FAIRER WIRDS NICHT

Die Fairphones des gleichnamigen Unternehmens sind deutlich fairer hergestellt und schonen den Planeten mehr als die Geräte von anderen, grösseren Erzeugern. Markt­macht hat Fairphone nicht, dazu verkauft das Unternehmen zu wenige Telefone – aber durch seine Vorreiterrolle könnte es die Industrie nachhaltig verändern.

Wenn wir unser Smartphone in der Hand halten und über den Touchscreen wischen, denken wir im Regelfall nicht an die Hände, die dieses Gerät vor uns gehalten und zusammengebaut haben, oder daran, woher die Mineralien im Inneren stammen, die unser Telefon überhaupt erst funktionstüchtig machen – wer hat sie aus der afrikanischen Mine herausgeholt, unter welchen Bedingungen? Auch, was mit Gehäuse und Innenleben passiert, wenn das Smartphone erst in der Schublade und dann beim Elektroschrott landet, interessiert uns im Normalfall nicht. Mit global mehr als fünf Milliarden Smartphones ist die Dimension aber zu gross, um ignoriert zu werden, und diese Zahl nimmt zu: 2027 wird es laut einem 2021er-Report von Data Reportal geschätzt knapp acht Milliarden Smartphones auf diesem Planeten geben. In jedem dieser kleinen Hosentaschencomputer stecken über 40 Mineralien und Metalle: Ein typisches iPhone enthält schätzungsweise etwa 0,034 g Gold, 0,34 g Silber, 0,015 g Palladium, ein Tausendstelgramm Platin und 15 g Kupfer. Gold, Tantal, Zinn und Wolfram sind sogenannte Konfliktmineralien und werden oft unter widrigen Arbeitsbedingungen in asiatischen oder afrikanischen Ländern unterhalb der Sahara abgebaut.

Das niederländische Unternehmen Fairphone will fehlende Nachhaltigkeit und unethische Produktionsbedingungen gleichermassen angehen und strebt an (wie der Name schon sagt), „faire“ Telefone herzustellen. Aber was heisst „fair“ eigentlich? Fairphone-CEO Eva Gouwens selbst ist kritisch und sagt, sie hasse das Wort – aber sie habe kein besseres. Fairphones seien im Vergleich zu anderen Herstellern fairer, sowohl im Rohstoffabbau und bei den Arbeitsbedingungen in den Minen als auch zur Umwelt. „Unser Weg beginnt damit, herauszufinden, was in dieser Branche schiefläuft. Was sind die Probleme, die wir angehen müssen?“, sagt Gouwens. Bei Kunststoffen zum Beispiel geht es um die Wiederverwertung, aber in der Produktion und vor allem beim Mineralienabbau sind die Probleme, die Fairphone angehen will, ungesunde Arbeitsbedingungen, fehlende Schutzkleidung, lange Arbeitszeiten und Kinderarbeit. Der Schlüssel zur Lösung all dieser Probleme sei vor allem die Langlebigkeit der Geräte, sagt Gouwens. Die grösste Herausforderung sei es also, Verbraucher dazu zu bringen, ihre Geräte länger zu nutzen. Eine Studie des schwedischen Abfallwirtschafts- und Recyclingverbands Avfall Sverige errechnete zudem, dass der „unsichtbare Abfall“ eines typischen Smartphones etwa 86 Kilogramm wiegt – damit sind die grossen Mengen an Müll gemeint, die bei der Herstellung von Produkten schon anfallen, bevor sie verkauft werden, und die für die Endverbraucher gar nicht sichtbar werden. Manfred Santen von Greenpeace sagt, Smartphones seien hier neben der Mode eines der grössten Probleme, weil sie so allgegenwärtig und alltäglich sind: „Klamotten trägt man am Körper und das Handy hat man ständig in der Hand“, so Santen.

Viele Hersteller, allen voran der kalifornische Megakonzern Apple, bringen mindestens einmal im Jahr neue Geräte auf den Markt. Das verkürzt den Lebenszyklus der Modelle, weil ständig ein Upgrade der Hardware möglich ist. Laut einer 2021er-Studie von Strategy Analytics lag der durchschnittliche Austauschzyklus von Smartphones in Westeuropa im Jahr 2020 bei 40 Monaten, bis 2025 soll er sich auf 33 Monate verkürzen; US-Verbraucher wechseln ihr Smartphone im Schnitt nach 24 Monaten. Nur knapp 10 % der Geräte werden recycelt – Fairphone baut deshalb modulare Geräte, das heisst, diese lassen sich auseinanderbauen und einzelne Bestandteile reparieren oder upgraden. Wenn beim iPhone der Akku kaputt ist, muss ein ganz neues Gerät her; dasselbe gilt, wenn ein Verbraucher das neue Gerät mit der besseren Kamera will – beim Fairphone kann die Kamera einzeln ausgebaut und gegen eine neuere ausgetauscht werden. Das erhöht die Lebensdauer und reduziert den Bedarf, neue Geräte zu produzieren. „75 % der Emissionen entstehen in der Herstellung“, sagt Gouwens – Manfred Santen von Greenpeace begrüsst das: „Wir haben immer gesagt, Geräte sollten optimalerweise fünf bis sieben Jahre halten, um als nachhaltig umweltschonend zu gelten.“

„Für uns geht es um eine ganzheitliche Sicht auf Fairness. Aber das Wort ‚fair‘ mag ich eigentlich nicht – ich habe nur noch kein besseres gefunden.“

Eva Gouwens

Ein weiterer Faktor der Fairness ist Ethik in der Herstellung. Für die Menschen in der afrikanischen Region der Grossen Seen bringt der Mineralienabbau oft Blutvergiessen und Konflikte, denn der Abbau und (oft illegale) Handel mit den Mineralien wird immer wieder von bewaffneten Gruppen kontrolliert. So kann die Rohstoffindustrie – und damit der Smartphonebau und -kauf selbst – bei der Finanzierung oder Unterstützung bewaffneter Gruppen in den Förderländern eine Rolle spielen. Ist dies der Fall, so werden die betreffenden Ressourcen als „Konfliktmineralien“ bezeichnet; ein Beispiel dafür sind die Gewinnung des Erzes Coltan und die bewaffneten Konflikte darum im Ostkongo.

Kinder sind von diesen Entwicklungen besonders betroffen, schreibt der Verein Earthlink auf seiner Website zur Kampagne „Aktiv gegen Kinderarbeit“. Amnesty International berichtet, dass Kinder etwa Kobalt per Hand verlesen und dann auf dem Rücken aus engen, einsturzgefährdeten, dunklen Tunneln tragen, und das oft ohne Schutzausrüstung. Sie atmen schädlichen Staub ein, seien anfälliger für Lungenerkrankungen und zögen sich oft Platzwunden und Verletzungen zu. Die Arbeitszeiten sind lang, Pausen und Mahlzeiten selten. In der Demokratischen Republik Kongo sind 40 % der Minenarbeiter minderjährig – sie bauen vor allem Coltan ab, das zur Gewinnung von Tantal benötigt wird.

Fairphone kooperiert unter anderem mit Fairtrade, um sicherzustellen, dass in seinen Smartphones faires Gold verwendet wird. Das Unternehmen schickt auch eigene Mitarbeiter etwa nach Ruanda, die dort Minen besuchen und die Arbeitsbedingungen prüfen. Sie setzen sich vor Ort ein, dass Kinder in die Schule gehen statt in die Mine – dazu braucht es aber vor Ort die entsprechende Infrastruktur; eine Schule, Lehrer. Deswegen sei es nicht leicht, sagt Gouwens. Einfacher wird es, wenn grosse Partner mitmachen. Das japanische Unternehmen Hirose Electric zum Beispiel, sagt Gouwens, habe sich an der Initiative für faires Gold beteiligt. Damit steigt der Anreiz für Minenbetreiber, denn sie haben skalierbare Abnehmer für faires Edelmetall.

Doch trotz aller Bemühungen gibt auch CEO Gouwens zu, dass ihre Phones nicht zu 100 % fair seien. Unternehmerische Opfer kostet die Herangehensweise dennoch schon: Seit der Produktvorstellung des ersten Fairphones (2013) wurden gerade mal 400.000 Geräte verkauft. Zum Vergleich: 2020 gab es bereits mehr als eine Milliarde aktiver iPhones, Apple will in diesem Jahr weitere 300 Millionen Geräte verkaufen. Fairphone hat im Jahr 2020 einen Nettogewinn von 2,8 Mio. € erzielt – Apple hat für das Geschäftsjahr 2021 mit einem Nettogewinn von 94,7 Mrd. US-$ die eigenen Rekorde gebrochen. Für fast 50 % verantwortlich: das iPhone. Der Nettogewinn von Samsung stieg 2021 um 51,1 % auf 39,91 Billionen Won (33,2 Mrd. US-$).

Angesichts dieser Zahlen wird deutlich, dass Fairphone nicht wettbewerbsfähig ist – Gouwens kritisiert die Konkurrenz: „Die Haupttriebfeder des Geschäftsmodells der grossen Hersteller ist immer noch der Gewinn, den sie durch den Verkauf eines wirklich neuen Geräts erzielen. Der Gewinn ist bei den neuesten Geräten am höchsten.“

Freilich nützt es Fairphone nichts, fair zu sein, wenn das Unternehmen dabei pleitegeht – Gewinnmaximierung sichert auch die Fairness, und so ist Fairphone ein For-Profit Social Enterprise. „Profitabilität ist für uns wichtig“, sagt CFO Noud Tillemans, „um uns selbst über Wasser zu halten und nicht wie in der Vergangenheit nur auf Eigenkapitalinvestitionen, Schulden oder Crowdfunding angewiesen zu sein.“ Fairphone sehe es ausserdem als seine Aufgabe, der Unterhaltungselektronikbranche zu zeigen, dass es einen Markt für faire und nachhaltige Elektronik gibt. „Der Beweis, dass wir profitabel sein können, ist der Schlüssel dazu; wir demonstrieren Profitabilität durch Zweckmässigkeit.“ Im Jahr 2022 strebe Fairphone einen Gewinn von 2 bis 3 Mio. € an, sagt Tillemans; man wolle den gesamten Gewinn in die weitere Skalierung des Unternehmens investieren.

Fairphone will vor allem den Druck auf andere Hersteller erhöhen und zeigen: „Es geht auch anders.“ Und diese haben sich in den vergangenen Jahren tatsächlich mehr Mühe gegeben, so scheint es: Apple hat 2019 eine Erweiterung seiner Recyclingprogramme bekannt gegeben, die die Anzahl der Standorte, bei denen US-Kunden ihr iPhone zurückgeben können, vervierfacht. Daisy, ein Demontageroboter, zerlegt und recycelt die Geräte. Im Jahr 2018 habe man mehr als 7,8 Millionen Apple-Geräte generalüberholt und dazu beigetragen, mehr als 48.000 Tonnen Elektronikschrott aus Deponien wiederzuverwerten. Selbst Manfred Santen von Greenpeace hat fast lobende Worte für den iPhone-Hersteller: Apple sei immer relativ weit vorne, was z. B. Schadstoffe angehe, weil sie gut informiert seien, viele Tests machen und auch ein paar Verbesserungen einführen. „Sie sind nie so richtig toll, aber sie sind im Vergleich zu den anderen immer vorne“, so Santen.

An anderer Front hat Apple sich lange nicht gerade mit Ruhm bekleckert: Das Unternehmen hat mehr als drei Jahre gebraucht, um seine Geschäftsbeziehung mit Suyin zu beenden, obwohl es wusste, dass das in China ansässige Unternehmen Kinder im Alter von bis zu 14 Jahren beschäftigte. Apple gibt seit einigen Jahren aber einen jährlichen Responsibility Report heraus, der Transparenz schaffen soll. Der Bericht deckt eine Reihe von Themen ab, etwa bezüglich Umwelt, der verwendeten Materialien und der Menschen- und Arbeiterrechte. Die Lieferanten dürfen laut dem jüngsten Bericht keine Arbeitnehmer beschäftigen, die jünger als 15 Jahre sind.

Eva Gouwens würde gerne sagen, dass ihr Fairphone zu 100 % fair ist – das ist es aber nicht, denn die Lieferketten sind lang und schwer zu überwachen. „Am Ende ist das fairste Smartphone sowieso das, das ich bereits in der Tasche habe.“

Eva Gouwens
...kam nach 18 Jahren Erfahrung in der Konsumgüterindustrie Ende 2017 zu Fairphone und übernahm im Jahr 2018 die Geschäftsführung. Fairphone will andere Hersteller inspirieren, besser mit den Menschen und dem Planeten umzugehen.

Text: Sophie Schimansky
Fotos: Zsófia Bodnár

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–22 zum Thema „KI“.

Sophie Schimansky,
Deputy Editor in Chief

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