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Ein Tesla ist gut für den morgendlichen Pendlerverkehr, aber um die riesigen Züge, Lastwägen und Schiffe anzutreiben, die die Weltwirtschaft bewegen, ist Wasserstoff die Lösung. Cummins, ein über 100 Jahre alter Hersteller von „schmutzigen“ Dieselmotoren, ist führend in diesem Bereich.
Der elegante freitragende Büroturm aus Stahl und Glas von Cummins Inc. in Indianapolis sieht eher aus wie der Hauptsitz eines Technologieunternehmens als der eines Unternehmens, das von Dieselabgasen lebt. Die Unvereinbarkeit setzt sich in Columbus, Indiana, fort, wo Cummins vor einem Jahrhundert geboren wurde und wo die Stiftung des Unternehmens innovative Entwürfe von I. M. Pei und Eero Saarinen für Schulen, Feuerwachen und eine Bibliothek finanzierte.
Dass der führende US-Hersteller von Dieselmotoren von einem gebürtigen Silicon-Valley-Absolventen mit einem Ingenieurdiplom aus Stanford geleitet wird, ist eine weitere überraschende Wendung. Sie ist durchaus relevant: Der Kampf um den Lkw-Motorenmarkt wird auf dem Gebiet des Umweltschutzes ausgetragen werden, wobei Cummins gegen scheinbar umweltfreundlichere Neulinge antritt, die elektrische Lkws bauen.
„Nur zu“, sagt Thomas Linebarger, seit einem Jahrzehnt Vorstandsvorsitzender von Cummins, „Teslas werden unsere Wirtschaft nicht antreiben, sie werden reiche Leute antreiben.“ Cummins floriert gerade deshalb, weil das Unternehmen die immer strengeren Umweltauflagen für Dieselmotoren gut erfüllen kann. Und wenn der Tag kommt, an dem akku- oder wasserstoffbetriebene Lkws dieselbetriebene vollständig ersetzen, wird Linebarger bereit sein.
Der schlaksige 59-jährige Manager begann vor sechs Jahren, den Grundstein für einen evolutionären Wandel bei Cummins zu legen, indem er Unternehmen mit Fachwissen in den Bereichen Akkus, Wasserstoff und Brennstoffzellen erwarb und eine neue Abteilung einrichtete, die sich ausschliesslich auf Antriebsstränge der nächsten Generation konzentriert. Linebarger setzt darauf, dass diese Schritte und der grosse globale Kundenstamm von Cummins dem Unternehmen helfen können, den Markt für umweltfreundlichere Lkws, Busse, Boote, Züge, Bergbaumaschinen und Generatoren in den 2020er-Jahren und darüber hinaus anzuführen.
„Wir brauchen Lösungen, mit denen wir Güter auf den Markt bringen können – die Lieferung von Matratzen, die Auslieferung von Fliessbändern und all die anderen Dinge, die hier draussen vor sich gehen“, sagt er und deutet auf das Fenster eines grossen Konferenzraums, während ein heftiger Winterregen Indianapolis durchnässt. „Eine einzige Lösung wird nicht ausreichen. Niemand versteht die Bandbreite dieser Lösungen besser als wir.“
Eine Vielzahl von Ansätzen ist notwendig, weil die Produktpalette des Unternehmens sehr umfangreich ist. Jährlich liefert Cummins mehr als eine Million Hochleistungsmotoren für Busse, Dodge-Pickups, Kenworth-Sattelschlepper, Bradley-M2-Panzerfahrzeuge, Siemens-Züge, Fischtrawler, Bergbaumaschinen und Notstromgeneratoren für Rechenzentren.
Die Umweltbelastungen durch Diesel sind beträchtlich. Neben Kohlendioxid stösst der Kraftstoff auch schwarzen Russ aus, der Herz- und Lungenkrankheiten verursacht und Vorläufer von Smog und saurem Regen ist. Kalifornien schreibt vor, dass gewerbliche Fuhrparks bis 2024 mit der Umstellung von Diesel-Lkws auf schadstofffreie Modelle beginnen müssen. Die US-Umweltschutzbehörde neigt dazu, ab 2027 schrittweise strengere Anforderungen für schwere Lkws einzuführen.
Die Fähigkeit von Cummins in den letzten 20 Jahren, sauberere Dieselsysteme zu entwickeln, um die strengeren Umweltvorschriften zu erfüllen, hat dem Unternehmen bisher zu seinem Erfolg verholfen. Analysten schätzen, dass das Unternehmen im Jahr 2021 einen Nettogewinn von 2,2 Mrd. US-$ (bei einem Umsatzanstieg von 21 % auf 24 Mrd. US-$) erzielt hat. Die Marktkapitalisierung beträgt 33,5 Mrd. US-$.
Die Umstellung des Markts für schwere Nutzfahrzeuge weg von Dieselkraftstoff wird weder schnell noch billig sein – und der Gewinner auf dem Fernverkehrsmarkt sind vielleicht nicht die akkubetriebenen Lkws, die Elon Musk anpreist: Es könnten Motoren sein, die Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen verbrennen. Berücksichtigt man den Lithiumabbau für Akkus und das teilweise mit fossilen Brennstoffen betriebene Stromnetz zum Aufladen, ist es durchaus möglich, dass die Lkws von Cummins eines Tages umweltfreundlicher sind als die von Tesla.
„Teslas werden unsere Wirtschaft nicht antreiben, sie werden reiche Leute antreiben.“
Thomas Linebarger
Einen Produktionsbetrieb zu leiten war für Linebarger keine wahrscheinliche Zukunft. Er wuchs in einem Arbeiterhaushalt im Silicon Valley auf, zu einer Zeit, als die Region eher von IBM und Hewlett-Packard als von Apple und Google geprägt war. Seine Eltern liessen sich scheiden, als er noch klein war, und seine Mutter war irgendwann auf Lebensmittelmarken angewiesen. Linebarger: „Sie ging zurück aufs College, schloss ihr Ergotherapie-Studium an der San José State University ab und hielt uns sozusagen auf Trab.“
Gute öffentliche Schulen verhalfen Linebarger zu einem Studium am Claremont McKenna College und in Stanford, wo er einen Bachelor-Abschluss in Management und Maschinenbau erwarb. Er absolvierte ein Praktikum bei Cummins, während er in Stanford einen kombinierten MBA- und Master-Abschluss in Fertigungswissenschaften erwarb. „Ich wollte Unternehmen aufbauen, nicht sie finanzieren“, sagt er.
Linebargers Strategie zur Bekämpfung des massenhaften CO2-Ausstosses und zur weiteren Verringerung der Abgasverschmutzung ist mehrgleisig und kombiniert konventionelle und Hightech-Optionen. Das Entwicklungsteam von Cummins plant, die Effizienz seiner Dieselmotoren und Generatoren weiter zu verbessern und sie gleichzeitig so zu konstruieren, dass sie mit saubereren Kraftstoffen – einschliesslich Erdgas und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen – betrieben werden können. Ausserdem werden Hybridoptionen entwickelt, die (wie der Toyota Prius) die Kraftstoffeffizienz steigern, ohne den riesigen Akku eines vollelektrischen Lkw zu benötigen.
„Mit den Techniken, die uns heute mit Big Data und Analysen zur Verfügung stehen, können wir die Effizienz des Systems in einer Weise gestalten, die vor zehn oder 15 Jahren noch nicht möglich war. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Effizienz unserer Motoren bis zum Ende des Jahrzehnts um 20 oder 25 % zu verbessern“, sagt Linebarger. Der nächste Schritt ist vor allem die Betankung, sonst gibt es am Motor nicht mehr viel zu tun. Sobald die Effizienz perfekt ist, geht es um Hybridisierung und Kraftstoff.
Linebarger hat 2018 bei Cummins die Abteilung New Power gegründet, um Akku- und Brennstoffzellensysteme sowie Technologien zur Wasserstofferzeugung zu entwickeln, die das Dieselgeschäft in den 2030er-Jahren ablösen könnten. Um die Abteilung zu stärken, kaufte Cummins den Brennstoffzellen- und Wasserstoffentwickler Hydrogenics, beteiligte sich an Sion Power, um Lithium-Metall-Akkus zu entwickeln, und gründete ein Joint Venture mit dem chinesischen Ölkonzern Sinopec, um Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen zu produzieren. Das von Amy Davis geleitete Unternehmen New Power wird sich zunächst auf Akkus und Motoren für leichte und mittelschwere Lkws sowie auf Wasserstoff-Brennstoffzellensysteme für Bahnanwendungen und die stationäre Stromerzeugung konzentrieren. Wasserstoffbetriebene Langstreckenzüge für Sattelschlepper seien in Arbeit, werden aber wahrscheinlich erst in den späten 2020er-Jahren zum Kerngeschäft gehören, sagt sie.
„Mit den Fortschritten bei den Akkupacks und den Angeboten für leichtere Nutzfahrzeuge liebäugeln Flottenbetreiber nun mit Last-Mile-E-Lkws“, beschreibt Davis, was sie hörte, als sie und Linebarger im November auf der Klimakonferenz in Schottland waren; sie seien aber „besorgt über den Ersatz von Dieselsystemen in Sattelschleppern und schweren Lkws“: Die Kunden haben Bedenken, dass reine Akkusysteme – wie die von Musk geplanten Sattelschlepper mit einer Reichweite von bis zu 500 Meilen – nicht realistisch sind. Es sei nicht nur die Grösse der Akkus, die ihnen im Weg stehe, es sei vor allem auch der Mangel an Ladestationen.
Davis beschrieb Kunden, die fragten: „Was ist mit meinem Langstreckenverkehr? Mit dem vorhandenen Ladesystem könnte ich nicht einmal drei meiner Lkws gleichzeitig aufladen. Was sollen wir also tun?“ Ihre Antwort: „Der Brennstoffzellen-Elektroantrieb kann eine gute Ergänzung zu den laufenden Arbeiten am Akku sein.“
Zusammen mit Lkw-Herstellern wie Daimler, Volvo und dem Start-up-Unternehmen Nikola sieht Cummins den Akkuantrieb als praktikable Option für schwere Lkws, die nur eine tägliche Reichweite von 200 Meilen benötigen, wie z. B. Lkws, die Fracht von Häfen transportieren oder feste Lieferrouten fahren. Für Lkws, die zwischen zwei Tankvorgängen 300 Meilen zurücklegen müssen, ist der Wasserstoffantrieb attraktiver, zumal ein Brennstoffzellensystem, das das Element in Elektrizität umwandelt, leichter ist als ein Akkupack. Die Betankungszeit von Wasserstoff kann mit der von Diesel vergleichbar sein.
Cummins geht davon aus, dass der Umsatz des Geschäftsbereichs New Power im vergangenen Jahr bis zu 130 Mio. US-$ erreicht hat. Diese Zahl wäre nur ein Bruchteil des Gesamtumsatzes des Unternehmens, aber grösser als der kombinierte Umsatz der kommerziellen EV-Hersteller Rivian, Arrival und Nikola, die gerade mit der Auslieferung von Flotten beginnen.
Matthew Elkott, der für Cowen & Co. über Cummins berichtet, ist der Meinung, dass der von Linebarger eingeschlagene Weg – die Kombination von stetigen Effizienzsteigerungen bei herkömmlichen Motoren und die Vorbereitung der nächsten Technologiegeneration – richtig ist: „Wir wissen noch nicht, was in zehn oder 20 Jahren die allgegenwärtige Technologie sein wird, aber sie (Cummins, Anm.) werden stark dazu beitragen, dass viele der Lkw-Kunden in die Zukunft migrieren – wie auch immer diese aussehen wird.“
Tesla hat Tausende von potenziellen Kunden für den Tesla Semi gewonnen, der 2017 vorgestellt wurde und mindestens zwei Jahre hinter dem Zeitplan liegt. Angesichts der mangelnden Erfahrung des Elektrofahrzeugherstellers in der Zusammenarbeit mit grossen Flottenbetreibern ist Elkott skeptisch, wie gross der Anteil von Tesla oder Nikola, die ebenfalls für Akku- und Wasserstoffantrieb plädieren, bei Nutzfahrzeugen sein wird.
„Der Vorteil, den sie (Cummins, Anm.) gegenüber einem Unternehmen wie Tesla haben, ist die installierte Basis von Kunden weltweit, von denen viele schon seit Jahrzehnten mit Cummins zusammenarbeiten“, so Elkott. Wenn das Unternehmen sage, dass es ein überzeugendes wasserstoffbetriebenes Produkt und den dafür benötigten Kraftstoff habe, werde das von den Kunden, die es bereits beliefert, wahrscheinlich ernst genommen. „Wenn ich dieser Kunde wäre, würde ich mich eher für Cummins entscheiden als für einen neuen Anbieter auf dem Markt“, so Elkott.
Wie andere langlebige globale Fahrzeughersteller wie Ford, Toyota und Harley-Davidson – in dessen Vorstand Linebarger auch sitzt – sieht auch Cummins technische Innovationen als Kernstück seiner Geschichte. Das Unternehmen wurde 1919 von Clessie Cummins mitbegründet, um den revolutionären Motor von Rudolf Diesel weiterzuentwickeln. Zunächst lizenzierte das Unternehmen ein Design einer kleinen Firma in Michigan, bevor es seine eigenen Dieselmotoren mit Direkteinspritzung entwickelte, die Pumpen antreiben, Getreide mahlen oder eine Säge antreiben konnten. In den 1930er-Jahren drängte Cummins mit dem Modell H, das zum Industriestandard wurde, auf den Lkw-Markt.
„Cummins war immer dann am erfolgreichsten, wenn Innovation gefragt war“, sagt Linebarger. „Sobald sich die Industrie auf eine Technologie festgelegt hat, konkurriert man nur noch um Grösse und Kosten.“
Das US-Gesetz zur Luftreinhaltung von 1970, das die Dieselmotorenhersteller zwang, ihre Produkte sauberer zu machen, hat das Geschäft des Unternehmens Cummins, das schnell sauberere Motoren auf den Markt bringen konnte, enorm angekurbelt. Linebarger erwartet nun ein ähnliches Ergebnis, wenn Kohlendioxid noch mehr als ohnehin schon zum Feind wird: „Ich betrachte die Dekarbonisierung als eine Wachstumschance für Cummins, denn jetzt wird Innovation eine grosse Rolle spielen“, sagt der Manager. „Innovation ist das, was wir tun – und dann müssen wir nicht mehr so sehr über den niedrigsten Preis mal eine Million Einheiten konkurrieren.“
Text: Alan Ohnsman, Forbes US
Foto: Theo Stroomer für Forbes
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.