten. Die Datenmenge ist einfach zu gross, als dass sie von einem menschlichen Experten verarbeitet werden könnte, erklärt CEO und Mitgründer von Insta Deep, Karim Beguir. Deshalb setzt man hier auf KI.

Das entwickelte KI-System kann bestimmte Merkmale wie Immunität oder Infektiosität erkennen. Es ist somit ein Filtersystem, mit dem man, auf der Grundlage der Proteinsequenz, sagen kann: Diese 20 Sequenzen zum Beispiel sollten vorrangig weitergetestet werden, weil sie möglicherweise gefährlich sind. Jede Woche werden 20 Sequenzen ausgewählt, die besonders gefährliche Varianten sein können. Diese Sequenzen werden zur weiteren Analyse an Biontech geschickt, wo anschliessend Laboruntersuchungen durchgeführt werden. 20 Sequenzen sind eigentlich nicht viel. Das sind weniger als 0,5 % aller neuen Sequenzen, die jede Woche eingehen. Dennoch ist es den beiden Unternehmen gelungen, mehr als 90 % der von der WHO benannten Covid-Varianten bis zu zwei Monate zuvor zu erkennen. „Für mich ist die Lehre aus der Pandemie, dass Deeptech-Innovation die Lösung für die schwierigsten Probleme sein kann“, so Beguir. Ein Ansatz, den Beguir während des Interviews immer wieder deutlich macht, ist: KI soll für so viele Menschen wie möglich von Nutzen sein.

Mit diesem Gedanken gründete Beguir 2014 gemeinsam mit Zohra Slim das Unternehmen Insta Deep, in Tunis, Tunesien. Dafür hatten die beiden ein Startkapital von gerade mal 2.000 Euro, „etwa drei Jahre lang, nach der Gründung, hatte Insta Deep kein nennenswertes Kapital“, erzählt Beguir. Heute sieht das aber ganz anders aus. In einer B-Finanzierungsrunde erhielt das Unternehmen 100 Mio. US-$, wie Insta Deep im Jänner dieses Jahres bekannt gab. Zu den Investoren zählen etwa DB Digital Ventures von der Deutschen Bahn, Google und Biontech.

Das mit 200 Mitarbeitern eher kleine Unternehmen wagt sich damit in einen hart umkämpften Markt mit grosser Konkurrenz. Am KI-Markt steht Insta Deep Unternehmen wie Open AI im Besitz von Microsoft, Deepmind von Google-Mutterkonzern Alphabet oder Facebooks Meta AI gegenüber. Trotzdem wurde Insta Deep von CB Insights AI 100 das dritte Jahr in Folge zu einem der 100 vielversprechendsten KI-Unternehmen der Welt gewählt.

Der Hauptsitz wurde mittlerweile von Tunis nach London verlegt, dennoch verschlägt es den Gründer immer wieder zurück zum afrikanischen Kontinent. Der CEO betont, wie wichtig es sei, dass auch Entwicklungsländer von KI profitieren können. „KI-Systeme sollten gleichmässig aufgeteilt und von so vielen Ländern wie möglich entwickelt werden, um eine erfolgreiche und wohlhabende Infrastruktur aufzubauen.“ Darum organisieren Beguir und Slim diesen Sommer die grösste Konferenz zum Thema maschinelles Lernen in Afrika: Deep Learning Indaba, in Tunis. Dort, wo sie auch das Unternehmen gegründet haben.

Ausserdem entwickelte Insta Deep gemeinsam mit Google ein System, das durch maschinelles Lernen die Brutstätten von Wüstenheuschrecken in Afrika bereits 90 Tage bevor sie entstehen aufspüren kann. Wüstenheuschrecken fallen über Nahrungsmittelvorräte her und bedrohen damit die Ernährungssicherheit in weiten Teilen Afrikas. Durch die frühe Erkennung der Brutstätten können in den betroffenen Gebieten Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt werden.

Die neue Ära der KI wird auf der ganzen Welt eintreten.

Karim Beguir

Beguir sagt, er möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben und seinen Beitrag leisten. In der Zukunft werde sich viel durch KI verändern. Im 20. Jahrhundert hätte beispielsweise die Kernkraft bestimmt, welche Länder den grössten Einfluss und die grösste Macht auf der Welt hatten. Sie bestimmte, wer Zugang zu günstiger Energie hatte. Im 21. Jahrhundert würden wir dasselbe mit KI erleben, meint Beguir und sagt überzeugt: „Die neue Ära der KI wird auf der ganzen Welt eintreten.“

Auch China und die USA haben beispielsweise erkannt, wie bedeutend KI in Zukunft sein wird. Seit Jahren gibt es einen regelrechten Wettbewerb zwischen den USA und China im KI-Bereich, wie im Beitrag „Is China emerging as the global leader in AI“ des Harvard Business Review berichtet wird. Demnach ist China in der Forschung weltweit führend, was Veröffentlichungen und Patente im KI-Bereich betrifft. Das deutet darauf hin, dass China im Bereich der KI-gestützten Unternehmen eine führende Position einnehmen könnte. China meldet kontinuierlich mehr KI-Patente an als jedes andere Land. Im März 2019 lag die Zahl der chinesischen KI-Firmen bei 1.189 und damit an zweiter Stelle hinter den USA, die mehr als 2.000 aktive KI-Firmen haben. „Meiner Meinung nach sollte KI nicht nur für die Vereinigten Staaten und Asien bestimmt sein, denn sie ist eine existenzielle Technologie für alle“, so Beguir.

Bereits heute wird KI flächendeckend eingesetzt. In Callcentern, die Konversationssysteme für Gespräche mit Kunden nutzen, in der Biotechnologie bei Früherkennungssystemen oder im Strassenverkehr beim autonomen Fahren. Allerdings werde es dabei nicht bleiben. „Ich glaube, dass die Menschen von den Möglichkeiten, die KI-Systeme in den nächsten fünf bis zehn Jahren bieten werden, überrascht sein werden“, so Beguir. Er glaubt, dass bei Konversationssystemen, KI-gestützter Biotechnologie und KI-gestützter Mobilität zukünftig grosse Fortschritte gemacht werden. Jeder dieser Bereiche sei ein Billionen-Dollar-Markt.

Karim Beguir...
..Mitgründer und CEO, des KI-Unternehmes Insta Deep, möchte KI so einsetzen, dass möglichst viele Menschen davon einen Nutzen tragen. Das einst in Tunesien gegründete Unternehmen hat mittlerweile zehn Standorte und seinen Hauptsitz in London, wo der Gründer nun auch lebt.

Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, Beguir ist nicht nur Geschäftsmann, sondern KI-Fan. So sagt er, dass die Art und Weise, wie Maschinen mit Menschen sprechen können, sich stark verbessern wird. „Es wird schwer werden, die Maschine vom Menschen zu unterscheiden.“ Auch in der Biotechnologie werde sich weiterhin viel tun, insbesondere im Bereich der personalisierten Therapeutika oder Impfstoffe und bei neuen Impfstoffträgern, so Beguir. Dabei sei wichtig: „Das Ziel ist eine Zukunft, in der diese Technologien allen zugutekommen, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch bei der Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme und bei der Bekämpfung vieler Krankheiten“, so Beguir.

Fotos: Alexander Coggin

Lea Czimeg

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