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Auto fahren und dabei Zeitung lesen? Texte einfach sprachdiktieren? Den Kühlschrank selbst fehlende Nahrungsmittel bestellen lassen? Künstliche Intelligenz macht’s möglich – und Geld kann man damit auch verdienen.
Als die ersten Automobile durch die Ortschaften knatterten, mussten oft vor ihnen Männer mit Glocken gehen, um die Einwohner vor der drohenden Gefahr zu warnen. Und als noch früher die erste Eisenbahn abdampfte, war eine der grössten Ängste, dass Menschen bei den wahnwitzigen Geschwindigkeiten von immerhin zehn englischen Meilen oder umgerechnet rund 16 km/h gesundheitlich zu Schaden kommen würden. Heute könnte man bei der zehnfachen Geschwindigkeit im Auto entspannt Zeitung lesen – na gut, das ist zugegebenermassen noch nicht wirklich legal, aber es gibt einen Ausblick darauf, was in den nächsten Jahren auf uns zukommt.
Möglich macht dies (und unzählige weitere Anwendungsmöglichkeiten) künstliche Intelligenz, kurz KI oder englisch Artificial Intelligence (AI). Der Begründer dieser neuen wissenschaftlichen Disziplin ist der US-Wissenschaftler Marvin Minsky, der den Begriff künstliche Intelligenz zusammen mit John McCarthy 1956 prägte. Die Grundidee der künstlichen Intelligenz besteht darin, mit Maschinen eine Annäherung an wichtige Funktionen des menschlichen Gehirns zu erreichen: lernen, urteilen und Probleme lösen.
KI ist eines der wichtigsten digitalen Zukunftsthemen und weckt schon seit einigen Jahren grosses Interesse in Wissenschaft, Wirtschaft und Medien. Längst hat sich künstliche Intelligenz – lange ein Thema für Science-Fiction-Romane und Hollywood-Filme – dabei zu einer Alltagstechnologie entwickelt: Man kann etwa KI-basiert mit seinem Smartphone sprechen und Logistikunternehmen haben autonom fliegende KI-Drohnen im Einsatz.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die KI-Technik ist die Verfügbarkeit von Daten in grossen Mengen. Sie ist daher für alle Branchen interessant, in denen grossen Datenmengen anfallen; dazu gehören produzierende Unternehmen, bei denen Lieferanten, Kunden, Sensoren in den Maschinen und die Produktion viele Daten liefern können. Selbstlernende Algorithmen unterstützen hier die Qualitätskontrolle, liefern Prognosen für die vorausschauende Wartung der Maschinen oder die Entwicklung des Markts. Auch im Gesundheitswesen kommt KI zum Einsatz, zum Beispiel bei der medizinischen Bildanalyse, roboterassistierter Chirurgie oder bei der Auswertung von Gesundheitsdaten.
Eines der wichtigsten Einsatzgebiete, in denen die Technik schon weit fortgeschritten ist, ist das autonome Fahren von Autos. Im Idealfall steigt man ein, sagt dem Wagen, wo man hinwill, und ab geht die Post. Dieses Fahren auf dem sogenannten Level 5 ist in der Praxis noch nicht verfügbar – man hält aktuell auf Level 2, bei dem der Pkw manche Aufgaben zeitweilig selbst ausführt, ganz ohne Eingriff eines Menschen. Level 3 soll noch heuer bei Mercedes verfügbar sein.
Ein Unternehmen, das hier ganz weit vorne mit dabei ist, ist der Google-Mutterkonzern Alphabet – in den Medien tauchen immer wieder Bilder und Videos von selbstfahrenden kleinen Google-Autos mit niedlichem „Hütchen“ auf. Google dürfte nicht unbedingt als Auto-Unternehmen wahrgenommen werden, ist aber tatsächlich schon seit über zehn Jahren im Fahrzeugmarkt aktiv und hat voriges Jahr nachgelegt: Gemeinsam mit Fiat hat man den Fiat 500 im Google-Design vorgestellt. Der zuerst für einen Aprilscherz gehaltene Google-Fiat-500 soll noch heuer in den Verkauf gehen und die lange Geschichte der „Google-Cars“ fortsetzen.
Dem Mutterkonzern Alphabet hat die spektakuläre KI-Technologie gut getan: Seine Aktie ist während der letzten drei Jahre um fast 130 % gestiegen und lag zu Redaktionsschluss bei mehr als 2.400 € pro Stück. Auch die weiteren Aussichten sind rosig: Zuletzt hagelte es Kaufempfehlungen. So hat die US-Investmentbank Goldman Sachs das Kursziel für die Alphabet-A-Aktie nach Zahlen von 3.350 auf 3.400 US-$ angehoben und die Einstufung auf „Buy“ belassen. Das vierte Quartal des Internetkonzerns sei besser als erwartet ausgefallen, meinte Analyst Eric Sheridan, lediglich die Werbeeinnahmen von Youtube hätten etwas enttäuscht. Längerfristig sollte das Unternehmen weiter von seiner führenden Stellung profitieren.
Auch die schweizerische Bank Credit Suisse hat das Kursziel auf ebendieses Niveau gesetzt und die Einstufung auf „Outperform“ belassen. Der Google-Mutterkonzern habe die Erwartungen übertroffen, sagte Analyst Stephen Ju. Der Experte erhöhte seine Prognosen für den Umsatz und das bereinigte operative Ergebnis (Ebitda); bei Alphabet spiele künstliche Intelligenz weiterhin eine führende Rolle.
In den Fokus der Anleger rückt beim Thema KI nun aber auch Nvidia: Die Grafik- und Medienkommunikationsprozessoren des 1993 gegründeten kalifornischen Unternehmens sind unabdingbar für die neue Technologie. Der Chiphersteller, der zuletzt mit knapp 19.000 Mitarbeitern mehr als 16 Mrd. US-$ umsetzte, gehört gleich in verschiedenen Gebieten der künstlichen Intelligenz zu den Marktführern, etwa in der Sprach- und Bilderkennung sowie beim Gaming. In den „Forbes Global 2000“ der weltweit grössten Unternehmen belegt Nvidia Platz 489; das Unternehmen kommt auf einen Börsenwert von ca. 377 Mrd. US-$.
Aktionäre können sich die Hände reiben – Nvidia hat in den letzten drei Jahren fast 400 % zugelegt. Die Aktie notierte zuletzt bei mehr als 200 €. Im November des Vorjahrs hatte sie ihr All-Time-High bei 288 € erreicht. Das Unternehmen erwartet, dass sein Umsatz im ersten Quartal 2022, der am 25. Mai veröffentlicht wird, mindestens 8,1 Mrd. US-$ betragen wird, verglichen mit 7,66 Mrd. US-$ im vergangenen Quartal. Analysten schätzen, dass der Umsatz im Jahr 2022 um 30 % auf 34,9 Mrd. US-$ steigen wird. Und weil auch die Margen anziehen, hält Analyst Mark R. Hake von Investor Place einen Kursanstieg der Nvidia-Aktie um 45 % für möglich.
Auch in der Medizin ist KI gefragt: Teilweise werden automatisierte Operationen schon heute von Robotern ausgeführt, künstliche Intelligenz hilft aber auch, durch die Analyse grosser Datenmengen Krankheiten zu erkennen oder Medikamente zu entwickeln; und auch die personalisierte Medizin könnte mittels KI zum Durchbruch gelangen. Hier ist das deutsche Unternehmen Sartorius am Ball: Der 1870 gegründete Pharma- und Laborzulieferer mit Sitz in Göttingen hat in Europa, Asien und Amerika eigene Produktionsstätten sowie Vertriebsniederlassungen und Handelsvertretungen in mehr als 110 Ländern. Gemeinsam mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz betreibt man ein Forschungslabor, in dem Sartorius-Produkt- und -Plattformlösungen experimentell erprobt und weiterentwickelt werden.
Die Aktie der Göttinger stieg in den vergangenen drei Jahren um mehr als 140 % und lag zuletzt bei knapp 390 €. Der Kurs des Unternehmens gefällt den Börsianern: Die US-Investmentbank Morgan Stanley hat Sartorius mit „Overweight“ und einem Kursziel von 520 € in die Bewertung aufgenommen – der Laborausrüster und die Tochter Sartorius Stedim profitierten vom Wachstum im attraktiven Bereich der Produktion von Biotech-Arznei. Ähnlich sieht das Deutsche Bank Research: Sie hat die Einstufung für Sartorius auf „Buy“ belassen, mit einem Kursziel von 650 €.
Text: Reinhard Krémer
Illustration: Valentin Berger
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–22 zum Thema „KI“.