DEN MENSCHEN LESEN LERNEN

Der ungarisch-amerikanische Mathematiker John von Neumann ist Computerexperten auf der ganzen Welt ein Begriff, denn die nach ihm benannte Rechnerarchitektur beschreibt noch immer den grundsätzlichen Aufbau der meisten heute verwendeten Computer.

Weniger bekannt ist von Neumann als Vater der mathematischen Spieltheorie, mit der strategische Interaktionen zwischen zwei oder mehr Akteuren modelliert und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll, denn wie wir alle aus unseren eigenen Spieleabenden wissen, führt die permanente Interaktion zwischen den Spielpartnern zu ständig neuen Konstellationen und Verläufen – jeder Zug beeinflusst automatisch den nächsten, und jeder Spieler adaptiert permanent seine Strategie, um zum gewünschten Spielergebnis zu gelangen. Einige von John von Neumanns wissenschaftlichen Nachfolgern haben in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem für wirtschaftswissenschaftliche Anwendungen der Spieltheorie den Nobelpreis eingeheimst, und auch in der Entwicklung von KI-Systemen kommt man ab einem bestimmten Punkt nicht an der Basisarbeit von Neumanns aus den 20er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts vorbei.

Lernen ist dabei das Schlüsselwort, das Computer „intelligent“ macht und die bisher vorherrschenden starren Algorithmen zur Bearbeitung stets gleicher Probleme ablöst. Lernen beginnt für einen Computer bereits bei der Analyse grosser Datensätze, zum Beispiel einer grossen Anzahl an Bildern. Der erste Schritt „intelligenten“ Verhaltens einer Maschine kann darin bestehen, aus 10.000 Fotos diejenigen verlässlich zu erkennen, auf denen Tiere zu sehen sind. Wir alle kennen diese Aufgabe von den Sicherheitsfragen im Internet: „Auf welchen Fotos sehen Sie Autos?“ Ein klassisches Computerprogramm kann diese Aufgabe nicht verlässlich bewältigen, ein Mensch oder ein speziell „trainierter“ Algorithmus aber sehr wohl – auch dann, wenn neue, bisher nicht gespeicherte Fotomotive erscheinen. Noch ein Stück komplexer wird es, wenn KI-Systeme in realen Entscheidungssituationen eingesetzt werden, bei denen menschliches Verhalten vom Algorithmus erlernt und antizipiert werden muss – und dazu ist Spieltheorie notwendig. Eine Schach- oder Go-Partie kann defensiv gespielt werden, extrem aggressiv oder auch mit ständig wechselnden Spielstrategien. Die Tatsache, dass spätestens seit 2016 Algorithmen existieren, die gegen jeden menschlichen Spieler auf der Welt gewinnen können, beruht auf der Kombination von KI und Spieltheorie, wobei Letztere es einem lernenden Algorithmus erlaubt, menschliches Verhalten zu antizipieren.

KI-Systeme der Zukunft werden immer häufiger mit solchen „intelligenten“ Komponenten versehen sein und bei Mensch-Maschine-Interaktionen in die Lage versetzt, mit Menschen zu interagieren: Das reicht von Situationen, die auf die Kooperation von Mensch und Maschine ausgelegt sind, wie beim autonomen Fahren, bis hin zu Situationen, in denen ein KI-basierter Bot mit uns Menschen verhandeln und dabei entgegengesetzte Interessen haben wird.

Marcus Schreiber
...ist Gründungspartner und CEO, Sebastian Moritz Managing Partner bei TWS Partners. Die TWS Partners AG wurde 2001 von Unternehmern der Industrie und Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München gegründet.

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–22 zum Thema „KI“.

Forbes Contributor

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