5G (R)EVOLUTION

Der Mobilfunk steht vor einem Generationenwechsel. Dabei geht es um mehr als nur schnelles Internet. 5G-Technik liefert eine Basis für das Internet der Dinge und verändert so nicht nur den Mobilfunksektor.

„In der Industrie ist das Internet der Dinge bereits real“, sagt Paul Hopton. „Nun kommt es zunehmend auch in Städte.“ Hopton ist CTO und Mitgründer von Relayr, einem Berliner Start-up, das Hardware und Software für die Vernetzung von Geräten bietet. Die Sensoren von Relayr messen Werte wie Umgebungstemperatur oder Energieverbrauch oder nehmen Videos einer Strasse auf. Eine Software wertet diese Rohdaten aus und macht sie nutzbar. Das kann viele Vorgänge vereinfachen – unter anderem in Städten.

Smart Cities, also anhand von Sensoren vernetzte Städte um das Leben der Menschen lebenswerter und effizienter zu machen, soll es künftig immer mehr auf der Welt geben. Die Einsatzmöglichkeiten von Technologien wie jene von Relayr sind hierbei vielfältig – und kommen teilweise bereits in Städten wie Barcelona, Wien oder London zur Anwendung. Beispielsweise kann die richtige Technik den Autoverkehr so lenken, dass Staus überhaupt nicht erst entstehen. Öffentliche Verkehrsmittel könnten je nach Nachfrage in Echtzeit ihre Intervalle ändern. Die Strassenbeleuchtung könnte sich nur dann einschalten, wenn sie gebraucht wird – oder Mülleimer senden dann ein Signal an die Müllabfuhr, wenn sie gefüllt sind.

Intelligente Strassenlaternen

Relayr arbeitet zurzeit an mehreren Smart City Projekten in San Diego, Kalifornien, und drei weiteren US-amerikanischen Städten. Die Implementierung intelligenter Sensoren an Strassenlaternen erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Energiemanagement-Unternehmen Current by GE. „Mithilfe dieser Sensoren können Kunden messen, wo es freie Parkplätze gibt oder wo sich ein Stau bildet“, so Hopton. Auch Pistolenschüsse könnten sie erkennen. „Das ist zwar in Europa weniger ein Thema, in den USA hingegen schon. Polizei und Rettung können dadurch viel schneller reagieren“, so Hopton.

Bild: Paul Hopton, CTO und Mitgründer von Relayr

Paul Hopton
... ist CTO und Mitgründer von Relayr.

Derzeit kommunizieren die Sensoren über bestehende 3G-Netze. Das hat einen entscheidenden Nachteil. „Wir können über 3G nicht ständig komplexe Daten versenden“, sagt Hopton. „Dafür reicht die Bandbreite nicht aus.“ Deshalb senden die Sensoren nur sehr simple Daten oder in längeren Abständen. Die derzeitige Mobilfunkgeneration 4G würde dank höheren Datenraten teilweise Abhilfe schaffen – eine bessere Lösung bietet jedoch die kommende Mobilfunkgeneration 5G. Damit wird das Senden von Datenraten von bis zu 10 Gigabit pro Sekunde möglich, das ist 100 Mal höher als bei bestehenden 4G Netzen. Ausserdem kann eine 5G-Station mit bis zu 1.000 Mal so vielen Geräte gleichzeitig kommunizieren wie eine 4G-Station. So können in einer vernetzten Stadt unzählige Sensoren miteinander kommunizieren, ohne andere „Teilnehmer“ wie Smartphones oder Computer zu stören.

Bis eine solche Vernetzung real wird, wird es aber noch einige Monate dauern. Zurzeit befindet sich 5G in einer Vorab-Phase. Denn es fehlt nach wie vor ein einheitlicher Standard. Dieser soll laut dem Standardisierungsgremium 3GPP (eine weltweite Kooperation von Standardisierungsgremien für die Standardisierung im Mobilfunk, Anm.) zwischen März und Mai diesen Jahres veröffentlicht werden – drei Monate später als ursprünglich geplant. Am Potential der Technologie ändert diese Verzögerung jedoch wenig. Prognosen des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens IDC zufolge soll der weltweite Umsatz mit 5G-Netzwerktechnik im Jahr 2022 bei 26 Milliarden US-$ liegen. Bis 2023 werden laut Ericsson ausserdem 1,06 Milliarden Geräte über 5G kommunizieren. Dementsprechend lang ist die Liste an Unternehmen, die an der Entwicklung von 5G beteiligt sind. Vorne mit dabei sind der chinesische  Telekomkonzern Huawei, der schwedische Hardware-Produzent Ericsson, das finnische Mobilfunk-Unternehmen Nokia und der Chiphersteller Qualcomm aus den USA. Neben neuen Möglichkeiten für Hardwarehersteller und Mobilfunkanbieter eröffnet 5G ausserdem einen neuen Markt für Technologieunternehmen wie Relayr.

Autos, die mit Autos sprechen

Die Implementierung von Sensoren ist nur ein Beispiel von vielen, was 5G in Städten möglich macht. Die Technik liefert auch eine Basis für einen vernetzten Strassenverkehr – selbstfahrende Autos und Fahrerassistenzsysteme könnten über das Internet kommunizieren und einander vor Gefahren, Staus oder Hindernissen warnen. „Entscheidend ist dabei die geringe Verzögerung im 5G-Netz“, erklärt Thomas Zemen, Projektleiter und Experte für Telekommunikation am Austrian Institute of Technology (AIT). „Über 5G kommen Daten innerhalb einer Millisekunde verlässlich beim Empfänger an.“ Bei 4G kann das bis zu 50 Millisekunden dauern. Dadurch kann ein Auto an einer Kreuzung viel schneller reagieren, wenn jemand von links oder rechts kommt.

Damit ein so vernetzter Autoverkehr Realität werden kann, darf die Verbindung zu den anderen Verkehrsteilnehmern allerdings nie abbrechen. Selbst dann nicht, wenn ein Auto mit 130 Kilometern pro Stunde auf der Autobahn fährt. Im Zuge eines Forschungsprojekts am AIT beschäftigt sich Zemen genau damit: Wie die Verbindung zwischen einer Antenne und einem fahrenden Auto bestehen bleibt. Dafür erhielt das AIT einer der wenigen Testlizenzen für 5G in Österreich.

Bild: Eine 5G-Basisstation am AIT

Gemeinsam mit dem AIT forscht auch ein Team der Technischen Universität (TU) Wien an autonomen Autos in 5G-Netzen. „Es geht hier insbesondere um Sicherheit. Wenn Autos ständig miteinander kommunizieren, dürfen keine Fehler passieren“, erklärt Christoph Mecklenbräuker, Leiter der Forschungsgruppe. Langfristig könnte es dank Fahrerassistenzsystemen und selbstfahrende Autos deutlich weniger Unfälle im Strassenverkehr geben. „Die Technik verändert unser Verständnis von Verkehrssicherheit“, so Mecklenbräuker. „Bisher war Sicherheit im Auto immer passiv, durch Sicherheitsgurte oder Knautschzonen – nun wird sie aktiv.“

Startschuss ab 2020

Der kommerzielle Betrieb von 5G soll im deutschsprachigen Raum Ende 2019 bis Anfang 2020 starten – so heisst es von den Mobilfunkbetreibern Swisscom, A1 und der Deutschen Telekom. Ähnlich klingen die Pläne der meisten anderen Mobilfunkunternehmen in Europa. Grundsätzlich soll laut einem Aktionsplan der EU bis Ende 2020 in jedem Mitgliedsstaat mindestens eine Stadt mit 5G versorgt sein. Innerhalb von fünf Jahren, bis 2025, sollen alle weiteren Städte und die Hauptverkehrswege folgen. Ob das flächendeckend möglich sein wird, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt schwer sagen – denn die Umsetzung obliegt den Mobilfunkanbietern. Mit den notwendigen Investitionen wäre es theoretisch möglich – wenn nichts dazwischen kommt. Die erst kürzlich entbrannte Diskussion um einen Ausschluss des Hardware-Herstellers Huawei vom europäischen Markt zeigt, dass aber genau das passieren könnte. Ohne Huawei würde sich der 5G-Ausbau in Europa um zwei Jahre verzögern, so Nick Read, CEO der britischen Vodafone Group, im Februar am Mobile World Congress in Barcelona.

Die grössten Fortschritte beim 5G-Ausbau in Europa macht die Schweiz. Dort kauften die Netzbetreiber Swisscom, Salt und Sunrise bei den Auktionen im Februar Frequenzen um insgesamt 380 Millionen CHF ein. Das gibt den Unternehmen Planungssicherheit. Das Mobilfunkunternehmen Swisscom etwa will 5G bis Ende 2019 bereits in 60 Städte und Gemeinden der Schweiz bringen.

An sich braucht es für die Nutzung von 5G nicht unbedingt neue Frequenzen. Allerdings ist das derzeitige Frequenzband bis sechs Gigahertz – jener Teilbereich des elektromagnetischen Spektrums, der zur Kommunikation verwendet wird – bereits so ausgeschöpft, dass die versprochenen Datenraten darüber nie erreicht werden könnten. Deshalb soll 5G in einem neuen Frequenzband bis 30 Gigahertz arbeiten. Dafür werden nun nach und nach Lizenzen versteigert. Mit der Frequenz steigt die Datenrate, die Reichweite sinkt allerdings.

Verarbeitung „at the edge“

5G allein macht aus einer Stadt aber noch keine Smart City. Ausschlaggebend dafür ist die Infrastruktur an Sensoren und Steuereinheiten. Hier kommt wiederum Relayr ins Spiel – denn genau jene Produkte bietet das Berliner Start-up an. Relayr ist seit seiner Gründung 2013 stark gewachsen und zählt mittlerweile 200 Mitarbeiter in vier Ländern. Im September 2019 wurde Relayr für 300 Millionen US-$ vom Rückversicherungsunternehmen Munich Re übernommen.

Relayr-CTO Hopton hält 5G für sinnvoll – allerdings sei es in seinen Augen nicht die einzige wichtige Technologie. So sollten auch mehr Daten vor Ort verarbeitet werden – „at the edge-Verarbeitung“ nennt sich diese Datenverarbeitung direkt durch Sensoren und Steuereinheiten. „Einfach alle Daten über 5G direkt in die Cloud zu schicken, wäre unsinnig“, sagt Hopton. „Eine Videokamera, die beispielsweise nach freien Parkplätzen sucht, könnte das Material gleich vor Ort auswerten. Sie müsste nur mehr senden, ob und wo ein Parkplatz frei ist. Das spart Daten und Rechenleistung.“ Für komplexere Berechnungen soll aber weiterhin ein zentraler Rechner verantwortlich sein. Dabei könnte auch künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen. Und mit steigender Effizienz der KI würde die Stadt ebenso effizienter werden.

Ethische Fragen

Wenn zukünftig ein Computer gewissermassen eine Stadt steuert, wirft das natürlich auch Fragen auf. Einer der Kritikpunkte von Experten lautet, dass Automatisierung die Bewohner abhängig von der Technik macht und eine ständige Vernetzung ihre Privatsphäre bedroht. Hopton sieht diese Bedenken jedoch gelassen. „Wir sind immer abhängig von anderen. Jetzt sind es Menschen, die bestimmen, was passiert“, sagt er. „In einer Smart City sind es dann Maschinen. Die Abhängigkeit ist dieselbe. In vielen Bereichen sind Maschinen sogar weniger fehleranfällig.“ Auch die Privatsphäre sieht Hopton nicht in Gefahr. „Durch Social Media ist es ohnehin fragwürdig, wie viel Privatsphäre wir noch haben“, erklärt er. „Ausserdem wird es immer Orte geben, die nicht vernetzt sind, zum Beispiel Parks“.

Mehr Sorgen macht Hopton hingegen die IT-Sicherheit von Städten. „Wenn wir eine vernetzte Stadt wollen, brauchen wir klare Regeln und Gesetze, wie diese Systeme gesichert werden müssen“, sagt er. „Netzwerke sind ein viel grösseres Risiko als fehlerhafte Sensoren oder Datenverarbeitung.“ Systemausfälle oder Hacks könnten auch ein Smart-City-Netzwerk treffen. „Dessen müssen sich Politik und Unternehmen bewusst werden“, so Hopton.

5G wird die Technologie von 4G und 3G nicht gänzlich ablösen. Die alten Frequenzen wird es auch weiterhin geben – denn bis alle Orte damit versorgt sind und alle Geräte mit der neuen Technologie umgehen können, wird es noch dauern. Den Mobilfunksektor auf den Kopf stellen könnte 5G aber schon. Denn die Technik liefert eine starke Basis für Smart Cities und den Einsatz von selbstfahrenden Autos. Dennoch ist 5G ist allerdings nicht das einzige, worauf sich Städte konzentrieren sollten – Fortschritte abseits des Mobilfunks sind ebenso wichtig. Was bleibt, ist die Frage, wie zeitgerecht der 5G-Ausbau erfolgen wird. Die Pläne der EU sind jedenfalls ambitioniert – aber nicht unmöglich.


Text: David Hanny

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