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Im deutschen Hip-Hop geht das NFT-Fieber um. Auch der Rapper Haftbefehl investiert in Zukunftstechnologien – und spielt im Herbst sein erstes Konzert im Metaversum. Im Forbes-Interview erzählt „Hafti“ exklusiv, wie er mit seiner Musik in der virtuellen Welt Millionen verdienen will.
Aykut Anhan, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Haftbefehl, geniesst die Fahrt durch sein neues Revier. Sein Neffe sitzt am Steuer eines Monster-SUV – ein Mercedes GL 63 – und chauffiert den Rapper über breite Highways. Anhan blickt durch eine dicke Sonnenbrille auf die Wolkenkratzer. „Schau mal hier, das Burj al Arab“, ruft er begeistert und richtet seine Smartphonekamera auf das segelförmige Hochhaus in Dubai. Unser Videocall ist auch eine virtuelle Stadttour.
Ist der Babo urlaubsreif? Oder geschäftlich am Golf? Er verbinde Freizeit mit Business, erklärt der Musiker aus Offenbach, der seit Jahren zu den erfolgreichsten und einflussreichsten Musikern der deutschen Hip-Hop-Szene zählt. Er gehe jeden Tag im Meer schwimmen und für 1.000 € essen, so Anhan. Doch allzu viel Faulenzen ist nicht drin. Mit im Auto sitzt nämlich sein deutscher Geschäftspartner, mit dem er vorhin wieder in der Dubai Silicon Oasis unterwegs war, einem Business-Campus für Technologiefirmen.
Der Künstler hat vor wenigen Tagen sein Unternehmen Noah Investment in den Vereinigten Arabischen Emiraten gegründet. Es ist seine erste Firma ausserhalb von Deutschland, benannt hat er sie nach seinem Sohn. Das Unternehmen arbeitet an einer neuen App, es geht um das Metaversum und das Web 3. Denn das „Babo-Business“ macht jetzt auch Technologie.
„Wir sind da an einer ganz grossen Sache dran“, erklärt der 36-jährige Anhan. Er sehe sich als „Pionier“ und wolle schon im kommenden Jahr in der virtuellen Sphäre mehr Geld verdienen als in der analogen Welt. Das klingt ambitioniert, denn nach eigenen Angaben hat Anhan bislang einen zweistelligen Millionenbetrag erwirtschaftet – „allerdings bevor das Finanzamt seinen Teil bekommt“, wie er grinsend hinzufügt.
In der deutschen Musikszene, vor allem im Hip-Hop, grassiert nämlich das NFT-Fieber. Non-Fungible Tokens sind Wertmarken, die den Besitz von Videos, Bildern, Texten, Animationen und anderen digitalen Inhalten nachweisen. Die Eigentumsrechte werden dezentral auf der Blockchain, also in einem weltweiten Netzwerk, gespeichert – wie Kryptogeld. Dadurch können Content Creators wie Musiker die Wertschöpfungskette reduzieren und einen eigenen Markt aufbauen, um ihre Werke gewinnbringender zu veröffentlichen.
Der Musiker Cro initiierte die erste deutsche NFT-Auktion eines Musikers, der Rapper Kool Savas versteigerte im vergangenen Jahr das Original-Textblatt seines erfolgreichsten Songs als NFT. Nun stossen weitere Schwergewichte in den Markt vor: Bushido verkaufte im Frühjahr animierte Comics als NFTs, der Wiener Rapper RAF Camora veräusserte 5.555 Goldplatten in digitaler Form.
Doch Haftbefehl denkt noch grösser – er will mit seiner neuen Firma und der Hilfe des Berliner Start-ups Twelve x Twelve das gesamte Ökosystem der Musikvermarktung revolutionieren. Erreichen will er das mit der Erschliessung des Metaversums und einer neuen Applikation – Details verrät er noch nicht. Ein erster Meilenstein des Projekts wird das erste virtuelle Konzert im Herbst sein.
Neben seinen eigenen Geschäften im Digitalbereich setzt Haftbefehl auf die Hilfe von Twelve x Twelve, das erst vor zwei Jahren gegründet wurde und bereits mit Scooter und Rammstein-Sänger Till Lindemann kooperierte. Doch die Zusammenarbeit mit dem Rapper ist umfassender und ein wichtiger Erfolg für die Gründer Jan Denecke und Philipp Köhn.
„Als Agentur helfen wir Musikern, das Metaversum zu erschliessen“, sagt Denecke. Der studierte Jurist verbrachte viele Jahre als Anwalt in der Musikbranche. „Wir wollen eine Plattform für eine neue Community schaffen – mit einem integrierten NFT-Marktplatz und eigenem Metaverse.“ Dafür arbeitet seine Firma mit der Blockchain Polygon, einer „Sidechain“ von Ethereum.
Der Name Twelve x Twelve ist eine Anspielung an die Zoll-Dimensionen einer Langspielplatte – und ein Bekenntnis zu Qualität: Auch in der Metaworld wolle man vor allem hochwertige Inhalte vertreiben. Denn hier gilt die Formel: Je besser der Inhalt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass dank des NFTs ein digitales Sammlerstück entsteht, dessen Wert mit der Zeit zunimmt; eben wie eine seltene limitierte Edition einer Vinylplatte.
Was nach einer Nische für Hardcore-Fans klingt, könnte tatsächlich das Musikbusiness für immer verändern – darauf setzen auch Köhn und Denecke. Sie wollen eine neue Plattform für ein neues Zeitalter in der Popkultur schaffen, denn die Unternehmer glauben, dass die Blockchain-Technologie das Internet grundlegend verändern wird. Im Web 2.0 konnten Nutzer Inhalte selbst erstellen und teilen, so entstanden Tech-Giganten wie Facebook, Tiktok oder Twitter sowie der Streaminganbieter Spotify. Doch laut Experten muss auf Spotify ein Lied rund 250 Mal gestreamt werden, damit ein Musiker überhaupt einen Dollar verdient. Haftbefehls Megahit „069“, die Ode an seine Heimatstadt, wurde mehr als 44 Millionen Mal abgespielt – womit er also 176.000 € verdient hätte. Für den Rolls-Royce Phantom, den er sich nun in Dubai kaufen will, reicht das allerdings noch lange nicht.
Das Versprechen des Web 3 ist ein dezentrales Netzwerk und ein Ende von Monopolen. Jene, die Inhalte produzieren, können diese direkt vermarkten und monetarisieren. Doch das ganz grosse Geld, das gibt auch Twelve x Twelve zu, wird sich im Metaversum erst dann verdienen lassen, wenn es zum Massenphänomen wird. Köhn und Denecke haben „mehrere Millionen Euro“ an Risikokapital vom Martkplatzbetreiber 360X erhalten, der von der Deutschen Börse und der Commerzbank unterstützt ist.
Auch etablierte Grossmächte der Musikbranche, darunter Universal, versuchen, im NFT-Business mitzumischen, und wollen ihren Künstlern Zugang zu digitalen Marktplätzen bieten. Doch Universal-Musiker Haftbefehl will lieber seinen eigenen Weg gehen.
Der von Twelve x Twelve organisierte „Chabo-Drop“ war sein erstes NFT-Paket – und innerhalb eines Tages vergriffen. Fans konnten schon ab 30 € Zugang zum Haftbefehl-Kanal auf dem Messengerdienst Discord oder Shirts mit dem Artwork des Künstlers Calentura erwerben – der zeichnet die legendäre „1999“-Songreihe als animierten biografischen Comic.
Statt teurer und elitärer NFT-Kunst wollen Denecke, Köhn und Haftbefehl bewusst kostengünstige Artikel anbieten. Beim „Babo-Drop“ im April wurden Tickets für Haftbefehls erstes Konzert im Metaverse verkauft; noch drei weitere Drops sollen in diesem Jahr folgen. Vorbild für die digitalen Gigs sind die Metaverse-Konzerte amerikanischer Weltstars im Videospiel „Fortnite“ – längst ist das Game auch eine Plattform für virtuelle Shows. Erstmals spielte vor zwei Jahren der Avatar des US-Rappers Travis Scott dort ein zehn Minuten langes Set, im vergangenen Oktober waren 78 Millionen Fortnite-User bei einem Gig der Sängerin Ariana Grande dabei. Die Sängerin soll damit mehr als 20 Mio. US-$ verdient haben.
Von diesen Rekordzahlen ist man im deutschsprachigen Musikmarkt noch weit entfernt. Im Herbst geht Haftbefehl in Deutschland, der Schweiz und Österreich auf Tour – er freue sich auf die Livekonzerte vor Tausenden Fans und auf ein wunderbares analoges Erlebnis: der Duft von Schweiss in der Luft, das Wummern der Bässe im Bauch. Doch als Unternehmer hat er auch stets ein gutes Gespür für Trends, und dazu gehört nun die Digitalisierung seiner Marke. Sein erstes Metaverse-Konzert wird im Anschluss an seine Tournee stattfinden. Derzeit wird dafür eine neue virtuelle Welt entwickelt. „Bei mir ist immer die Qualität entscheidend, ohne die kannst du langfristig nicht erfolgreich sein“, sagt Anhan und klingt dabei eher nach bravem Manager als nach Rüpel-Rapper.
Der Sohn türkisch-kurdischer Einwanderer kann eine beeindruckende Aufsteigerstory erzählen: Anhan wuchs in Frankfurt auf, sein Vater war ein Geschäftsmann, der nicht nur einen Hotelbetrieb, sondern auch eine fatale Schwäche für Glücksspiel hatte. Beim Würfeln verlor er in einer Nacht sein Vermögen und nahm sich das Leben.
Der heutige Selfmade-Millionär Anhan brach anschliessend die Schule ab, kam mit 15 Jahren in Jugendarrest, wurde als Teenager wegen Drogenhandels per Haftbefehl gesucht. Er tauchte zeitweise in Istanbul unter, schmiss eine Ausbildung als Mechatroniker, schrieb Rap-Texte und schaffte mit dem Kultsong „Chabos wissen, wer der Babo ist“ einen Klassiker. „Zum Glück hat mir Gott dieses Talent gegeben“, sagt Haftbefehl heute.
Seine Songs standen wegen der Verherrlichung seines kriminellen Lebensstils zeitweise auf dem Index. Es gab Kontroversen wegen antisemitischen Stereotypen in seinen Liedtexten – Vorwürfe, die Haftbefehl stets bestritten hat. Doch gleichzeitig feiert ihn das deutsche Feuilleton als Meisterdichter, zumal der Rapper die deutsche Alltagssprache geprägt hat: Gangjargon wie „Chabo“ (Junge) und „Babo“ (Boss) sind längst gängige Floskeln, nicht nur in der Jugendsprache. Zu „Haftis“ grössten Bewunderern zählt der einflussreiche Kulturjournalist Moritz von Uslar von der deutschen Wochenzeitung Die Zeit.
Um die Marke Haftbefehl hat Anhan in den vergangenen Jahren ein millionenschweres Unternehmensimperium aufgebaut. Sein Vorbild ist der US-Rapper Sean Combs alias P. Diddy: „Der ist krass, er kommt von der Strasse, ist mit Musik reich geworden und macht heute einfach alle möglichen Geschäfte – wie ich ja auch.“
Unter seinem eigenen Label Azzlackz fördert er Rapper der nächsten Generation. Er verkauft Streetwear und die Kult-Badeschlappen Brudiletten, sei Getränk „Haftea“ sowie Shisha-Tabak. Demnächst folgt eine eigene Parfummarke. Anhans wichtigste Lektion als Unternehmer: „Immer selbst den Überblick über die Finanzen behalten – und immer ordentlich die Steuererklärung machen.“
Ausserdem investiert er in Immobilien, zuletzt in ein Apartment in Dubai; und er hat für seine Frau in deren Heimatstadt Stuttgart ein Grundstück gekauft („weil sie es sich so sehr gewünscht hat“). In Dubai hat er 6.000 € in bar im Geldbeutel, weil er seine Kreditkarte zu Hause vergessen hat und ohnehin nicht gern auf Pump einkauft: „Ich habe noch nie in einer Bank nach einem Kredit gefragt“, sagt Anhan.
Seine Villa in Offenbach kaufte er um 850.000 €, durch den Immobilienboom ist sie inzwischen zwei Millionen € wert. Doch er traut dem überhitzten Markt nicht: „Ich fürchte, da kommt es bald zum Crash.“
Rückschläge hat Anhan als Unternehmer vor allem zu Beginn seiner Karriere erlebt. Gleich sein erster Deal sei sein schlechtester gewesen, erzählt der Musiker: An seinem ersten Album verdiente er eher bescheidene 200.000 € – dabei setzte die Platte mehr als drei Millionen € um. Die Lehre: „Du musst genau wissen, welche Verträge du unterschreibst, erst recht, wenn du von der Strasse kommst.“
Auch hatte Anhan vergeblich versucht, ein Wettbüro in Offenbach zu eröffnen. Der Misserfolg sei allerdings eher die Schuld der Telekom gewesen, die habe nämlich den Internetzugang zu spät eingerichtet. Wegen des schlechten Kundendiensts weigert sich Anhan bis heute, eine Rechnung von 1.500 € zu bezahlen – der einzige Posten, der sich negativ auf seinen Schufa-Eintrag auswirke, erzählt er mit einem Grinsen. „Ich mag keine Leute, die nur Geld mögen“, sagt der Rapper, „die gern mit teuren Uhren und Autos protzen“ – was aber auch Teil seiner Inszenierung ist. Er blickt auf die Palmen, die am Fenster vorbeiziehen, dann lässt er seinen Geländewagen rechts ranfahren. Sein Geschäftspartner steigt aus und winkt zum Abschied freundlich.
Aykut Anhan (36)
...geboren in Offenbach am Main, ist einer der erfolgreichsten deutschen Rapper. Mit 15 verliess er die Schule und rutschte ins kriminelle Milieu ab – heute verdient er mit seiner vielfach ausgezeichneten Musik Millionen und vertreibt unter seiner Marke auch Streetwear, Eistee und Shisha-Tabak.
Doch wie viel Musik steckt überhaupt noch in der Marke Haftbefehl? „Ich werde immer Rapper sein“, verspricht Anhan. Dass „Das schwarze Album“ von der Süddeutschen Zeitung zum Album des Jahres 2021 gewählt wurde – gemeinsam mit Alicia Keys – bedeutet ihm einiges. „Referenzen sind wichtig“, sagt er. Die Bewunderung durch die bürgerliche Kultur- und Musikkritik geniesst er genauso wie seinen Status als Ikone der Kids aus den Problemvierteln, deren Sprache er nach wie vor spricht. „Wenn du eine gute Idee hast, können wir über alles reden“, so sein Motto.
Und das gilt auch für seinen Einstieg in den Markt der Zukunftstechnologien und die Zusammenarbeit mit der Agentur Twelve x Twelve. Er wolle gemeinsam mit seinen Fans in die Welt des Web 3 eintauchen und dieses Abenteuer wagen, sagt der Rapper. Denn auch im Metaverse sollen die Chabos wissen, wer der Babo ist.
Fotos: Lennart Brede