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Die österreichische Doppelmayr/Garaventa-Gruppe ist Weltmarktführer im Bau von Seilbahnen. Bislang kam viel Umsatz durch den Verkauf von Skiliften für den Wintertourismus, doch in Zeiten von Klimakrise und Gletscherschmelze muss das Unternehmen neue Absatzmärkte suchen – denn in der Mobilität der Zukunft könnte die Seilbahn eine wichtige Rolle spielen.
Wolfurt in Vorarlberg, nahe Bregenz – ein beschauliches Dorf mit 9.000 Einwohnern, eingerahmt von Alpengipfeln, blühenden Wiesen und Feldern. Hier liegt das Hauptquartier der Doppelmayr/Garaventa-Gruppe, des Weltmarktführers für die Konstruktion von Seilbahnen und Gondeln. Vor den Fertigungshallen thront die Statue eines überdimensionalen Schweissers, wie ein Patron, der über Hunderte Lehrlinge und Fachkräfte wacht. Zwar montieren hier längst auch Industrieroboter, doch weil Liftsysteme nicht in Serie produziert werden, braucht es weiterhin menschliche Handwerkskunst.
Seit 2019 leitet der 1969 in Italien geborene Thomas Pichler gemeinsam mit István Szalai den Traditionsbetrieb. Er ist der erste Geschäftsführer, der nicht zur Doppelmayr-Familie gehört. Dennoch ist Pichler schon lange ein Teil des Familienunternehmens: Der Südtiroler heuerte 1988 als Fachingenieur für Industrieelektronik bei der Firma an und arbeitete sich nach ganz oben.
Herr Pichler, Sie sind Techniker – macht das Ihren Job als Geschäftsführer einfacher?
Es hat für den Bereich, für den ich verantwortlich bin, auf jeden Fall Vorteile. Ich habe über 30 Jahre Erfahrung in der Technik und kann daher besser Risiken abschätzen, die mit Entwicklungen einhergehen. Da der Bereich Finanzen, Logistik und Produktion von meinem Kollegen abgedeckt wird, ist es für mich besonders wichtig, die Wünsche der Kunden einzuordnen – und ich kann einschätzen, ob deren Vorstellungen umsetzbar oder zu fantasievoll sind. Da hilft eine solide technische Grundausbildung enorm.
Wie wichtig ist der Standort Wolfurt für die Doppelmayr-Gruppe?
Offiziell sind wir hier in Wolfurt das Kompetenzzentrum, obwohl ich das Wort nicht gerne benutze, da es bedeuten würde, dass wir nur an diesem Standort kompetent sind. (lacht) Alles, was die Entwicklung von Umlaufbahnen betrifft, passiert hier in Wolfurt. Bei Garaventa, die ja seit 2002 Teil unserer Unternehmensgruppe ist, erfolgt die Entwicklung von Standseilbahnen und Pendelbahnen. In den anderen Ländern sitzt vor allem die Vertriebskompetenz, die Vernetzung vor Ort mit der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik und natürlich das gesamte Projektmanagement plus Kundendienst.
Das Wichtigste ist, dass man sich den Veränderungen stellt, weil es ganz klar grosse Veränderungen im Wintersport geben wird.
Thomas Pichler
Nun ist ja ein grosser Teil Ihres Hauptgeschäfts mit dem Wintersport verknüpft. Wie wirkt sich der Klimawandel auf Ihr Geschäft aus? Schnee und Gletscher werden leider immer seltener …
Das Wichtigste ist, dass man sich den Veränderungen stellt. Wir konnten feststellen, dass unsere Kunden neben dem Wintertourismus auch vermehrt nach Optionen für den Sommer- und Übergangstourismus suchen. Der Berg soll also das ganze Jahr über attraktiv gehalten werden. Was uns in diesem Sinn auch besonders freut, ist, dass die Ideen unserer Kunden sich auch in eine nachhaltige Richtung bewegen. Wir haben, Gott sei Dank, noch kein Disney World in den Bergen gesehen; es wird ein grosser Fokus auf Familien, Mountainbiken, Wandern und Entspannen gelegt. Sölden beispielsweise betreibt die sogenannte Bike Republic, dort haben die Akteure sich neben dem Wintersport ein grosses Standbein mit Mountainbiken aufgebaut. Ich denke also, es ist den meisten Kunden bewusst, dass es künftig gefragt sein wird, nicht nur für den Wintersport attraktiv zu sein.
Wie sieht das praktisch aus? Bieten Sie hauptsächlich umgebaute Skilifte an, die auch im Sommer genutzt werden können, oder werden eigens angefertigte „Sommerlifte“ verkauft?
Das ist natürlich für die Kunden auch eine grosse Kostenfrage. Der Trend geht aber auf jeden Fall in die Richtung, dass wir Möglichkeiten bieten, Seilbahnanlagen auch im Sommer benutzen zu können. Wir haben Kabinen, in denen Fahrräder transportiert werden können, aber auch sogenannte „Bike Clips“ – das sind Transportgeräte, die auf einer Sesselbahn verwendet werden, in die man die Fahrräder hineinhängen kann. Aber auch abseits der Lifte haben wir gesehen, dass sich unsere Kunden auf den Sommertourismus einstellen. So werden zum Beispiel vermehrt Beschneiungsteiche im Sommer als Badeseen genutzt. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Menschen immer gerne auf die Berge und in die Natur gehen, ob jetzt im Winter oder im Sommer. Wichtig ist einfach, dass der Berg zu jeder Jahreszeit attraktiv gehalten wird. Autobahnen und riesige Asphaltlandschaften will niemand in den Bergen sehen.
Doppelmayr hat auch vermehrt in Mittel- und Südamerika an sogenannten urbanen Seilbahnen gearbeitet, also Seilbahnen, die in Städten als Transportmittel genutzt werden. Warum sind die genau dort so gefragt?
Das hat mit der chaotischen Planung der Städte in Südamerika zu tun. Diese wachsen dort sehr schnell und ungeplant und oft hat daher das öffentliche Verkehrsnetz wie Busse oder Züge Schwierigkeiten, mit dem Wachstum mitzuhalten. Ausserdem ist die Landschaft oft sehr bergig; das Stadtzentrum liegt meist im Tal und die angrenzenden Siedlungen und Häuser auf den Bergen daneben. Aber am aussergewöhnlichsten ist meiner Meinung nach das Tempo, mit dem Städte in dieser Region wachsen. Ich war das erste Mal 2016 in Ecuador, jetzt, fünf Jahre später, würde man die Stadt, in der ich war, kaum wiedererkennen. Da wurden riesige Flächen in kürzester Zeit zugebaut. Seilbahnen sind daher dort sehr von Vorteil, da sie um einiges schneller und unkomplizierter zu errichten sind und natürlich das Tal perfekt mit dem Berg verbinden können.
Denken Sie, dass solche urbanen Seilbahnen auch in Europa eine Chance haben?
Grundsätzlich hat die urbane Seilbahn auch in Europa viele Vorteile – wie die U-Bahn belegen wir eine ganz neue Ebene. Das macht die Seilbahn unabhängig vom Strassenverkehr. U-Bahnen sind zwar ebenfalls unabhängig davon, sind aber um einiges aufwendiger und teurer zu bauen. Somit sind die Investitionskosten der Seilbahn grob gesagt zehnmal günstiger, als wenn man für dieselbe Strecke eine U-Bahn errichten würde. Dennoch hat das Geschäft in Europa bisher etwas gestockt – bis auf Paris, da haben wir jetzt unsere erste urbane Seilbahn in Europa in Planung, die bald eröffnet werden soll. Ich bin eigentlich recht zuversichtlich, dass mit Paris die Welle auch in andere europäische Länder überschwappen wird.
Was macht das Projekt in Paris besonders?
Die Seilbahn soll als ein Bindeglied im öffentlichen Verkehrssystem fungieren, das verschiedene Haltestellen von Metro, Bus und Tram miteinander verbindet und insbesondere im Pendlerverkehr grosse Zeitvorteile bringen wird. Das Ganze soll 2025 fertig sein und ist unser Startschuss für den urbanen Seilbahnbetrieb in Europa.
Warum hat man das Potenzial der urbanen Gondel nicht früher entdeckt?
Ich denke, es braucht einfach mehr mutige Entscheidungen in der Politik. Ich meine, unsere Seilbahnen sind zuverlässig, das haben die letzten 40 bis 50 Jahre gezeigt, in denen wir mit unseren Liftsystemen Millionen Menschen transportiert haben, da können wir sehr leicht mit den U-Bahnen mithalten, wenn nicht sogar eine bessere Alternative als U-Bahnen bieten. In Europa braucht es nur den Mut, etwas Neues auszuprobieren.
Welches Projekt bedeutet Ihnen besonders viel?
Das ist schwierig zu sagen, weil jedes Projekt seine Besonderheiten und Eigenheiten hat. Wenn ich mich aber für eines entscheiden müsste, würde ich unseren bisher grössten Auftrag in Italien am Monte Bianco wählen. Das war ein Riesenprojekt, mit über 100 Mio. € Auftragsvolumen. Das entsprach für unsere kleine Gruppe in Italien einem Jahresumsatz und ist vergleichbar damit, wenn man hier in Wolfurt ein Projekt mit einer Mrd. € generieren würde. Neben der Grösse des Projekts war auch die Baustellenlogistik herausfordernd. Es wurde auf 3.500 Meter Höhe gearbeitet, wobei es eigentlich nur möglich war, in drei Sommermonaten zu arbeiten.
Ein weiteres Projekt, für das Doppelmayr viel Aufmerksamkeit bekommen hat, sind die Seilbahnen für die Olympischen Spiele in Peking. Was war bei diesem Projekt die grösste Herausforderung?
Das war besonders schwierig, weil das Gebiet, für das wir unsere Seilbahnen gebaut haben, einfach nicht erschlossen war. Es gab keine Strassen und keinen Strom und keine Wasserversorgung. Man musste quasi erst mal eine grobe Infrastruktur schaffen, bevor wir überhaupt mit unserer Baustelle anfangen konnten. Für europäische Verhältnisse ging es dann trotzdem recht schnell. Als wir die Pläne zum ersten Mal sahen, dachten wir nicht, dass sie in China das Tal so schnell erschliessen können.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mein Wunsch ist eigentlich ganz simpel: junge Menschen für unsere Technologie und unsere Seilbahnen zu begeistern. Wir brauchen immer junge, talentierte Menschen und es ist nicht unbedingt einfach, diese zu bekommen.
Die Firma Doppelmayr
...wurde 1893 von Konrad Doppelmayr gegründet. Damals baute das Unternehmen vor allem Maschinen und landwirtschaftliche Geräte. Erst 1928 baute Konrads Sohn Emil Doppelmayr den ersten Skilift, seither ist das Unternehmen enorm gewachsen: Von Schleppliften über Gondeln bis hin zu beheizten Kuppel-Liften – jeder Skifahrer oder Snowboardfahrer wird schon einmal in einem Doppelmayr-Lift gesessen sein. Mit knapp 3.200 Mitarbeitern weltweit, einem Marktanteil von 60 % bei Seilbahnen und 15.100 Anlagen in über 96 Ländern hat sich das Vorarlberger Unternehmen weltweit einen Namen gemacht. Doch auch Doppelmayr kommt an Klimakrise und Pandemie nicht vorbei: So verbuchte die Doppelmayr Holding im Geschäftsjahr 2020/21 einen Umsatz von 763 Mio. € – ein Rückgang von 12,5 % im Vergleich zum Vorjahr. Nachdem sich Michael Doppelmayr (gemeinsam mit seinem Finanzvorstand Hanno Ulmer) aus der Holding zurückgezogen hat, übernahm Thomas Pichler 2019 die Gesamtverantwortung zusammen mit István Szalai.
Fotos: Kilian Kessler